Die Absage des Kanzlers an eine Lieferung von Taurus-Raketen in die Ukraine hat in seiner Ampel-Koalition viele nicht überzeugt. Jetzt stuft Scholz sein Nein quasi zu einem Kanzler-Machtwort hoch.
Bis heute nimmt Olaf Scholz den Namen der Waffe nicht in den Mund, die ihm seit Monaten quälende Fragen beschert. Inzwischen vergeht kaum ein Tag, an dem der Kanzler nicht mit Taurus konfrontiert wird. Der gut fünf Meter lange und 1,4 Tonnen schwere Marschflugkörper der Bundeswehr, mit dem Ziele in 500 Kilometern Entfernung mit höchster Präzision getroffen werden können, ist zu einem handfesten Problem für ihn geworden.
Erst war es nur eine innenpolitische Streitfrage zwischen den Ampel-Koalitionären, ob die Raketen in die Ukraine geliefert werden sollen oder nicht. Seit Scholz vergangene Woche sein Schweigen über Taurus gebrochen hat, interessieren sich aber auch die Verbündeten verstärkt dafür. Der Vorwurf der Indiskretion steht im Raum. Und jetzt kommt auch noch das von Russland abgefangene Gespräch von Bundeswehr-Offizieren hinzu, die 38 Minuten lang alles ausplaudern, was man über die Hochpräzisionswaffen schon immer wissen wollte.
Die Union hält das alles für so gravierend, dass sie sogar einen Untersuchungsausschuss des Bundestags ins Gespräch bringt. Wie gefährlich kann die Debatte für den Kanzler werden?
Problem eins: Sicherheitsrisiko Deutschland?
In dem Gespräch der Offiziere auf Einladung von Luftwaffeninspekteur Ingo Gerhartz werden zwar keine konkreten Angriffspläne diskutiert. Aber es werden jede Menge Details über Taurus genannt, die bisher nicht öffentlich bekannt waren. Zum Beispiel, wie viele Raketen im Wert von jeweils fast einer Million Euro aus Sicht der Militärs im Fall einer positiven politischen Entscheidung geliefert werden könnten (bis zu 100). Und wie viele möglicherweise gebraucht würden, um die Brücke von Russland auf die ukrainische Halbinsel Krim zu zerstören (möglicherweise 10 bis 20).
Ein peinlicher Vorgang, der auch bei den Bündnispartnern für Unmut sorgt. «Wir wissen, dass Deutschland stark von russischen Geheimdiensten durchdrungen ist. Das zeigt, dass es weder sicher noch zuverlässig ist», sagte beispielsweise der britische Ex-Verteidigungsminister Ben Wallace der Zeitung «Times».
Problem zwei: Indiskretion gegenüber Verbündeten?
Die Briten sind ohnehin schon massiv verärgert, seit Scholz vor einer Woche die Gründe für sein Nein zu einer Taurus-Lieferung in die Ukraine erstmals öffentlich dargelegt hat. «Was an Zielsteuerung und an Begleitung der Zielsteuerung vonseiten der Briten und Franzosen gemacht wird, kann in Deutschland nicht gemacht werden», sagte der Kanzler bei der dpa-Chefredaktionskonferenz. Was er genau damit meint, ließ er zwar offen. Der Satz wurde aber von einigen als Hinweis verstanden, Franzosen und Briten würden die Steuerung ihrer an die Ukraine gelieferten Marschflugkörper Storm Shadow und Scalp mit eigenen Kräften unterstützen.
Die britische Regierung dementierte das umgehend. Luftwaffeninspekteur Gerhartz sagt aber in dem abgehörten Gespräch, die Briten hätten ein «paar Leute vor Ort», die nicht nur die eigenen Marschflugkörper Storm Shadow mit Zieldaten versorgen, sondern den Ukrainern auch bei der Programmierung der praktisch identischen französischen Scalp helfen würden. Die Briten haben nach Angaben des Generals sogar bereits ihre Hilfsbereitschaft für den Taurus angeboten: «Da haben sie mir schon gesagt: Ja, Herrgott, sie würden auch den Ukrainern beim Taurus-Loading über die Schulter gucken.»