Fazil Say spannte einen Bogen von Mozart bis zum Jazz. In seiner Sonate "Gezi Park 2" geht er bis an die Grenzen.
Er hätte auch als Jazzer oder Rockmusiker große Karriere machen können. Denn immer, wenn sich Fazil Say an den Flügel setzt, schwingen in seinem Spiel diese beiden Aspekte mit. Wenn er eine Mozart-Sonate in Angriff nimmt - und das kann man durchaus wörtlich verstehen - dann bleibt am Ende ein rauchender Tönehaufen übrig. Aber er hat seinen Spaß gehabt, und eine ganze Menge Leute im Publikum auch.
Natürlich bedient er keine traditionellen Hörerwartungen, wenn er die a-moll-Sonate KV 310 in die Tasten haut, als wollte er sie dort festnageln, wenn er wie atemlos über jede Zäsur hinweggeht. Man muss das nicht gut finden, aber andererseits bekommt die Musik plötzlich jazzige Strukturen, die man mit Mozart nie in Verbindung gebracht hätte.
Und das Andante cantabile hatte ja auch ein paar wunderschöne Ecken.
Genauso extrem, aber anders, war seine "Mondscheinsonate". Auch da traute er sich, die endlosen Triolenketten des ersten Satzes, den seine Kollegen so gerne ziemlich nebelhaft und ziemlich langweilig spielen, sehr konkret, aber auch sehr differenziert zu spielen, dass man eigentlich gespannt auf die nächste Triole wartete.
Und das Presto agitato klang bei ihm, als würde die Kavallerie durch die Nacht stürmen und würde sich auch nicht von Kanonensalven abhalten lassen. Da war enorm viel Kraft in der Musik; Beethoven hätte erfreut gestaunt.
Musik aus dem harten Leben Als Komponist ist Fazil Say auch kompromisslos gegen sich selbst. Da verlangt er sich bis an die Grenzen das ab, was er kann - also alles. Seine Sonate "Gezi Park 2" op.
52, den Opfern der Unruhen in Istanbul und später auch landesweit gewidmet, ist in Töne gefasste Gewalt. Da wird die Bedrohung, der sich die demonstrierende Bevölkerung ausgesetzt sah, nicht nur hörbar, sondern geradezu spürbar. Da wühlt sich der Pianist mit aller Schärfe und Kraft in die Szenarien der Gefahr, und das auch bedrohlich Leise wie in dem Satz "Die Stille der Gaswolke". Von Hoffnung spricht der letzte Satz, aber er endet mit ein paar brutalen
Akkorden. Da ist viel unerbittliches Marschieren, ein hochvirtuoses Aus-den-Fugen-Geraten, das klingt wie die übersteigerte Fortschreibung von Mussorgskys "Baba Yaga". Plötzlich spürt man, wie viel Musik mit dem realen Leben zu tun haben kann, wie viel politische Sprengkraft Musik haben kann, aber auch, wie viel Mut Fazil Say in seiner repressiven Umgebung haben muss, um so etwas zu schreiben und zu spielen.
Mut braucht er nicht bei den fünf Klavierballaden aus den
letzten Jahren, in der sich westeuropäische und türkische Musik mischen, in der sich Fazil Say als beredter Erzähler erweist. Besonders eindrucksvoll erweist sich da "Kara Topak" ("Schwarze Erde"), weil er hier im Spiel mit abgedeckten Saiten wirklich starke Assoziationen zu anatolischen Landschaften weckt.
Und schmunzeln kann man über seine Jazzfantasien, die er auf seinem Klavierhocker mittanzt: "Bodrum" etwa, wo er über die Vergnügungsmeile schlendert, auf
der sich aus allen Richtungen die Musiken mischen. Und ganz besonders "Alla Turca": Da macht sich Fazil Say aus Ankara über Wolfgang Amadeus Mozart aus Salzburg lustig, dessen "Türkischen Marsch" aus der Sonate KV 331 er auf köstliche Weise zerlegt und ironisiert.