Corona spielte Dramaturgin - und das war ganz gut so, findet Kritiker Thomas Ahnert. Daneben war er begeistert, nicht nur vom "sensationellen" Orchester
Es war eigentlich fast alles anders. Es war eine Situation, an die man sich fast gewöhnen könnte, aber nie gewöhnen sollte. Das Sommerkonzert aus der Reihe der Jahreszeitenkonzert fiel vollkommen aus dem Rahmen des Üblichen. Und das nicht nur deshalb, weil es zweimal gespielt werden musste. Denn als Corona mit lähmender Faust zuschlug, waren schon 200 Karten verkauft, und die mussten jetzt auf zwei Konzerte aufgeteilt werden, um die immer noch strengen Hygiene- und Abstandsregelungen einhalten zu können - ein Unterfangen, das ziemlich viel Arbeit gemacht haben muss.
Erleichterung bei Publikum und Musikern
Nein, schon die Stimmung vor Beginn des Konzerts war eine andere. Die Freude und Freundlichkeit, die sich da ausgebreitet hatte, war nicht eine Zutat des Smalltalks, sondern sie war echt. Alle freuten sich und waren erleichtert, Publikum und Orchester gleichermaßen, dass die Zeit der Lähmung vorbei war. Plötzlich merkte man, was man in den zurückliegenden Monaten immer mehr vermisst hatte: das gemeinsame Spielen und das gemeinsame Zuhören. Und wie nur selten wurde deutlich, was ein Livekonzert wirklich ausmacht: das gemeinsame Erleben.
Bereits das "Entree" signalisierte Veränderung: kein seitliches Reinschleichen in den Lola-Montez-Saal, sondern weit geöffnete Flügeltüren, an denen das Mitarbeiterteam die Gäste empfing und begrüßte - man (er-)kennt sich auch mit Schutzmaske. Nach dem Ausfüllen des Kontaktformulars wurde man zu seinem Platz geleitet in dem locker bestuhlten Saal: viel Platz für die Ellenbogen und plötzlich eine völlig ungewohnte Beinfreiheit, die das Sitzen zum Verweilen macht. Erst jetzt durften die Masken abgenommen werden.
Diesmal nur Streicher
Die wichtigste Veränderung betraf das Orchester, auch wenn die vielleicht gar nicht so auffällig war. Es war reduziert auf 13 Leute, ausnahmslos Streicher (wobei man eigentlich Streicherinnen schreiben sollte, denn nur drei waren Männer), die allerdings auch mühelos den hohen Saal mit genügend Dezibel füllen konnten. Dass sie - bis auf die zwei Celli und Kontrabass - im Stehen spielten, war auch Corona geschuldet. Denn wegen der Abstandsregeln war das Podium ausgebaut worden, das nicht genügend Platz geboten hätte, und ohne dieses wären die Stühle zu niedrig gestanden, hätte nicht nur das Publikum zu wenig gesehen, sondern auch die Kollegen.
Natürlich machten die großen Abstände die Verständigung alles andere als einfach, weil der direkte Kontakt fehlt. Aber andererseits war hier das Spiel im Stehen von Vorteil. Denn wer steht, kann wesentlich beweglicher und körpersprachlich deutlicher bis hin zum Tänzerischen artikulieren als im bewegungseinschränkenden Sitzen. Und das wiederum erleichtert das Zusammenfinden. Zudem hat Sarah Christian, die von ihrem Pult aus das Orchester leitete, reichlich Erfahrung: Sie ist Konzertmeisterin der Deutschen Kammerphilharmonie Bremen.
Was sich überhaupt nicht verändert hatte, war der Qualitätsanspruch des Orchesters, auch wenn - vielleicht etwas boshaft gesagt - das Konzert mit der "Capriol Suite" (1926) von Philip Arnold Heseltine (was ja durchaus vernünftig war), nicht die allergrößte Anstrengung forderte. Der Londoner Musikwissenschaftler und Kritiker war als Komponist Autodidakt. Vielleicht war es misstrauische Vorsicht, dass er seine Kompositionen (vor allem Liedbearbeitungen) unter dem Pseudonym Peter Warlock veröffentlich hat. Die "Capriol Suite" ist ein sechssätziges Werk, das Tänze aus der 1588 entstandenen "Orchésographie" des französischen Priesters und Choreografen Thoinot Arbeau ins 20. Jahrhundert transportiert. Aber wenn sich französische Renaissance und englische Spätromantik verbinden, kommt gerne so etwas wie "Pomp & Circumstance" heraus oder Musik aus der pathetischen Tube: mächtig, aber nicht unbedingt wirklich spannend.
Kein Pathos
Der Versuchung des Pathos erlagen die Brückenauer allerdings nicht. Sie musizierten mit ganz klaren Konturen, differenzierter Dynamik und tänzerischer Gestik, dass sich die Aufmerksamkeit allmählich von der Musik auf ihre Ausführung fokussierte. Und die Suite wurde zu einem schönen bekömmlichen Wiedereinstieg für Orchester und Publikum.