Eine fast 150-jährige Tradition: Oerlenbacher Fußwallfahrt nach Retzbach hat nichts an Faszination verloren.
Wenn im September die Oerlenbacher Wallfahrer den Weg zur Wallfahrtskirche "Maria im grünen Tal" in Retzbach antreten, wird der Prozession ein schönes Wallfahrtsbild vorangetragen, welches die Jahreszahl 1868 trägt. "Wann die ersten Pilger nach Retzbach gezogen waren, kann heute nicht mit Gewissheit gesagt werden." Das Datum sei belegt, da eine Oerlenbacher Frau von einer Marianischen Bruderschaft ein Buch erhalten hat, in dem diese Jahreszahl vermerkt ist. Man vermutet, dass es die Wallfahrt noch viel länger gibt, "doch schriftliche Aufzeichnungen sind leider nicht vorhanden", so der jetzige Wallfahrtsleiter, Otmar Lutz. Manches sei nur mündlich überliefert worden. "Wir gehen davon aus, dass es auf jeden Fall die Wallfahrt seit damals gibt und wir am 16./17. September unsere 150. Wallfahrt durchführen." 2018 sollen die 150 Jahre Prozession mit dem Einweihen eines Gedenksteines an der Andachtsstätte zwischen Oerlenbach und Ebenhausen gebührend gewürdigt werden. 250 Teilnehmer sind im vergangenen Jahr an zwei Tagen über 100 Kilometer gelaufen.
Organisatorischer Kraftakt
Was ist die Faszination, diese Strapazen auf sich zu nehmen? "Das Emotionale, die Kameradschaft und das, über sich selbst hinauszuwachsen und das Glücksgefühl nach seiner persönlichen Leistung. Leute stehen Spalier an der Straße und winken einem zu. Man merkt, dass jeder, der mitläuft, die gleichen physischen Probleme hat. Die Anstrengungen schweißen zusammen. Nicht vergessen darf man die Empfindung, wenn Menschen die Straßen des Zuges säumen", so Lutz. 250 Wallfahrer sind eine organisatorische Herausforderung für Lutz und seinen 20-köpfigen Helferstab. Man benötigt fünf Vorbeter, die Besatzung von drei Begleitfahrzeugen, ein Traktorgespann und zusätzliches Sicherungspersonal für die Verkehrsabsicherung. Wichtiges Instrument der Wallfahrt ist die Musikkapelle. Circa 30 Musiker aus rund 15 Ortschaften sorgen für die musikalische Begleitung. Eine große Herausforderung sei es, dass es erst nach vier Stunden ein Frühstück gibt. Später würden die Zeiten zu den Pausen kürzer.
Früher Aufbruch
Um halb drei in der Nacht geht es in Oerlenbach los. Tradition der vergangenen Jahre ist an der Andachtstätte ein Trompetensolo mit dem Lied "My Way". Starres herunterleiern von Gebeten oder dem Rosenkranz gebe es nicht. Vielmehr stehen Meditation und der Bezug zu Alltagssituation im Mittelpunkt. "Die Wallfahrt will das Herz erreichen und die Verbindung zu Gott." Es geht über Ebenhausen, Poppenhausen, Kronungen, Kützberg, Brebersdorf, Schwebenried, Arnstein, Thüngen, bis man um 15 Uhr Retzbach erreicht. In den Weinbergen wird man dann vom Wallfahrtspfarrer, Gerold Postler, und Ministranten abgeholt und durch Retzbach zur Wallfahrtskirche geleitet. "Die Wallfahrtslieder und der Marsch durch den Ort und das Erlebte drücken bei vielen nochmals auf die Tränendrüse", so Lutz. "Es ist ein einmaliges Erlebnis."
Bußgottesdienst, Lichterprozession und ein gemeinschaftliches Beisammensein beschließen denTag. "Viele denken im Überschwang nicht daran, dass man bereits um halb sechs aus den Federn muss", bemerkt Lutz lächelnd. Nach einem Gottesdienst geht es um acht Uhr 50 Kilometer zurück. Um halb neun abends wird Oerlenbach wieder erreicht. "Musikanten sind herzlich willkommen. Helferinnen und Helfer als Fahnen- Lautsprecher- Bass- und Wallfahrtbildträger, Ordner für den Verkehr oder Sanitätshelfer werden für uns immer gesucht. Wir sind froh, wenn sich Freiwillige melden", so der Wallfahrtsführer. Den Abschluss der Wallfahrt bildet im Oktober ein Dankgottesdienst in der Pfarrkirche St. Burkard.