Am Ende bekam das Weltdokumentenerbe der Unesco doch noch Flügel

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Das Podium im Großen Saal war voll, als Orchester und Chor der KlangVerwaltung Platz genommen hatten.
Das Podium im Großen Saal war voll, als Orchester und Chor der KlangVerwaltung Platz genommen hatten.
Zwischen Orchester und Chor: die Solisten Melanie Diener (Sopran), Theresa Kronthaler (Mezzosopran), Daniel Behle (Tenor) und Daniel Kotlinski (Bassbariton). Fotos: Ahnert
Zwischen Orchester und Chor: die Solisten Melanie Diener (Sopran), Theresa Kronthaler (Mezzosopran), Daniel Behle (Tenor) und Daniel Kotlinski (Bassbariton). Fotos: Ahnert
 

Enoch von Guttenberg dirigiert Beethovens Neunte im Großen Saal es Regentenbaus.

Bad Kissingen — Man rechnete ja schon mit einer Umbesetzung, als Kari Kahl-Wolfsjäger vor Konzertbeginn zum Mikrophon griff. Aber sie wollte nur darauf hinweisen, dass auf unbeugsamen Wunsch des Dirigenten Enoch zu Guttenberg im Schlusssatz von Beethovens 9. Sinfonie die vier Solisten nicht vorne an der Rampe, sondern in der ersten Reihe des Chores stehen würden.
Als das das letzte Mal der Fall war, habe es wütende Proteste, heftiges Türenschlagen und erboste Leserbriefe gegeben.
Historisch gesehen hatte Guttenberg das Recht auf seiner Seite. Aber die Frage ist durchaus diskutabel, ob man die Solisten unbedingt so zum Forcieren zwingen muss, dass ihre Stimmen über das Orchester hinüberkommen. Zumal das der einzige historische Aspekt der Aufführung war.

Ästhetische Denkmalpflege

Obwohl: Etwas ästhetische Denkmalpflege betrieb Guttenberg schon. Er ist ein Anhänger des orchestralen Gesamtklangs, von dem sich die meisten Dirigenten schon vor längerer Zeit zugunsten einer klar strukturierten Darstellung thematischer Linien verabschiedet haben. Darunter litt vor allem der erste Satz. Zwar begann er phantastisch leise, gleichsam aus dem Nichts, in den tiefen Streichern, aber die mit dem Crescendo einhergehende Verdichtung der Strukturierung wurde mit zunehmender Lautstärke nicht plastischer, weil einzelne Stimmen nicht herausgehoben waren, weil die Themen nicht das nötige Gewicht bekamen, weil ihre Vielfalt ein bisschen unterging. Die Kulisse der Angst, die Beethoven hier bereits anlegt und die sich in den krachenden Einleitungsakkorden des Schlusssatzes entlädt, also die Töne, die die Freunde nicht anstimmen sollen, realisierte sich nicht. Es galng Guttenberg nicht wirklich, die Spannung, unter die er sich selbst setzte, in seine Interpretation zu übertragen. Es war die vorzügliche, höchst dynamische Pauke, die diese Spannung rettete, bis hin zum Donnergrollen in der Reprise.
Auch der zweite Satz geriet noch etwas betulich breit, was auch daran lag, dass Guttenberg in Wiederholungen nicht differenzierte. Und es war nicht zu erkennen, wo die Musik vom Molto vivace ins Presto übergeht.

Zuwachs an Gestaltung

Aber mit dem Näherrücken des Finales wurde auch die Gestaltung interessanter, etwa das spannende Einsetzen der einzelnen Instrumente nacheinander, beginnend mit dem 2. Fagott, oder das gut herausgearbeitete Auftauchen des "Götterfunken"-Themas. Offenbar aber hatte Guttenberg das Hauptgewicht seiner Erwägungen auf den letzten Satz gelegt. Denn da gelang es ihm wirklich, die dramatische Auseinandersetzung, die in der Musik steckt, wirklich zu gestalten. Da waren sie, die Furcht einflößenden Töne, die den Solobass zum Eingreifen veranlassen. Obwohl die größte Spannung entstand, als die Celli und Kontrabässe ganz leise die "Götterfunken" anstimmten - so leise, dass sich niemand zu husten traute. Das war das tragende Signal, dass etwas völlig Neues kommen musste.
Das Finale geriet nicht nur zu einem Triumph für Beethoven, sondern auch für die Musiker. Große Freude bereitete der über 60-köpfige Chor, der außerordentlich engagiert und präsent sang, der sich vor den zum Teil enormen Schwierigkeiten, die der etwas sängerunfreundliche Beethoven in seine Partitur geschrieben hat, nicht zurückzog. Und das Erstaunliche: War die Artikulation zu Beginn noch etwas verwaschen, wurde sie immer deutlicher, je schwieriger die Partien wurden. Und die höllischen Höhen des gestirnten Himmels, die die Tenöre und vor allem die Soprane aus dem Stand erreichen und halten müssen, hätten klarer nicht sein können.
Guttenberg führte den Chor völlig gleichberechtigt gegenüber dem Orchester. Und das Solistenquartett mit Melanie Diener (Sopran), Theresa Kronthaler (Mezzosopran), Daniel Behle (Tenor) und Daniel Kotlinski (Bassbariton) setzte sich sehr gut durch. Letzterer eröffnete die leider nur kurzen Einsätze mit einem aus dem Stand beeindruckend gebieterisch gesungenen "O Freunde, nicht diese Töne!" Und seine Aufforderung kam an. Das Quartett fand zu großer Homogenität und ließ sich auch souverän auf eine Auseinandersetzung mit dem Chor ein. Ein großartiges Finale.