Unterfranken: Betreuungsdienste fordern Kurskorrektur

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Der Betreuungsdienst Betro in Wildflecken versorgt etwa 50 psychisch erkrankte Menschen. Gründer Hilmar Ott (hinten im hellblauen Hemd) setzt sich unterfrankenweit dafür ein, dass die Rahmenbedingungen der ambulanten Betreuung besser werden. Foto: Ulrike Müller
Der Betreuungsdienst Betro in Wildflecken versorgt etwa 50 psychisch erkrankte Menschen. Gründer Hilmar Ott (hinten im hellblauen Hemd) setzt sich unterfrankenweit dafür ein, dass die Rahmenbedingungen der ambulanten Betreuung besser werden. Foto: Ulrike Müller

Der Arbeitskreis "Persönliches Budget" kritisiert die Rahmenbedingungen für die Betreuung psychisch erkrankter Menschen in Unterfranken offensiv.

Es ist eine Grundsatzfrage, die Hilmar Ott auf den Tisch packt, und er sagt über sich selbst, er sei ein Mann, der die Konfrontation nicht scheut. Vermutlich deshalb hat ihn der Arbeitskreis "Persönliches Budget" Unterfranken zum Sprecher gewählt. Die Interessensgemeinschaft von Anbietern, die sich der Betreuung psychisch kranker Menschen widmen, ist unzufrieden mit den Rahmenbedingungen, die der Bezirk vorgibt.

"Der Arbeitskreis stößt an Grenzen", sagt Ott. Wiederholt habe man bei der Verwaltung Probleme angesprochen, jedoch ohne Erfolg. Nun nimmt Ott die Politik ins Visier. Eva Maria Linsenbreder (SPD), Vizepräsidentin des Bezirkstags und Vorsitzende des Sozialausschusses, hat bereits ein Schreiben mit den Forderungen des Arbeitskreises (siehe unten) erhalten. Am 20. Juli lädt der Arbeitskreis die Bezirksräte aller Fraktionen zu einem Treffen im Erthal-Sozialwerk ein.


Kritik: Die ambulante Betreuung stagniert

Seit dem Jahr 2008 ist das persönliche Budget gesetzlich verankert. Es unterstützt die Selbstbestimmung behinderter oder chronisch kranker Menschen, denn sie erhalten anstelle von Sachleistungen eine individuell berechnete Summe Geld oder Gutscheine. Eine Zielvereinbarung regelt genau, was für Leistungen mit dem persönlichen Budgets abgedeckt sind. Zudem wird regelmäßig überprüft, ob die Berechnung angepasst werden muss.

Die Forderungen, die der Arbeitskreis formuliert hat, betreffen Details der Verwaltungsabläufe. Dennoch geht es Hilmar Ott um Grundsätzliches. Der Ausbau ambulanter Betreuungsangebote für psychisch kranke Menschen stocke, sagt er. Das treffe vor allem den ländlichen Bereich. "Nur wenige Regionen in Unterfranken sind so gut versorgt wie der Altlandkreis Bad Brückenau, ausgenommen die Städte", sagt Ott. Ein weiterer Kritikpunkt: Der Bezirk Unterfranken betreibt mehrere stationäre Einrichtungen. Die ambulante Versorgung aber werde "nicht ernsthaft" vorangetrieben. "Das ist nicht mehr zeitgemäß", sagt Ott.


Bezirk sieht sich gut aufgestellt

Zehn psychiatrische Kliniken und Tageskliniken für psychisch kranke Menschen gibt es in Unterfranken. Dem stehen neun sozialpsychiatrische Dienste, 13 Tagesstätten und drei Werkstätten, die in aller Regel deutlich kleiner sind, sowie weitere Angebote gegenüber. (Eine Übersicht über alle Einrichtungen finden Sie hier.) "Insgesamt ist die Versorgung aus unserer Sicht bedarfsgerecht, mit steigender Tendenz im ambulanten Bereich", sagt Markus Mauritz, Pressesprecher des Bezirks. Die ambulante Versorgung werde also ausgebaut, "in Kooperation mit den Leistungserbringern, den Verbänden und psychosozialen Arbeitsgemeinschaften.

In Bad Brückenau und der Umgebung ist die Versorgung tatsächlich umfassend. Zwei Betreuungsangebote gibt es in der Stadt selbst. Im Pflegeheim Schloss Römershag leben psychisch Erkrankte in einer Wohngemeinschaft , und Wildflecken hat mit dem Betreuungsdienst "Betro" und dem "Haus mit Sinn" gleich zwei Einrichtungen zu bieten.


Das fordert der Arbeitskreis "Persönliches Budget" :


Preisgestaltung Die Betreuungsdienste fordern, direkt mit ihren Kunden Verhandlungen über die Leistungen und deren Bezahlung führen zu dürfen. Nach Auffassung des Arbeitskreises "Persönliches Budget" sollten die Vergütungssätze nicht - wie aktuell gehandhabt - vom Bezirk Unterfranken vorgegeben werden dürfen, sondern seien nach den Kriterien der freien Marktwirtschaft auszuhandeln.

Zahlungsweise Normalerweise sollte das persönliche Budget den Empfängern im Voraus ausgezahlt werden. Im Unterfranken erfolge die Abrechnung aber erst im Nachhinein, kritisiert der Arbeitskreis. Er fordert deshalb den Bezirk auf, die Zahlungsweise umzustellen.

Bürokratieabbau Bisher füllen die Betreuungsdienste so genannte Hilfserhebungsbögen aus, die sie an den Bezirk Unterfranken schicken. Das sei unnötig, da es Sache des Kunden sei, über die Qualität der Leistung zu urteilen, und Sache des Bezirks, das Befinden der betreuten Menschen regelmäßig abzufragen.

Vergütungssätze Wenn die Preisgestaltung schon nicht bei den Betreuungsdiensten liege, sollten wenigstens die Vergütungssätze angepasst werden. Der Arbeitskreis beklagt, dass es deutliche Unterschiede der Vergütungssätze im Vergleich zum Bezirk Mittelfranken gebe und fordert, dass Lohnerhöhungen und weitere Kosten angemessen berücksichtigt werden.

Leistungsumfang Die Betreuungsdienste kritisieren ebenso, dass zu wenig Geld bewilligt werde, um den betreuten Menschen die Teilhabe an der Gesellschaft zu ermöglichen. Vereinsbeiträge, Volkshochschulkurse und andere Freizeitbeschäftigungen sollten je nach individueller Situation finanziell ermöglicht werden.

Budgetassistenz Bei der Verwaltung des Geldes benötigen die Empfänger erfahrungsgemäß Unterstützung. In der Praxis übernehmen das häufig die Betreuer. Der Arbeitskreis fordert, dass dafür in Zukunft unabhängige Budgetassistenzen eingesetzt werden, deren Leistung pauschal mit einem Zuschlag von zehn Prozent auf das Gesamtbudget vergütet wird.


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