Nach Sturmflut an der Ostsee: Katastrophenschutz rechnet mit Schäden in dreistelliger Millionenhöhe

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Langsam sinken die Pegel wieder: Nach einer Sturmflut an der Ostsee von Freitag auf Samstag zieht der Leiter des Stabes Katastrophenschutz eine Bilanz und rechnet mit Schäden in dreistelligen Millionenbereich.

Update vom 21.10.2023, 11.45: Sturmflut richtet erhebliche Schäden an

Der Leiter des Stabes Katastrophenschutz im Innenministerium von Schleswig-Holstein rechnet nach der Sturmflut an der Ostsee mit einem Hochwasserschaden in dreistelliger Millionenhöhe. "Mit dem ersten Tageslicht wird man auch die Schäden erstmal konkreter erkennen", sagte Ralf Kirchhoff der Deutschen Presse-Agentur in der Nacht zum Samstag (21. Oktober 2023).

Der eigentliche Schadensumfang werde sich vermutlich im Laufe des Vormittags abzeichnen. Kirchhoff geht davon aus, dass die Schäden an Hochwasserschutzanlagen oder Gebäuden zum Teil erheblich sein werden.

Update vom 21.10.2023, 06.40 Uhr: Sturmflut an der Ostsee - die Nacht im Überblick

Deiche geraten an ihre Grenzen, Straßen werden überflutet und Bäume stürzen um. Eine schwere Sturmflut hat die Küste Schleswig-Holsteins und Mecklenburg-Vorpommerns heimgesucht. Für manche Küstenbewohner wurde es eine lange Nacht. In viele Städten kam es zu Behinderungen wegen gesperrter Straßen. Der Ostwind trieb das Wasser mit Orkanböen gegen Strände und Steilküsten.

In Flensburg wurde ein Jahrhundertwasserstand erreicht. Gegen Mitternacht kletterte der Pegel in Flensburg auf 2,27 Meter über dem mittleren Wasserstand, wie eine Sprecherin des Bundesamts für Seeschifffahrt und Hydrographie (BSH) in Rostock sagte. Erwartet worden waren "lediglich" 2 Meter. Zwar wehte der Wind noch heftig, doch gebe es Anzeichen für ein Stabilisieren der Lage.

Für die Einsatzkräfte blieb die Lage in Flensburg trotz des Rekord-Hochwassers relativ entspannt. Es seien keine Personen verletzt worden, sagte ein Sprecher des Führungsstabs der Stadt Flensburg am späten Abend. Es habe mehr Einsätze wegen des Sturms gegeben - also etwa wegen umgestürzter Bäume - als wegen des Hochwassers. Es zeichne sich ab, dass der höchste Wasserstand eventuell erreicht sei, sagte der Sprecher.

Die Straßen am Flensburger Hafen standen unter Wasser. Die Stadtwerke Flensburg hatten am Abend in Teilen des Hafens den Strom abgestellt. Wegen des Hochwassers komme es zu Kurzschlüssen und kleineren Bränden in den Verteileranlagen.

In Eckernförde überschritt der Pegelstand laut Tabelle des Umweltministeriums und Angaben des BSH gegen 22 Uhr mit 2,15 die Zwei-Meter-Marke deutlich. Vor Mitternacht fiel hier der Pegel aber deutlich.

Auf der schleswig-holsteinischen Ostseeinsel Fehmarn kam eine 33-jährige Frau in ihrem Auto ums Leben, das von einem im Sturm umgestürzten Baum getroffen wurde. Das Unglück im Kreis Ostholstein ereignete sich am Freitagnachmittag (20. Oktober 2023), wie ein Sprecher der Polizei sagte. Die Frau lebte auf der Insel.

Im 600-Einwohner-Ort Maasholm (Kreis Schleswig-Flensburg) haben die Einsatzkräfte den Deich aufgegeben. Die Bewohner in drei Ortsteilen wurden aufgefordert, Notgepäck zu packen und sich auf eine mögliche Evakuierung vorzubereiten, wie ein Sprecher des Kreises am späten Abend sagte. Eine Mehrzweckhalle sei vorbereitet worden.

In der Schleistadt Arnis, die mit gerade einmal 300 Einwohnern als die kleinste Stadt Deutschlands gilt, seien zwei Deiche gebrochen, wie der Sprecher sagte. Dies habe aber keine Auswirkungen auf die Menschen. Im Kreis Schleswig-Flensburg waren Zehntausende Sandsäcke an die betroffenen Ämter und Gemeinden ausgeteilt worden.

Schleswig-Holsteins Ministerpräsident Daniel Günther dankte allen Helfern. "Das ist eine herausfordernde Situation, und ich bin allen Helferinnen und Helfern sehr dankbar, die zurzeit im Einsatz sind", teilte der CDU-Politiker mit. "Polizei, Feuerwehr, THW und die Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter vom Landesbetrieb für Küstenschutz setzen sich dafür ein, die Situation im Griff zu behalten, und das gelingt ihnen auch." In Kiel nahm der Katastrophenschutzstab des Innenministeriums die Arbeit auf.

Bei Heringsdorf im Kreis Ostholstein wurden mehrere Campingplätze und eine Ferienhausanlage evakuiert, da das Hochwasser fast die Krone des Deichs erreichte. Das sagte ein Campingplatzbesitzer der Deutschen Presse-Agentur am Freitagabend. Noch halte der Deich aber. Nach Angaben des Innenministeriums gab es Beschädigungen an Deichen auch im Kreis Rendsburg-Eckernförde und im Kreis Schleswig. An den gefährdeten Abschnitten seien Einsatzkräfte bei Sicherungsarbeiten.

Auf der Ostsee stellten Fähren zeitweise den Dienst ein. So fuhr in Travemünde die Fähre zum Priwall teilweise nicht mehr, in Kiel wurde die Fördefährlinie eingestellt. Der Sturm über der Ostsee stoppte auch den deutsch-dänischen Fährverkehr auf den Strecken Puttgarden-Rødby und Rostock-Gedser vorübergehend.

Nach einer Sperrung der Bahnstrecke zwischen Neumünster und Brokstedt wurde der Regionalverkehr auf der Strecke am Nachmittag wieder aufgenommen. Viele Züge in Schleswig-Holstein verkehrten mit verringerter Geschwindigkeit, es kam zu Verspätungen. Ab 20.00 Uhr sollte der Bahnverkehr zwischen Eckernförde und Kiel, Rendsburg und Kiel sowie Husum und Kiel eingestellt werden.

In Wismar überschwemmte das Hochwasser Straßenzüge und Parkplätze. Der Schiffbauerdamm auf der Höhe "Am Hafen" und angrenzende Parkplätze waren laut Polizei nicht befahrbar. Nach Angaben der Wasserschutzpolizei lag der Wasserstand schon gegen Mitternacht Uhr bei 1,6 Meter über Normal.

Auch in Warnemünde stieg das Wasser deutlich an. Doch war bis zum Abend die Promenade am Alten Strom nicht überspült, so dass Spaziergänger bis zur Mole gehen konnten. In Rostock war die Lage am Abend ruhig. In Binz auf Rügen kippte eine vom Sturm entwurzelte Birke auf ein Auto. Wegen des Sturms blieb die Aussichtsplattform Skywalk am Kreidefelsen am Freitag geschlossen. In Ahrenshoop schwemmte die Sturmflut große Teile des Sandstrandes weg.

Der für Küstenschutz zuständige Minister Till Backhaus (SPD) mahnte die Menschen zur Vorsicht, auch wenn die Sturmflut zumindest für den überwiegenden Teil der Küste Mecklenburg-Vorpommerns nach den aktuellen Prognosen nicht als schwere Sturmflut einzuordnen sei.

Die Ostsee-Küste wird immer wieder von verheerenden Sturmfluten heimgesucht. Bei der schwersten Sturmflut an der südwestlichen Ostseeküste starben 1872 etwa 275 Menschen. Betroffen waren zahlreiche Orte an der dänischen und deutschen Küste.

An der Nordsee ist das Problem ganz anders

Der Sturm, der an der Ostsee das Wasser ans Land schob, drückte an der Nordsee das Wasser von der Küste weg und verursachte extrem niedrige Wasserstände. Das hatte Auswirkungen auf den Schiffverkehr. So fielen zahlreiche Fähren zu den Inseln und Halligen aus. "Das ist momentan extrem hier mit dem Wind und dem Wetter. Das hat man nicht oft", sagte Betriebsleiter Nick Obert von der Wyker Dampfschiffs-Reederei.

Erstmeldung vom 20.10.2023: Sturm trifft Ostsee 

Die Wellen der Ostsee donnern mit Wucht an die Hafenanlagen, Straßen sind zum Teil von Wasser überschwemmt, Äste stürzen auf Autos und Gleise - das Sturmtief über der Ostsee hat am Freitag (20. Oktober 2023) für Sperrungen in Ufernähe und für Schäden an Land gesorgt. Und das, obwohl das Hochwasser noch nicht den erwarteten Höchststand erreicht hat. Jetzt ist beim Sturz eines Baumes auf ein Auto im Sturm über Schleswig-Holstein ist ein Mensch getötet worden. Das Unglück ereignete sich am Nachmittag auf der Insel Fehmarn, wie ein Sprecher der Polizei sagte.

Das Bundesamt für Seeschifffahrt und Hydrographie (BSH) rechnete für die Kieler und Lübecker Bucht in der Nacht zu Samstag mit dem Höhepunkt der schweren Sturmflut. In der Flensburger Förde könnte das Wasser bis zu 2,00 Meter über das mittlere Hochwasser steigen, teilte das BSH auf seiner Internetseite mit. In der Lübecker Bucht sollte der Wasserstand bis zu 1,6 Meter über normal erreichen.

Sturmflut in Norddeutschland: Höchststand wird in der Nacht erwartet 

Mecklenburg-Vorpommern dürfte bei der Sturmflut weitgehend glimpflich davon kommen, auch wenn einige Städte mit Hochwasser rechnen müssen. Wismar dürfte am stärksten betroffen sein. Aber auch in Warnemünde und im Nordosten des Bundeslandes wurden Vorkehrungen getroffen.

Die Feuerwehr sprach am Freitagnachmittag von rund 110 Einsätzen in den Kreisen Rendsburg-Eckernförde und Plön sowie in Kiel. Neben Kiel mit 36 Einsätzen gab es Schwerpunkte in der Schleiregion, in Eckernförde und Damp, wo eine Rehaklinik mit Sandsäcken gegen das steigende Wasser gesichert wurde. "Es sind schon viele Leute, die wegen Sandsäcken anfragen", sagte ein Sprecher. Die Kiellinie und weitere Straßen in der Landeshauptstadt wurden aus Sicherheitsgründen gesperrt.

In Flensburg war die Lage zunächst noch überschaubar, wie eine Polizeisprecherin sagte. "Das Wasser kommt, es ist schon sehr weit gedrungen, es steht schon vor der Tür." Am Nachmittag standen die Straßen am Hafen unter Wasser. Im Kreis Schleswig-Flensburg waren bereits rund 30.000 Sandsäcke an die betroffenen Ämter und Gemeinden ausgeteilt worden, weitere 40.000 standen bereit. Am Freitagabend (Stand: 19.33 Uhr) ist der Wasserstand auf einen Wert von 2,05 Meter über dem normalen Wasserstand gestiegen. Das geht aus den Hochwasser-Sturmflut-Informationen des Kieler Umweltministeriums hervor. Das Bundesamt für Seeschifffahrt und Hydrographie hatte dort einen Pegelstand von bis zu 2,00 Meter über das mittlere Hochwasser erwartet. Für Flensburg ist das der höchste Wasserstand seit über 100 Jahren.

Unwetter in Norddeutschland: Feuerwehr und Polizei im Dauereinsatz

Die Stadtwerke Flensburg haben wegen des Hochwassers in Teilen des Hafens den Strom abgestellt. Betroffen seien die Straßenzüge Schiffbrücke, Norderhofenden von ZOB bis zum Nordertor, Hafenspitze und von Gosch bis zum Fischereiverein auf der Hafenostseite, teilten ein Sprecher der Stadt mit. Wegen des Hochwassers komme es zu Kurzschlüssen und kleineren Bränden in den Verteileranlegen.

Die Stadtwerke kritisierten, dass sie im Einsatzbereich durch Boote, Kanufahrer und Schaulustige auf SUP-Brettern behindert werden. "Diese Personen bringen sich selbst in Gefahr und müssen dies unbedingt unterlassen", so der Stadtsprecher.

In der Lübecker Bucht war das Wasser am Mittag ebenfalls bereits an vielen Stellen über die Ufer getreten. Zudem blockierten ungesicherte Gegenstände sowie umstürzende Bäume teilweise die Fahrbahnen in Lübeck und im Kreis Ostholstein. Polizei und Feuerwehr schleppten Fahrzeuge aus dem Gefahrenbereich und sperrten Straßen.

Deutscher Wetterdienst (DWD) erwartet orkanartige Böen 

Auf Fehmarn waren am Freitag die freiwilligen Seenotretter der Deutschen Gesellschaft zur Rettung Schiffbrüchiger zehn Urlaubern und einem Hund zu Hilfe gekommen, die auf ihren Hausbooten vom Sturm überrascht wurden. Sie mussten die schwimmenden Unterkünfte verlassen und wurden an Land gebracht. Bei Heringsdorf südlich von Fehmarn sind mehrere Campingplätze und eine Ferienhausanlage evakuiert worden, da das Hochwasser fast die Krone des Deichs erreicht habe. Das sagte ein Campingplatzbesitzer der Deutschen Presse-Agentur. Noch halte der Deich aber. 

Das Technische Hilfswerk (THW) bereitete sich auf Einsätze vor. "Wir beobachten die Lage und stehen bereit, mit unseren vielfältigen Möglichkeiten während und nach der Sturmflut Hilfe zu leisten", sagte THW-Präsidentin Sabine Lackner. Erste Maßnahmen seien angelaufen, Sandsäcke befüllt und verbaut worden.

Der Deutsche Wetterdienst (DWD) ging davon aus, dass das Sturmtief über der Ostsee am Freitagnachmittag seinen Höhepunkt erreichen und nach Mitternacht langsam abklingen wird. "Bis etwa zwei Uhr nachts sind dann an der Ostseeküste und den Inseln orkanartige Böen möglich", sagte DWD-Meteorologin Anne Wiese der dpa in Hamburg. Dabei werden Temperaturen von acht bis zehn Grad erwartet.

Fähren bleiben wegen Sturmtief in Nord- und Ostsee an Land

Auf der Elbe und in der Nordsee ist die Schifffahrt wiederum wegen extremen Niedrigwassers und Sturm eingeschränkt. Der gleiche Wind, der an der Ostsee das Wasser ans Land drückt, drückt an der Nordsee das Wasser weg. Deshalb kommt es dort zu extrem niedrigen Wasserständen. Der Fährverkehr von und zu mehreren Ostfriesischen Inseln ist eingestellt worden, weil die Wasserstände zu niedrig waren. Die Inseln Juist, Baltrum, Spiekeroog und Wangerooge waren nicht mit Fährschiffen zu erreichen, wie die Fährgesellschaften auf ihren Internetseiten mitteilten. Im Fährverkehr zu den Inseln Langeoog und Norderney kam es ebenfalls zu Ausfällen und veränderten Abfahrtszeiten.

Auch in der Ostsee stellten Fähren zeitweise den Dienst ein. So fuhr in Travemünde die Fähre zum Priwall teilweise nicht mehr, in Kiel wurde die Fördefährlinie zwischen der Bahnhofsbrücke in der Innenstadt und Laboe eingestellt. Der Sturm über der Ostsee stoppte auch den deutsch-dänischen Fährverkehr auf den Strecken Puttgarden-Rødby und Rostock-Gedser vorübergehend.

Nach einer Sperrung der Bahnstrecke zwischen Neumünster und Brokstedt wurde der Regionalverkehr auf der Strecke am Nachmittag wieder aufgenommen. Viele Züge in Schleswig-Holstein verkehrten mit verringerter Geschwindigkeit, es kam zu Verspätungen. Ab 20 Uhr sollte der Bahnverkehr zwischen Eckernförde und Kiel, Rendsburg und Kiel sowie Husum und Kiel eingestellt werden.

Einschränkungen auch auf der Schiene und in der Luft 

Am Kopenhagener Flughafen fiel am Freitag rund jeder zehnte Flug aus. Die Sturmflut hat auch die Küsten im Süden und Osten Dänemarks erreicht und zu Stromausfällen und Evakuierungen geführt. Die Polizei forderte Anwohner und Urlauber am Freitagnachmittag dazu auf, die Gegend um Sandersvig Strand sofort zu verlassen. In der Sommerhaussiedlung nahe Haderslev (Hadersleben) in Südostjütland war demnach ein Deich gebrochen. Auch auf der Insel Møn im Südosten Dänemarks wurden die Bewohner einer Sommerhausgegend gebeten, ihre Häuser bis zum Freitagabend zu verlassen. Etwa 200 dänische Haushalte waren am Freitagnachmittag vom Stromnetz abgeschnitten.

Vorschaubild: © Georg Moritz/dpa