Etliche Anzeigen in Franken: Mutmaßlicher Aschaffenburg-Täter trat Freiheitsstrafe nie an

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Bereits vor dem Messerangriff am 22. Januar 2025 war der mutmaßliche Täter polizeibekannt. Eigentlich hätte der 28-Jährige zum Zeitpunkt der Tat sogar im Gefängnis sitzen sollen. inFranken.de bekam Einblick in die Akten.

Es war eine Nachricht, die Entsetzen und Trauer im ganzen Land auslöste: Am 22. Januar 2025 wurden der zweijährige Yannis und der 41-jährige Kai-Uwe D. bei einem Messerangriff im Aschaffenburger Park Schöntal getötet. Drei weitere Personen wurden verletzt, darunter auch ein zweijähriges Mädchen. Nach aktuellem Ermittlungsstand soll der Täter eine Kindergartengruppe verfolgt und anschließend einzelne Kinder mit einem Küchenmesser angegriffen haben. Der Passant Kai-Uwe D. ging dazwischen.

Der Tatverdächtige: Ein 28-jähriger Mann aus Afghanistan, der sich mittlerweile in psychiatrischer Behandlung befindet. Er konnte kurz nach der Tat gefasst werden. Doch wie konnte es zu dem Messerangriff kommen? Schließlich war der mutmaßliche Täter bereits polizeibekannt und hat zahlreiche Vorstrafen zu verzeichnen. Auf Anfrage von inFranken.de gewährten die Staatsanwaltschaften Aschaffenburg, Schweinfurt und Frankfurt am Main der Redaktion Einblicke in die Akten. 

Weil er die Geldstrafe nicht bezahlte: Der mutmaßliche Täter von Aschaffenburg hätte eigentlich im Gefängnis sitzen müssen

Nach aktuellem Stand befand sich der 28-Jährige seit Ende 2022 in Deutschland. Eingereist war er über Bulgarien. Bis zur Tat lebte der mutmaßliche Täter in einer Asylunterkunft in Alzenau im unterfränkischen Landkreis Aschaffenburg. Dabei hätte er zum Tatzeitpunkt eigentlich im Gefängnis sitzen müssen, wie die Staatsanwaltschaft Schweinfurt mitteilt.

Der Grund: Im März 2023 verletzte der 28-Jährige einen anderen Bewohner der Anker-Einrichtung in Niederwerrn und wurde wegen vorsätzlicher Körperverletzung zu einer Geldstrafe von insgesamt 800 Euro verurteilt. Da er diese nicht bezahlte, verhängte die Staatsanwaltschaft nach eigenen Angaben am 2. Dezember 2024 eine Ersatzfreiheitsstrafe in Höhe von 40 Tagen, zu leisten ab dem 23. Dezember 2024. Allerdings trat er diese nie an. Die Staatsanwaltschaft betont jedoch: "Eine Freiheitsentziehung ist nicht der Zweck einer Geldstrafe, da das Tatgericht ursprünglich eine Geldstrafe für tat- und schuldangemessen erachtete. Eine Ersatzfreiheitsstrafe kann durch Zahlung der Geldstrafe auch jederzeit abgewendet werden."

Konsequenzen hatte das für den Mann zunächst nicht, da er parallel wegen versuchten Betrugs aufgrund eines nicht auf ihn ausgestellten Fahrausweises in einem Zug zu insgesamt 150 Euro verurteilt worden sei. Liegen mehrere rechtskräftige Urteile vor, führt das zu einer Gesamtstrafe, wie die Staatsanwaltschaft erklärt. Die Entscheidung darüber, wie diese Gesamtstrafe im Fall des 28-Jährigen aussehen soll, habe das zuständige Amtsgericht Schweinfurt "unter anderem wegen zwingend erforderlicher Zustellungen und Übersetzungen" jedoch bisher noch nicht treffen können. Darum blieb der Mann weiterhin auf freiem Fuß.

2023: Der 28-Jährige wird im Ankerzentrum in Niederwerrn im Landkreis Schweinfurt mehrmals gewalttätig

Schon 2023 hätte der Afghane nach Informationen der dpa nach Bulgarien abgeschoben werden sollen. Denn nach dem sogenannten Dublin-Verfahren werden Asylverfahren in der Regel dort bearbeitet, wo die geflüchtete Person zum ersten Mal EU-Boden betritt. Bulgarien habe der Aufnahme des 28-Jährigen auch zugestimmt - allerdings wurden die Fristen von den zuständigen Behörden versäumt. Das lag wohl an der Kommunikation zwischen dem Bundesamt für Migration und Flüchtlinge (Bamf) und den bayerischen Ausländerbehörden. Beide machen sich nun gegenseitig für den Fehler verantwortlich.

Im Dezember 2024 kündigte der 28-Jährige laut dem bayerischen Innenminister Joachim Herrmann jedoch an, freiwillig ausreisen und nach Afghanistan zurückkehren zu wollen. Dafür benötigte er jedoch gültige Papiere, die er nach Angaben von Herrmann bis dato vom Generalkonsulat seines Heimatlandes nicht bekam. Zwischenzeitlich beging der Mann zahlreiche Straftaten:

  • 8. Dezember 2022: Wegen einer körperlichen Auseinandersetzung mit einem anderen Bewohner in der Anker-Einrichtung in Niederwerrn wurde gegen den 28-Jährigen wegen des Verdachts auf Körperverletzung ermittelt. Dieses Verfahren wurde am 20. März 2023 wegen widersprüchlicher Angaben der Beteiligten eingestellt, da die Tat so nicht nachweisbar gewesen sei.
  • 4. März 2023: Der Beschuldigte verletzte in der Anker-Einrichtung in Niederwerrn einen anderen Bewohner und wurde im Juni 2024 wegen vorsätzlicher Körperverletzung zu einer Geldstrafe von 80 Tagessätzen verurteilt. 
  • 18. März 2023: Der Mann soll einen Bewohner der Anker-Einrichtung in Niederwerrn beleidigt haben. Das Verfahren wurde allerdings eingestellt, da der mutmaßlich Beleidigte den erforderlichen Strafantrag nicht stellte.
  • 11. April 2023: Erneut soll der 28-Jährige einen anderen Bewohner in der Anker-Einrichtung verletzt haben. Auch dieses Ermittlungsverfahren wurde allerdings eingestellt, da eine "rechtfertigende Notwehrhandlung auch nach Vernehmung eines unbeteiligten Zeugen nicht ausgeschlossen werden konnte", teilt die Staatsanwaltschaft Schweinfurt mit.
  • 7. Juni 2023: Der Mann soll vor der Anker-Einrichtung in Niederwerrn einen anderen Bewohner verletzt haben. Das Verfahren wurde eingestellt, weil dem Beschuldigten die Tat aufgrund widersprechender Angaben der Beteiligten nicht nachgewiesen werden konnte.
  • 10. September 2023: Bei einer Polizei-Kontrolle im Frankfurter Bahnhofsviertel soll der 28-Jährige im Besitz von 3,6 Gramm Haschisch gewesen sein, die er kurz zuvor für zehn Euro gekauft haben soll. Das Verfahren wurde am 23. Oktober 2023 eingestellt, da es sich um eine geringe Menge gehandelt hat, die der zum damaligen Zeitpunkt nicht vorbestrafte Mann ausschließlich zum Eigenkonsum bei sich führte, wie die Staatsanwaltschaft Frankfurt betont. Diese Menge dürfe man zudem nach Einführung des neuen Konsumcannabisgesetzes heute rechtmäßig besitzen.

2024: Randale in der Flüchtlingsunterkunft Alzenau und Gewalt gegen Beamte

  • 18. Januar 2024: Unter Alkohol-Einfluss soll der Tatverdächtige des Messerangriffs absichtlich das Zutrittserfassungssystem im Schleusenbereich der Anker-Einrichtung in Niederwerrn beschädigt haben. Im Mai 2024 erhob die Staatsanwaltschaft Schweinfurt deshalb Anklage zum Amtsgericht Schweinfurt. Die Hauptverhandlung fand jedoch noch nicht statt.
  • 12. Februar 2024: Weil er mit einem nicht auf ihn ausgestellten Fahrausweis in einem Zug erwischt wurde, wurde wegen versuchten Betrugs ermittelt. "Dieses Verfahren ist mit der Verhängung einer Geldstrafe in Höhe von 15 Tagessätzen rechtskräftig abgeschlossen", teilt die Staatsanwaltschaft Aschaffenburg mit. Insgesamt belaufe sich die Geldstrafe auf 150 Euro.
  • 12. Mai 2024: In der Dienststelle des Bundespolizeireviers Aschaffenburg soll der 28-Jährige die Beamten unter Cannabis-Einfluss um Hilfe gebeten haben. Anschließend habe er diese jedoch angegriffen. Zunächst soll er demnach mit der flachen Hand gegen eine Beamtin geschlagen haben. Als er daraufhin von anderen Beamten zu Boden gebracht werden sollte, habe er nach dem Holster eines Beamten gegriffen und die Sicherung geöffnet. Mit Hand- und Fußfesseln habe die Polizei ihn unter Kontrolle bekommen. Drei Polizeibeamte wurden dabei verletzt. Der Mann wurde anschließend in der psychiatrischen Klinik in Aschaffenburg polizeilich untergebracht.
  • 6. Juni 2024: Der Beschuldige habe sich am Hauptbahnhof in Aschaffenburg vor zwei Polizeibeamten an einem Bahnsteig vollständig ausgezogen. Außerdem soll er einen dort befindliche Streugutbehälter beschädigt haben.
  • 2. August 2024: In Alzenau habe der Täter randaliert und dabei ein unbeteiligtes Fahrzeug beschädigt. Bei Eintreffen der Polizei zeigte er sich wohl zunächst kooperativ, schlug anschließend jedoch wiederholt seinen Kopf gegen den Boden. "Wegen der Gefahr einer Selbstschädigung sollte der Beschuldigte ins Klinikum Aschaffenburg verbracht werden", erklärt die Staatsanwaltschaft Aschaffenburg. Während der Fahrt soll er den begleitenden Rettungssanitäter und Polizeibeamten getreten haben. 
  • 23. August 2024: Wie die dpa berichtet, wird dem 28. Jährigen auch vorgeworfen, in Frankfurt am Main ein Mobiltelefon-Ladekabel gestohlen zu haben. Das entsprechende Ermittlungsverfahren  sei noch nicht abgeschlossen. 

Die Staatsanwaltschaft Aschaffenburg teilte zudem mit: "Der von einer Zeugin geschilderte Vorfall, bei dem eine weitere Bewohnerin der Flüchtlingsunterkunft vom Beschuldigten mit einem Messer verletzt worden sein soll, war der Staatsanwaltschaft Aschaffenburg bis zum 23.01.2025 nicht bekannt. Er ist nun selbstverständlich Gegenstand der laufenden Ermittlungen." Das Ermittlungsverfahren zu den Tatvorwürfen im Mai, Juni und August 2024 sei zudem noch nicht abgeschlossen, da die Staatsanwaltschaft Aschaffenburg die Einholung eines psychiatrischen Sachverständigengutachtens beauftragt habe. "Dieser Auftrag wurde zunächst ausgesetzt, nachdem der Staatsanwaltschaft von der Zentralen Ausländerbehörde mitgeteilt wurde, dass der Beschuldigte freiwillig ausreisen will", heißt es.

Wie die Staatsanwaltschaft Frankfurt mitteilt, waren "wegen Unverhältnismäßigkeit" in keinem der Staatsanwaltschaft Frankfurt vorliegenden Fälle die gesetzlichen Voraussetzungen für einen Haftbefehl gegeben, ebenso wenig wie für eine strafrechtliche einstweilige Unterbringung in einem psychiatrischen Krankenhaus. Ein weiteres Mittel wäre die Hilfe durch einen Krisendienst oder einen gesetzlichen Betreuer. Der Tatverdächtige des Messerangriffs in Aschaffenburg hatte eine solche Betreuerin laut der dpa im Dezember 2024 gerichtlich verordnet bekommen - sich aber nie bei ihr gemeldet.

Nach Messerangriff von Aschaffenburg: Wie geht es mit dem Tatverdächtigen weiter?

Eine Ermittlungsrichterin hat für den Verdächtigen nach Anhörung eines psychiatrischen Sachverständigen einen Unterbringungsbefehl erlassen. Die Vorwürfe: zweifacher Mord, zweifacher Mordversuch sowie gefährliche Körperverletzung. Einen Unterbringungsbefehl gibt es in der Regel, wenn es Anhaltspunkte dafür gibt, dass ein Verdächtiger zur Tatzeit aufgrund einer psychischen Erkrankung schuldunfähig und vermindert schuldfähig war.

Sollte sich das herausstellen, dürfte sich ein sogenanntes Sicherungsverfahren vor Gericht anschließen. Dabei geht es um die zeitlich unbegrenzte Unterbringung eines Beschuldigten in einer geschlossenen Abteilung eines psychiatrischen Krankenhauses. Auch wenn es keine Anklage wie in einem normalen Strafverfahren gibt, werden entsprechende Fälle vor Gericht verhandelt.

Dieser Artikel wurde mit Material der Deutschen Presse Agentur (dpa) erstellt.

Vorschaubild: © Daniel Löb (dpa)