Ein Jahr ist es her, dass Russland mit zahlreichen Truppen in sein Nachbarland Ukraine einfiel. Ein Angriffskrieg mitten in Europa - ein Schock nicht nur für alle Ukrainer und Ukrainerinnen, sondern für die ganze Welt. „Die Welt nach dem 24. Februar 2022 ist nicht mehr dieselbe wie die Welt davor“, sagte Bundeskanzler Olaf Scholz anlässlich des Jahrestags des Kriegsbeginns.
Obwohl es in den letzten Jahrzehnten weltweit mehr als genug blutige Konflikte und auch Kriege gab, schien die Invasion Russlands doch eine neue Qualität zu besitzen. Denn in Europa wurde dieser Konflikt - anders als beispielsweise der brutale Bürger- und Stellvertreterkrieg in Syrien - als Bedrohung des Friedens in Europa und der freiheitlich-demokratischen Ordnung der westlichen Welt gesehen. Plötzlich war uns in Deutschland der Krieg so nah, wie seit dem Ende des Kalten Kriegs oder gar des Zweiten Weltkriegs nicht mehr.
Eine Zeitenwende ohne Wende?
Von einer „Zeitenwende“ sprach Bundeskanzler Olaf Scholz dann auch kurz nach Kriegsbeginn im Bundestag. Nicht müde wurden die westlichen Bündnispartner, der Ukraine unbedingte Unterstützung und Hilfe zuzusichern. „Deutschland steht fest an der Seite der Ukraine – heute und in der Zukunft“, sagte Kanzler Scholz anlässlich des Jahrestags des Kriegsbeginns. Schließlich sind die Zerstörung und das Leid in der Ukraine immens. Die UNO spricht beispielsweise von der größten Fluchtbewegung seit dem Zweiten Weltkrieg – knapp ein Drittel der 41 Millionen Einwohner der Ukraine sollen auf der Flucht sein.
Keine Frage also, dass auch die Antwort Deutschlands, der europäischen Länder und der NATO-Partner dementsprechend entschlossen und tatkräftig ausfallen musste. Oder etwa doch nicht? Eher nicht. Wenn man einen genaueren Blick auf den Krieg in der Ukraine und die Unterstützung des Westens wirft, wird schnell klar: Das gegenseitige Schulterklopfen der westlichen Staatslenker und die Mär vom geschlossen und entschlossen handelnden Westen ist genau das. Eine Geschichte, ein Symbol - aber keinesfalls der Versuch, den Konflikt und seine Folgen mit allen zur Verfügung stehenden Mitteln zu beenden.
Das belegen insbesondere die Zahlen des Instituts für Weltwirtschaft in Kiel, die seit Beginn des Krieges alle Hilfen für die Ukraine erfassen und eine Datenbank für die militärische, finanzielle und humanitäre Unterstützung der Ukraine erstellt haben. Wie ist es also tatsächlich um die Hilfe für die Ukraine bestellt?
Wie groß ist Deutschlands Hilfe tatsächlich?
Hilfen in Höhe von etwa 143 Milliarden Euro haben alle Länder gemeinsam der Ukraine zur Verfügung gestellt. Enthalten sind hier alle Hilfen: Direktzahlungen, militärische Hilfe und humanitäre Unterstützung. Etwas mehr als die Hälfte davon haben allein die USA beigesteuert. Die europäischen Länder zusammen knapp 54,9 Milliarden Euro. Der deutsche Anteil daran liegt bei fast 14 Milliarden Euro. Mehr als die Hälfte davon entfällt auf die Flüchtlingshilfe, wird also vor allem innerhalb Deutschlands ausgegeben.
Das klingt zunächst nach viel Geld. Doch allein Deutschland hat seit Januar 2022 insgesamt 250 Milliarden Euro an Energiesubventionen angekündigt. Noch einmal: Die weltweit angekündigte Hilfe für die Ukraine beträgt inklusive Material, Kriegsgeräte und Flüchtlingshilfe nicht einmal 150 Milliarden Euro. Hingegen kostete die Rettung des angeschlagenen Gasimporteurs Uniper den deutschen Steuerzahler mehr als 30 Milliarden Euro. Der Tankrabatt und das 9-Euro-Ticket hat ungefähr so viel Geld gekostet, wie die bilateralen Hilfen Deutschlands an die Ukraine.
Deutschland gab inklusive seines Anteils an den EU-Hilfen knapp 0,4 Prozent seines Bruttoinlandsprodukts (BIP) für die Ukraine-Hilfe aus. Spitzenreiter ist hier Estland, das etwas mehr als ein Prozent des BIP als Unterstützung leistete. Doch in allen Ländern zeigt sich das gleiche Bild: Für den Ausgleich der Kriegsfolgen im eigenen Land wird ein Vielfaches (zwischen dem 10- und 50-fachen) der Unterstützung für die Ukraine ausgegeben. Der Ukraine-Krieg wirkt, zynisch gesprochen, wie ein großes europäisches Subventionsprogramm.
Historischer Vergleich: Der Ukraine-Krieg und andere Krisen
Nun könnte man vermuten, dass die Hilfen für die Ukraine zumindest im Vergleich zu anderen Krisen der jüngeren Vergangenheit hoch sind. Das Kieler Institut für Weltwirtschaft hat auch darauf einen Blick geworfen. Sie verglichen die bilaterale Hilfe für die Ukraine mit den Ausgaben für den zweiten Golfkrieg 1990/91: Auch dort hatte ein überlegener Gegner sein Nachbarland überfallen, auch dort hatten die westlichen Länder ein Bündnis geschlossen, um den Aggressor abzuschrecken – hatten sich damals aber direkt militärisch engagiert. Das Fazit: Die deutsche Unterstützung im Golfkrieg war im gleichen Zeitraum mehr als dreimal so groß, wie die Hilfe an die Ukraine.
Doch man muss nicht so lange zurückblicken: Die Europäische Union hat bisher 34 Milliarden Euro an finanzieller Hilfe für die Ukraine zugesagt. Für die Abfederung der Folgen der Corona-Pandemie wurden über 800 Milliarden Euro vorgesehen. Für die Eurokrise und die Unterstützung der in die Schuldenkrise geratenen Länder um Griechenland, Irland, Spanien und Portugal flossen vor knapp 10 Jahren fast 400 Milliarden Euro.
Und auch im Vergleich mit der Bankenrettung im Nachgang der Finanzkrise im Jahr 2008 erscheinen die Hilfen für die Ukraine nicht besonders groß. Bis 2017 flossen in Deutschland laut Statista allein 21 Milliarden Euro in die Rettung der Hypo Real Estate – nur eine von mehreren Banken, die der deutsche Steuerzahler unterstützen musste.
Welche Auswirkungen die westlichen Wirtschaftssanktionen haben
Doch Deutschland und seine westlichen Partner wollten nicht nur die Ukraine unterstützen, sie wollten Russland auch durch Wirtschaftssanktionen direkt treffen. Putin sollte spüren, dass es massive wirtschaftliche Folgen hat, sich gegen das Völkerrecht zu stellen und ein souveränes Nachbarland zu überfallen.
Die Ergebnisse sind ernüchternd: Um 2,1 Prozent sank das Bruttoinlandsprodukt in Russland im Jahr 2022. Nun sind dies die Zahlen der russischen Regierung, die sicher mit Vorsicht zu genießen sind. Jedoch ist die russische Wirtschaft weit von einem kompletten ökonomischen Kollaps entfernt. Auch der Internationale Währungsfonds (IWF) prognostizierte Ende 2022 nur einen Rückgang von 3,4 Prozent.
Immerhin: Die deutschen Exporte nach Russland sind aufgrund der Sanktionen deutlich zurückgegangen. Der Wert der exportierten Waren sank von 26 Milliarden im Jahr 2021 auf 14 Milliarden Euro im ersten Kriegsjahr – ironischerweise also ungefähr auf den Betrag, den Deutschland der Ukraine an Hilfe zugesichert hat.
Hart treffen wollte man Russland aber vor allem durch die Sanktionen im Energiesektor: Der Ausstieg aus der Abhängigkeit von russischen Gaslieferungen ist laut Olaf Scholz gelungen. In den Zahlen des Jahres 2022 sieht man dies noch nicht. Tatsächlich stiegen die Importe aus Russland im vergangenen Jahr nochmals an – von 33 Milliarden Euro im Jahr 2021 auf 35 Milliarden Euro im Jahr 2022. Schuld daran sind hauptsächlich die massiv gestiegenen Kosten für Erdgas und Öl. Trotzdem: „Klare Kante“ sieht anders aus.
Und so muss man letztlich festhalten, dass die westliche Welt zwar „fest“ an der Seite der Ukraine steht. Aber eben auch ziemlich unbeweglich. Die finanzielle Unterstützung klingt zwar massiv – ist aber eben im Vergleich zu anderen Krisen und Kriegen der Vergangenheit relativ zurückhaltend. Die militärische Unterstützung kommt spät und in einem Ausmaß, das laut Militärexperten kaum zu einem durchschlagenden Erfolg der ukrainischen Streitkräfte führen wird. Die Wirtschaftssanktionen werden auf einem Niveau gehalten, welches den westlichen Ländern möglichst wenig schadet – aber eben auch Russland kaum trifft.
„Von den ersten Minuten der russischen Invasion an war Deutschland mit uns“, sagte der ukrainische Präsident Wolodymyr Selenskyj in einer Videobotschaft für die Gedenkveranstaltung im Berliner Schloss Bellevue und fuhr fort: „Deutschland hilft uns, die Ukraine vor russischem Terror zu schützen. Und Deutschland wird am Tage des Sieges der Freiheit mit uns sein.“ Das mag sein, doch angesichts der zurückhaltenden Unterstützung muss man leider befürchten, dass dieser „Tag des Sieges“ noch weit in der Zukunft liegt.