Das neue Berufsbildungszentrum in Münnerstadt wird dort gebaut, wo sich seit 6500 Jahren Menschen niedergelassen haben.
Der Archäologe Oliver Specht spricht nur ungern von Superlativen. Aber im Fall der Münnerstädter Ausgrabungen auf dem Gelände des künftigen Berufsbildungszentrums kommt er dann doch fast schon ins Schwärmen. "Es ist eine spannende Sache", meint er noch ganz nüchtern, um dann zuzugeben, dass die Ergebnisse in Münnerstadt "schon spektakulär sind".
Auch deshalb laufen noch Grabungsarbeiten, obgleich der Spatenstich für das neue BBZ bereits im April stattgefunden hat. Die Ausgrabungen behindern nach Angaben von Oliver Specht nicht den bereits begonnenen Bau. Specht schätzt, dass es an den Ausgrabungen noch Arbeit für rund drei Wochen gibt. Bereits im Oktober 2017 waren über 1000 Befunde gesichert. Zu diesem Zeitpunkt liefen die Grabungsarbeiten ein ganzes Jahr.
Die Münnerstädter Ausgrabung sei auch in der Fachwelt als besondere Fundstelle bekannt, erklärt Oliver Specht. Interessant ist für ihn vor allem die vorgefundene große Anzahl an Grubenhäusern. Grubenhäuser sind in den Boden eingetiefte Werkstätten. Dort hatten die damaligen Bewohner ihre Webstühle stehen oder erstellten Handwerk für den eigenen Bedarf. Vieler solcher Hausspuren mit Fußböden und sonstigen Überresten wurden bei den Ausgrabungen entdeckt. Nach Angaben des Landratsamtes hat die Fundstelle überregionale Bedeutung. "Es ist sehr viel Material", freut sich Oliver Specht über diesen besonderen Ausgrabungsplatz.
Neben neolithischen, also steinzeitlichen Werkzeugen wie einer Beilklinge und einer kleinen Feuersteinklinge (ca. 3700-5000 v. Chr), hat Specht aus dem umfangreichen Keramikmaterial zur Veranschaulichung die Sonderfunde frühmittelalterlicher Spinnwirtel und Webgewichte (5.-7.Jh. n. Chr.) und eine Zusammenstellung frühlatènezeitlicher Drehscheibenkeramik ausgewählt. Die Frühlatènezeit (ca. ~5./4.Jh. v.Chr.) ist die Anfangszeit der historischen Kelten, von denen auch römische Geschichtsschreiber berichten.
In einer Pressmitteilung des Landratsamtes heißt es, dass "die Grabungsarbeiten aufgrund einer übergroßen Anzahl von Funden nicht vorhersehbare Dimensionen angenommen haben und dementsprechend länger dauern". Die Arbeit habe sich aber gelohnt, so die Stellungnahme aus dem Landratsamt. Die Bedeutung der Grabungen wurde jetzt auch von der Kulturstiftung des Bezirks Unterfranken durch einen Zuschuss gewürdigt. Landrat Thomas Bold zeigt sich froh, dass der Landkreis eine Zuwendung in Höhe von 5000 Euro erhält. Bold ist überzeugt, dass die archäologischen Grabungen wichtige Erkenntnisse liefern, die auch künftig von Bedeutung sein werden. "Die Förderung zeigt, dass unser Fokus bei Bauvorhaben nicht einzig auf die Zukunft gerichtet ist. Auch die Vergangenheit unserer Liegenschaften und das, was darunter verborgen ist, spielt eine wichtige Rolle ", meint Bold. Dafür muss der Landkreis aber auch tief in die Tasche greifen. Die Kosten der gesetzlich vorgeschriebenen Grabung werden derzeit auf 650 000 bis 700 000 Euro geschätzt. Wie die Historie des Grundstücks einmal präsentiert werden soll, ist nach Angaben von Lena Pfister (Pressereferat des Landkreises) noch offen.
Die Ausgrabungen belegen eine durchgehende Besiedlung von der Zeit um 5000 vor Christus bis hinein ins Mittelalter. Sie untermauern damit auch bereits vorhandene Erkenntnisse, dass Münnerstadt eine uralte Geschichte aufzuweisen hat. Die Besiedlung hat im Bereich des Seminars begonnen, und zwar schon in der Frühzeit. Über den Flurnamen "Alte Stadt", die Straßenbezeichnung "Altstadtweg" und Funde beim Bau des Seminargebäudes im frühen 20. Jahrhundert und beim Bau der Entlastungsstraße ist ein Siedlungszentrum - eine sogenannte "Wüstung" - etwa 200 Meter nordwestlich des stadtbildprägenden "Dicken Turmes" bekannt. Bedingt durch das Bauvorhaben "Berufsbildungszentrum" rückte dieses frühe Siedlungszentrum in das Sichtfeld von Planern und Archäologen. Unter einem stellenweise sehr dünn ausgeprägten "Teppich" humosen Oberbodens kam beim wissenschaftlich begleiteten Abtrag eine ganze Fülle archäologischer Befunde zu Tage. Diese bilden nicht nur die früh- bis hochmittelalterlichen Besiedlungsphasen der Stadt ab, sondern sind nach Angaben des Landratsamtes geradezu ein Kaleidoskop archäologischer Befunde, Funde und Zeitstellungen.
Auf der Niederterrasse oberhalb des sumpfigen Mäanderbereiches der Lauer finden sich viele Besiedlungsspuren der Bandkeramik, der Bronzezeit, der Urnenfelderzeit, der Hallstattzeit, der Latènezeit, der Völkerwanderungszeit bis hin zum Hochmittelalter. 6550 Jahre Kultur-, Vor- und Frühgeschichte können vor Ort über zeitgenössische Siedlungsgruben, Grubenkomplexe,
ebenerdige Pfostenbauten und eingetiefte Grubenhäuser veranschaulicht werden.
Der noch ganz neue neue Leiter des Hennebergmuseums, Nicolas Zenzen, ist promovierter Archäologe und ist gespannt darauf, mehr über die Ausgrabung zu erfahren. Archäologie, findet er, hat einen fast kriminalistischen Ansatz, da man sich auf die Spurensuche früheren Lebens beginnt. Dadurch könne man erfahren, wie Menschen früher gelebt haben. Zenzen kann sich deshalb vorstellen, dass im Münnerstädter Hennebergmuseum die Ausgrabungen am neuen BBZ ein Thema sein werden.