In seiner Heimat Nigeria droht Solomon Chibuike der Tod, auf dem deutschen Arbeitsmarkt würde er gebraucht: Warum der 23-Jährige ab 10. Oktober vielleicht trotzdem abgeschoben wird.
Solomon Chibuike ist anzumerken, dass Angst und Unsicherheit an ihm nagen. "Ich fühle mich sehr schlecht", fasst der 23-Jährige seinen Zustand zusammen. Anfang 2018 kam er nach Deutschland, im Juni 2019 wurde er in die Gemeinschaftsunterkunft (GU) Hammelburg einquartiert. Bis Mai 2021 arbeitete er unter der Woche bei Reifen-Müller in Westheim und am Wochenende in der Küche des Seniorenheims. Dann wurde ihm die Arbeitserlaubnis entzogen. "Ich vermisse meine Arbeit sehr, weil ich meine Kollegen wirklich sehr mag", erzählt Chibuike. Mehr Sorgen macht ihm aber sein nächster Gerichtstermin: Am 10. Oktober wird über seinen Folgeasylantrag entschieden - die letzte Chance auf ein Bleiberecht.
Seit mittlerweile fünf Jahren setzen sich Mitglieder der Auferstehungsgemeinde Schweinfurt für Solomon Chibuike ein. "Das habe ich noch nie gemacht und die Arbeit ist sehr belastend", sagt Marco Maaß aus Dürrfeld völlig ernüchtert. Für den 52-jährigen Familienvater gehört Solomon zur Familie. Maaß ist überzeugt, dass seinem 23-jährigen Schützling in Nigeria Verfolgung und Tod drohen. Er stammt aus Biafra: Die Region im Südosten Nigerias ist zwar reich an Bodenschätzen, trotzdem gelten seit Jahrzehnten die unterernährten Biafra-Kinder als Symbol des Elends in Afrika. Ingenieur Maaß spricht von Völkermord, wenn er über die Zustände dort spricht. Umso schockierter ist der 52-Jährige, dass Deutschland - im Gegensatz zu vielen anderen westlichen Staaten - nach wie vor Menschen nach Nigeria abschiebt.
Über Italien nach Deutschland geflohen
Als 17-Jähriger nahm Solomon Chibuike im Mai 2016 an einer Gedenkfeier für die Opfer des Biafra-Krieges teil. Vor seinen Augen seien sein Vater und mehrere Freunde willkürlich ermordet worden. Deshalb ist er kurzfristig geflohen und musste seine Mutter zurücklassen. Über Italien kam er nach Deutschland, wo allerdings 2018 und 2020 Asylanträge abgelehnt wurden. Nun hat Solomon Chibuike mit Hilfe der Unterstützer von der evangelischen Gemeinde einen letzten verzweifelten Versuch gestartet: Ein medizinisches Gutachten bescheinigt dem 23-Jährigen eine schwere posttraumatische Belastungs- und eine schwere depressive Störung. Durch das Arbeitsverbot sei es zu einer deutlichen Verschlechterung gekommen, schreibt die behandelnde Ärztin im Attest. In Nigeria gebe es keine ausreichende psychiatrische Behandlung, zudem sieht sie die Gefahr, dass er als frühes Mitglied der Unabhängigkeitsbewegung verfolgt wird. Die Ärztin spricht sogar von "Selbsttötungsimpulsen": Solomon Chibuike sehe "bei Rückführung nach Nigeria den Tod als einzige Alternative".
Halt geben dem 23-Jährigen vom Volk der Igbo nach eigenen Worten die große Unterstützung der Helfer und sein christlicher Glaube: "Ich setze meine ganze Hoffnung auf den allmächtigen Gott." Marco Maaß berichtet, dass Solomon Chibuike oft Einzelgänger war. Auch im Gutachten ist dargelegt, dass er sich schüchtern verhält und im Ankerzentrum wenig Kontakt zu anderen Asylbewerbern hatte. Die Arbeit sei eine positive Ablenkung gewesen. Und sie gab Selbstbestätigung: Mehr als 2000 Euro brutto verdiente Solomon Chibuike mit seinen beiden Jobs im Monat. Er bestritt nicht nur seinen Lebensunterhalt, sondern zahlte Steuern und Sozialabgaben: Beiträge für Kranken-, Pflege-, Renten- und Arbeitslosenversicherung. Jürgen Fischer, Geschäftsführer bei Reifen Müller, betont, dass er Chibuike jederzeit wieder einstellen würde.
Leistungen wegen Vorwürfen gekürzt
Aktuell erhält der 23-Jährige 164 Euro im Monat als staatliche Leistung. Gekürzt wurden die Zahlungen zuletzt, weil ihm mangelnde Mitwirkung vorgeworfen wurde: Bis heute hat er 23-Jährige keinen Pass. "Wir haben uns extrem ins Zeug gelegt", verweist Marco Maaß auf alle möglichen Bemühungen: Die Helfer fragten beim nigerianische Konsulat an, erhielten aber keine Unterstützung. Die letzten Verwandten würden längst nicht mehr in der alten Heimatstadt wohnen, könnten also auch nicht helfen. Weil Solomon Chibuike nicht im Krankenhaus geboren wurde, habe es nie eine Geburtsurkunde gegeben, nicht einmal seine alte Schule gebe es noch. "Die Aufforderung, sich von Deutschland aus einen Pass in Nigeria beschaffen zu können, ist weltfremd", fasst Maaß die Lage zusammen, und: "Es tut weh, dass man sowas in Deutschland miterleben muss."
"Der erneute Asylfolgeantrag ändert an der Ausreisepflicht als solches erstmal nichts", kommentiert die Regierung von Unterfranken den Fall Solomon Chibuike. Zur Gerichtsverhandlung in wenigen Tagen am Verwaltungsgericht Würzburg heißt es auf Nachfrage: "Herr Chibuike muss also damit rechnen, dass nach dem 10. Oktober tatsächlich auch Abschiebemaßnahmen eingeleitet werden."