Kranke Seelen müssen warten

2 Min
Psychotherapeutin Ortrud Müller-Schäfer im Gespräch mit einer Patientin. Wer einen Therapieplatz erhält, hat Glück, viele andere müssen warten. Stephanie Elm
Psychotherapeutin Ortrud Müller-Schäfer im Gespräch mit einer Patientin. Wer einen Therapieplatz erhält, hat Glück, viele andere müssen warten. Stephanie Elm

Wer von Depressionen geplagt wird und einen Therapeuten braucht, muss viel Geduld haben. Die Fachleute sind ausgebucht, aber mehr werden nicht zugelassen.

Sie musste gar nicht so lange warten. Charlotte R. (Name von der Redaktion geändert) hatte nach drei Monaten einen Therapieplatz bei einer Psychotherapeutin. "Die erste Begegnung war schon sehr positiv." Die 69-Jährige hat inzwischen die Behandlung nach 16 Gesprächsterminen abgeschlossen und kann nun sagen: "Insgesamt war es ein glücklicher Verlauf." Sie hat wirklich Glück gehabt. Denn eigentlich ist Ortrud Müller-Schäfer, so wie ihre Kollegen im Altlandkreis, "bis zum Anschlag ausgebucht". Die Diplom-Psychologin nennt den ländlichen Raum "hoffnungslos unterversorgt". Die Psychotherapie-Richtlinie (siehe Info) von April dieses Jahres konnte die problematische Situation bislang nicht verbessern.


Kinder warten bis zu einem Jahr


Bei Kindern dauert es sogar noch länger: mindestens ein halbes Jahr, nicht selten ein Jahr, müssen sie auf einen Therapieplatz warten, denn für sie und Jugendliche gibt es noch weniger Therapeuten. Dabei ist der Anstieg an verhaltensauffälligen Kindern und in der Leistungsgesellschaft gebeutelten Menschen drastisch. Es gebe "eine riesen Lücke" zwischen dem Bedarf, wie ihn Patienten und Therapeuten sehen, und dem, der durch die Kassenärztliche Vereinigung (KV) definiert wird. Ihr zufolge sei Unterfranken sogar "überversorgt", berichtet Müller-Schäfer, die derzeit einen halben Praxissitz in Oberleichtersbach führt.

Zwar sei im Altlandkreis etwas "aufgeforstet" worden, doch waren viele ausgebildete Psychologen zudem an einer Kassenzulassung interessiert. Diese wurde jedoch nur einer begrenzten Anzahl gewährt. Nur so können die psychotherapeutischen Leistungen über die Krankenkassen abgerechnet werden.

Aber warum greift die Psychotherapie-Richtlinie nicht? Psychotherapeuten sind nun verpflichtet, zwei Stunden pro Woche als Sprechstunden anzubieten. Der Vorteil: Recht schnell können Patienten zu einem Erstgespräch erscheinen. Doch muss Ortrud Müller-Schäfer bereits in diesem Gespräch, bei dem es öfter auch bleibt, mitteilen, dass sie keinen Therapieplatz frei hat. Mit einer Empfehlung zum weiteren Vorgehen wird der Patient weggeschickt, eventuell zum nächsten Therapeuten, bei dem nicht klar ist, ob er vielleicht einen freien Therapieplatz hat. Auf diese Weise geht Zeit für Therapiestunden verloren, die Wartelisten werden somit noch länger.

Zudem entsteht der Eindruck, dass die Probleme in eine unbestimmte Zukunft verschoben werden. Nicht behandelte Krankheitsbilder können sich verschlimmern. Wird dann irgendwann behandelt, explodieren die Kosten. Dabei gibt es Störungen, die mit wenigen Stunden Verhaltenstherapie "in den Griff zu bekommen sind. Ich verstehe nicht, dass nicht mehr Psychotherapeuten zugelassen werden und die Krankenkassen nicht wirtschaftlich denken", moniert Müller-Schäfer die derzeitige Misere.
Genau dieses Problem ist der Kassenärztlichen Vereinigung Bayerns (KVB) auch bewusst. In einem Statement vom 2. Mai dieses Jahres äußerte sich die zweite stellvertretende Vorsitzende Dr. Claudia Ritter-Rupp ähnlich kritisch: "Der Wunsch des Gesetzgebers nach zusätzlichen Behandlungsmöglichkeiten in der Psychotherapie wird auch konterkariert durch eine veraltete Bedarfsplanung in diesem Bereich. [...] Die Bedarfsplanung für Psychotherapeuten muss grundsätzlich überarbeitet werden, um überhaupt eine bedarfsgerechte psychotherapeutische Versorgung gewährleisten zu können." Dies hätte jedoch bereits bis Ende 2016 geschehen sollen. Die derzeitige Bedarfsplanung entspreche den Zahlen aus den 1990er Jahren und lasse einen gestiegenen Bedarf "nahezu unberücksichtigt". Ob ausreichend viele Leistungen im psychotherapeutischen Bereich angeboten werden, könne man auf Grund der Anzahl der niedergelassenen Psychotherapeuten nicht sagen. Auf Fragen bezüglich der psychotherapeutischen Versorgung in Unterfranken verwies die KVB lediglich auf den Link https://www.kvb.de/ueber-uns/versorgungsatlas/.

INFO:
Die Psychotherapie-Richtlinie gilt seit dem 1. April 2017. Mit den dort festgelegten Bestimmungen wird geregelt, was Therapeuten bei den gesetzlichen Krankenversicherungen abrechnen können. Neu ist, dass Patienten "zeitnah ein niederschwelliger Zugang" ermöglicht werden sowie das "Versorgungsangebot insgesamt flexibler gestaltet" werden soll, so die KVB. Therapeuten sind nun verpflichtet, mindestens 200 Minuten pro Woche telefonisch erreichbar zu sein, eine sofortige Akutbehandlung zu ermöglichen sowie mindestens 100 Minuten Sprechstunde pro Woche anzubieten (bei einem halben Versorgungsauftrag 50 Minuten). Diese Sprechstunde ist die Voraussetzung für eine mögliche weitere psychotherapeutische Behandlung.
Terminservicestellen helfen bei der Vermittlung einer psychotherapeutischen Sprechstunde und einer Akutbehandlung (siehe: www.kvb.de/service/patienten/Terminservicestelle-Bayern/) . Seit mehreren Jahren ist bereits die Koordinationsstelle (www.kvb.de/service/patienten/therapieplatzvermittlung/) installiert. Sie unterstützt Patienten bei der Suche nach freien Therapieplätzen. (Quelle: Kassenärztliche Vereinigung Bayern)