Aus Mahlers Puzzle wurde eine Einheit

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Das WDR-Sinfonieorchester und Adam Fischer überzeugten beim Kissinger Sommer.
Das WDR-Sinfonieorchester und Adam Fischer überzeugten beim Kissinger Sommer.
Gerhild Ahnert

Die Musiker ließen sich von Gastdirigent Adam Fischer mitreißen. Warum ein Klavier auch schüchtern sein kann.

Nun also am Freitagabend das zweite große Sinfoniekonzert des diesjährigen Kissinger Sommers mit dem WDR-Sinfonieorchester. Wer vom Freitagabend reden will, muss zunächst vom Kölner Orchester reden. Gut, Adam Fischer ist ein Dirigent, der trotz seines nicht mehr so geringen Alters ein Orchester mit seiner Dynamik wecken und mitreißen kann.

Und die Musiker ließen sich mitreißen, widmeten ihm ihre ganze Aufmerksamkeit. Das ist bei einem Gastdirigenten keineswegs selbstverständlich. Da versteckte sich niemand hinter den Kollegen oder dem Pult, da spielten alle mit kammermusikalischer Expressivität und Vergnügen an der Farbigkeit.

Und da kam das 5. Klavierkonzert von Ludwig van Beethoven gerade recht, das die Briten "The Emperor" nennen. Es hat ja durchaus herrschaftliche Züge. Denn der Komponist hat es hier mit seinem ureigenen Instrument, dem Klavier, nicht allzu gut gemeint. Das wird sofort bei Beginn unmissverständlich klar. Das Orchester eröffnet mit ein paar kräftigen Akkordschlägen, zwischen denen das Klavier wie erschrocken oder verschüchtert ein bisschen präludieren darf. Aber dann ist erst mal Schluss.

Dann stellt das Orchester sämtliche Themen vor, und wenn nichts mehr zu sagen ist, darf das Klavier ran. Genauso ist es beim zweiten Satz. Und beim dritten Satz, der sich nahtlos anschließt, darf das Klavier erst einmal leise und noch langsam das neue Rondothema andeuten, bevor es dieses dann gemeinsam mit dem Orchester oder auch als Teil des Orchesters voll entfaltete.

Das Orchester nutzte diese Chance der Vorherrschaft, spielte äußerst präsent, mit starken dynamischen Differenzierungen und großer struktureller Klarheit, die so manche Entdeckung ermöglichte. Und Giorgi Gigashvili, KlavierOlymp-Gewinner von 2021, spielte mit einem fabelhaft klaren und durchsetzungsfähigen Anschlag, mit enormer Virtuosität - wo er noch ein bisschen zulegen kann, ist, auch im Sinne der Differenzierung, eine gewisse Weichheit.

Was perfekt funktionierte, war die Zusammenarbeit mit dem Orchester. Die Dialoge vor allem mit den Holzbläsern waren wunderbar herausgearbeitet; und endlich einmal konnte man die wunderbare delikate Zwiesprache des Klaviers mit der Pauke am Ende ganz bewusst hören.

Man muss die 4. Sinfonie von Gustav Mahler nicht unbedingt mögen, weil sie dazu neigt, naiv zu wirken, wie ein ausgeschütteter Sack an volkstümlichen Melodien, aus denen keine Entwicklung entstehen kann.

Aber wer Fischers Interpretation hörte, konnte seine Meinung ändern. Denn er schaffte es, aus diesem Puzzle eine Einheit zu machen. Die Sopranistin Julia Kleiter sang im vierten Satz das Lied "Das himmlische Leben". Sie sang mit großer Genauigkeit und klanglicher Wärme und trotz des deklamatorischen Drucks auch ein bisschen erzählerisch. Und verstand sich dabei, ganz im Sinne Mahlers, als Teil des Orchesters. Der Beifall war lang und laut.