Schönheit und Scheußlichkeit: Bamberger Hegelwoche eröffnet

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Prof. Christian Illies sprach im Audimax der Bamberger Universität. Fotos: Ronald Rinklef
Prof. Christian Illies sprach im Audimax der Bamberger Universität. Fotos: Ronald Rinklef
 
 
 
 
Andreas Grüner
Andreas Grüner
 
 
 
 
 
 
 
 
 

Mit Schönheit und Scheußlichkeit im alten Griechenland beschäftigte sich der Eröffnungsvortrag Andreas Grüners am ersten Tag der Bamberger Hegelwoche.

"Edle Einfalt und stille Größe": Diese Sentenz Johann Joachim Winckelmanns von 1755 ist dem viertelgebildeten Mitteleuropäer als Charakteristik antiker Statuen im Gedächtnis hängen geblieben, als normierende Beschreibung eines so abstrakten Begriffs wie "Schönheit" auch. Was, wenn diese Normierung nur für einen kleinen Teil der griechischen Klassik zuträfe, dagegen Groteskes, Abstoßendes, Hässliches ebenso ihren Platz gefunden hätten?

Das wäre für die meisten zumindest überraschend. Für Überraschungen sorgte der Erlanger Archäologe Andreas Grüner, der am Dienstagabend den Hauptvortrag zur Eröffnung der 27. Bamberger Hegelwoche hielt, die von Universität, Stadt und Mediengruppe Oberfranken veranstaltet wird. Zuvor hatte OB Andreas Starke in einer überraschend langen Rede in die diesjährige Thematik "Schön und scheußlich? Wege der Ästhetik jenseits der Hässlichkeit" eingeführt, ausführlicher fast als der Spiritus Rector der Reihe, der Bamberger akademische Philosoph Christian Illies. Der allerdings machte seinem Spezialgebiet, der philosophischen Anthropologie, alle Ehre, indem er der Frage nach Kriterien für Schönheit und Hässlichkeit quasi ab ovo, ab Urschlamm nachging.


Schönes in der Evolution

Denn in seinem launigen Vortrag, der das allzu ernsthafte akademische Philosophieren der ersten Hegelwochen-Jahre konterkarierte, suchte Illies nach einer "tief eingewurzelten Freude am Schönen" im Humanen, dem er in der Entstehung der sexuellen Selektion vor Hunderten Millionen Jahren nachspürte. Denn Schönheit, besser sexuelle Attraktivität, verschaffe einen evolutionären Vorteil: "Die Männchen werden immer schöner, die Weibchen entwickeln immer mehr Geschmack." Dem (menschlichen) Wesen, das unvermeidlich ästhetisch reagiere, sagte der Hegelianer Illies dann als Antipode eine "fast reflexhafte Faszination am Hässlichen" nach, um die erkenntnisleitenden Fragen der drei Hegel-Abende zu benennen: Was ist scheußlich? Wie verändert sich der Geschmack? Wie könnten Schönheit und Hässlichkeit zu einer neuen, "höheren" Symbiose kommen?


Ideale Schönheit gibt es nicht

Zunächst einmal jedoch führte der gebürtige Bamberger Andreas Grüner vom Erlanger Lehrstuhl für klassische Archäologie in die Materie ein mit einem kunstgeschichtlichen Abriss des Schönen und Scheußlichen im klassischen Griechenland, über die "Erfindung der Hässlichkeit". Gleich eingangs desavouierte er manches Klischee, das möglicherweise in den Köpfen der Zuhörer herumspukte: Die ideale Schönheit "der Griechen" gebe es nicht. Unsere Vorstellung von altgriechischer Schönheit und Hässlichkeit tauge nichts. Und: "Die Vorstellung von Schönheit ändert sich ständig."

Auch im klassischen Griechenland. Dies zu beweisen, arbeitete Grüner materialreich das 7. bis 2. Jahrhundert v. d. Z. ab. Erstaunliches kam zu Tage: Etwa, dass körperliche Deformation von den mythischen Gorgonen bis zum trivialen Horrorfilm unserer Tage eine Standardstrategie des Schreckens ist. Erhabenes und Schreckliches kontrastieren. Im 6. Jahrhundert taucht eine Antiästhetik auf Gefäßen auf, die mit Darstellungen alkoholischer und sexueller Exzesse verziert werden. Bedenkenswert bis heute: Das Hässliche gilt als das moralisch Schlechte. "So werden Grenzen in und zwischen Gesellschaften gezogen", bis hin zur Nazi-Propaganda. Schon in der antiken Polis werden Nichtgriechen, Intellektuelle und soziale Außenseiter aller Art durch körperliche Andersartigkeit diskriminiert.

Aristoteles wird im 4. Jahrhundert realistisch dargestellt, mit all seinen Falten, seinen ins Gesicht fallenden Haarsträhnen, als "hässliches, böses Monster", eine "neue Hässlichkeit". Eine neue Hässlichkeit, die im 3. und 2. Jahrhundert zum Kult gerinnt. Groteske Tonfiguren werden massenweise hergestellt und finden wohl massenhaft Verbreitung, Figürchen mit Symptomen schwerer Körperbehinderung, allen Möglichkeiten der Deformation. Auch im Pergamon-Altar sehen wir Emotionen, einen zähnefletschenden Giganten. Dagegen wieder ein Bettler aus kostbarem schwarzem Marmor: "Hässliches wird zum ästhetischen Erlebnis." Und, befremdlich für uns Heutige: Das Scheußliche, Deformierte, das soziale Elend erregten offenbar kein Mitleid, sondern waren Quellen der Heiterkeit. Was auf ein Fazit des Grüner'schen Vortrags verwies: "die ethische Belastung des Hässlichen als Form des Schlechten".

Was gilt im alten Griechenland dann als schön? Kennen wir nicht das eingangs zitierte Winckelmann'sche Ideal? Das Schöne muss logisch begründet sein, "klassischen" Proportionen folgen, "Produkt einer mathematischen Ästhetik" sein. An der "Medusa Rondanini", einem schon von Goethe verehrten Medusenhaupt, demonstrierte der Referent feine Nuancen der Abweichung vom Schönen.

Was haben wir in dem extensiven Vortrag nun erfahren? "Es gab keine schöne Antike und keine antike Schönheit. Hässlichkeit zog sich durch die ganze Antike." Sensibel sollten wir sein für die Verknüpfung des Hässlichen mit dem Schlechten, das in den archaischen Zeiten seinen Anfang nahm. Bis zu einer "autonomen Ästhetik des Hässlichen" im 20. Jahrhundert war noch ein weiter Weg.

Weit ist es auch noch bis zu einer Synthese von Schönheit und Scheußlichkeit, die diese Hegelwoche zumindest andeuten will. Vielleicht weist der Abend heute mit dem russischen Künstler Maxim Kantor Wege, der laut Ankündigung hinter der Hässlichkeit eine andere Schönheit sucht. Gestern bereits hatte Mark Roche seine Gedanken zur Kunst mit Hegels Philosophie zu vereinen gesucht.