Wagners Bühnenweihfestspiel im Originalklang

3 Min
Angela Denoke als Kundry und Johannes Martin Kränzle als Klingsor bei der "Parsifal"-Aufführung im Konzerthaus Dortmund. Foto: Petra Coddington
Angela Denoke als Kundry und Johannes Martin Kränzle als Klingsor bei der "Parsifal"-Aufführung im Konzerthaus Dortmund. Foto: Petra Coddington

Am Sonntag fand im Konzerthaus Dortmund ein denkwürdiger "Parsifal" in historischer Aufführungspraxis unter Thomas Hengelbrock statt. Das Publikum war begeistert.

Das Wagnerjahr ist noch jung, aber es gibt schon einen Meilenstein, einen Höhepunkt, der es vor allem in Hinblick auf den Wagnergesang in sich hat. Mit seinem konzertanten "Parsifal" am Sonntag im Konzerthaus Dortmund hat der in Bayreuth leider glücklose Dirigent Thomas Hengelbrock überzeugend aufgezeigt, wie bedeutend und zukunftsweisend die historische Aufführungspraxis gerade bei Wagner sein kann.

Ist das nur ein Experiment für Kenner oder gar für besonders rückwärtsgewandte Wagnerianer, wenn die Streicher wie zur Uraufführung von Wagners Bühnenweihfestspiel 1882 auf Darmsaiten und kaum ein Vibrato spielen? Wenn die Flöten konisch statt zylindrisch gebaut sind, eine Alt-Oboe erklingt, die Wagner dem Englischhorn vorzog, wenn es unter den Blechbläsern auch ein B-Horn gibt und für die tiefen Register eine Kontrabassposaune und eine Kontrabasstuba?

Wärmer, weicher, natürlicher

Nein, es ist eher umgekehrt. Denn die Klangästhetik, die bei dieser denkwürdigen Aufführung erreicht wurde, ist nicht nur leichter, schlanker, wärmer, weicher und natürlicher pulsierend als mit den heute üblichen, etwas höher gestimmten, brillanter und per se lauter klingenden Instrumenten. Sie ermöglicht, wenn Klangfülle nicht mit Lautstärke verwechselt wird und der Dirigent die Gesamtwirkung und nicht den eigenen Glanz im Auge hat, den Sängern eine viel feinere, ja delikate stimmliche Interpretation, die nichts gemein hat mit dem Klischee vom teutonischen Gebrüll, das dem Wagnergesang anhaftet, seit es ihn gibt.

Das Projekt konnte allerdings nur deshalb so gut gehen, weil Thomas Hengelbrock es nach ausgiebigem Partitur- und Quellenstudium mit Instrumentalisten und Chorsängern realisiert hat, die schon lange mit ihm in Sachen Originalklang arbeiten: der von ihm gegründete Balthasar-Neumann-Chor und das entsprechend aufgestockte Balthasar-Neumann-Ensemble. Dazu wurden von Konzerthaus-Intendanten Benedikt Stampa Gesangssolisten der absoluten Spitzenklasse engagiert, von denen noch die Rede sein soll.

Schnell, aber nie zu schnell

Zuerst sei nochmals der Dirigent hervorgehoben, denn er hat dafür gesorgt, dass bis ins Schlagwerk hinein das Instrumentarium stimmte, um möglichst ein Klangbild schaffen zu können, wie es auch Wagner vorgeschwebt haben dürfte. Was unter anderem auch den Versuch beinhaltet, eine möglichst befriedigende Lösung für die Gralsglocken zu finden. Bei Hengelbrock erklingt kein Gralsglockenklavier, wie der Bayreuther Klavierbauer Steingraeber es fürs Festspielhaus schuf, sondern eine Kombination aus Plattenglocken und tief bzw. hoch gestimmten Java- und Thai-Gongs.

Was das Tempo betrifft, so knüpft der Dirigent unmittelbar an das an, was in Bayreuth nur Clemens Krauss 1953 und später in zwei Produktionen auch Pierre Boulez realisiert hat: Mit einer Gesamtspieldauer von deutlich unter vier Stunden liegt auch Hengelbrock in jenem Zeitmaß, das den Intentionen Wagners wohl am ehesten entspricht, beklagte der doch die verschleppten Tempi seines Uraufführungsdirigenten Hermann Levi, der mit seinen vier Stunden und sechs Minuten gleichwohl zu den schnellen zählt.

Keine Spur von erhabener Müdigkeit

Wobei es weniger um Schnelligkeit an sich geht, sondern um Tempokontraste, die in der Interpretation Hengelbrocks logisch und zielgerichtet herausgearbeitet sind. Das Vorwärtsdrängen der "Parsifal"-Musik ist gerade dort wohltuend, wo in Inszenierungen wie es scheint seit Jahrhunderten erhabenes Schreiten und Feierlichkeit angesagt sind. Wie kurzweilig und enorm spannend gerade der 1. Akt "Parsifal" sein kann, bei dem schon Legionen von Wagnerianern eingeschlafen sind, war in Dortmund zu erleben.

Auch dank hervorragender und durch die Bank sehr plastisch und wortverständlich artikulierender Sänger, von denen aus meiner persönlichen Sicht Matthias Goerne als Gralskönig Amfortas die Krone gebührt, denn er hat mir zu einem "Parsifal"-Urerlebnis verholfen, hat mich mit seinem leid- und doch kunstvollen Gesang zum Weinen gebracht. Dass Johannes Martin Kränzle ein singulärer Klingsor sein würde und Angela Denoke eine bezwingende Kundry, war zu erwarten.

Ein Duft von Unschuld und Reinheit

Simon O'Neill in der Titelrolle sang bestechend sicher, hat aber in meinen Ohren die Chance für die hier möglichen leiseren und feineren Farben zu wenig genutzt. Großartig der Gurnemanz von Frank van Hove und Victor von Halems Titurel, gut besetzt die Schar der Blumenmädchen und die kleineren Rollen, unter denen die zwei Knabenstimmen als Knappen hervorgehoben werden müssen. Sie bringen, ebenso wie der Knabenchor der Dortmunder Chorakademie diesen Duft von Unschuld und Reinheit, den noch so perfekte hohe Frauenstimmen einfach nicht haben.

Apropos: Die fast protestantisch klingenden Männer- und Frauenchöre waren letztlich unterbesetzt. Nicht dass ich die körperlich spürbare Klanggewalt einer Chorhundertschaft vermisst hätte. Aber was mit dem doch kleinen Ensemble nicht so gut klappte, ist die nahtlose Verblendung, sind die zauberischen Übergänge von Chor- zu Instrumentalstimmen und umgekehrt. Angesichts der Gesamtwirkung klingt mein Einwand allerdings ziemlich beckmesserisch.

Dass das Publikum gebeten wurde, nach dem 1. Akt nicht zu klatschen: geschenkt! Und dass Kundry nach der 1. Szene des 3. Akts vom Podium ging und selbst bei dieser konzertanten Vorstellung plötzlich schrecklich fehlte, hat mir wieder einmal gezeigt, was für ein ungemein theatralisch denkender Komponist Wagner ist. Der für einen unangestrengten Wagnergesang beispielhafte "Parsifal" unter Thomas Hengelbrock wird am 26. Januar in der Philharmonie Essen nochmals aufgeführt und geht anschließend auf Gastspielreise nach Madrid ins Teatro Real. Am 19. Mai um 19.05 Uhr wird eine Aufzeichnung im Radioprogramm WDR 3 gesendet.