Auch Männer können psychisch erkranken. Das wird seit Jahrtausenden verharmlost und unter den Tisch gekehrt. Die Gesellschaft sollte Betroffene ernst nehmen und ihnen die Last eines veralteten Rollenbildes gar nicht erst aufbürden. Denn: Depressionen können tödlich enden. Ein Kommentar.
Die Gesellschaft sollte Depressionen bei Männern nicht verharmlosen. Betroffene verdienen nicht nur Gehör, sondern auch Behandlung. Was sie nicht verdienen, ist ein Herunterspielen der Krankheit. Eines ist sicher: Depression kann tödlich enden – und ja, auch bei großen und starken Männern.
Nach Angaben der Stiftung Deutsche Depressionshilfe ist jede*r fünfte Deutsche im Laufe seines*ihres Lebens von einer Depression betroffen. Das sind 16.626.000 (!) Menschen und die benötigen Hilfe. Viele davon bekommen keine und halten ihre Krankheit unter Verschluss. Ja, es ist eine Krankheit und keine bloße schlechte Laune, die der*die Normalbürger*in manchmal empfindet. Denn den Unterschied zwischen Ärger über einen Fleck auf der Kleidung und dem erdrückenden Gefühl innerer Antriebslosigkeit sollte jeder auseinander halten können.
Bei Depressionen besteht Lebensgefahr - vor allem für Männer
Im Laufe eines Jahres erkranken sage und schreibe 5,3 Millionen Erwachsene zwischen 18 und 79 Jahren an einer Depression. Was die meisten nicht sehen wollen: Diese Krankheit ist lebensgefährlich - besonders für Männer. Jährlich sterben doppelt so viele Männer durch Suizid, wie Frauen. Ein erschreckend großer Anteil der Männer, die ihr Leben beendeten, fielen ihrer Depression zum Opfer und das sind lediglich die Zahlen, die Forschende zweifelsfrei zuordnen konnten.
Frauen erhalten doppelt so häufig wie Männer die Diagnose Depression. Das liegt aber ganz sicher nicht daran, dass diese Krankheit Frauensache ist. Untersuchungen der Deutschen Gesellschaft für Mann und Gesundheit (DGMG) haben herausgefunden, dass Männer seltener zum Arzt gehen als Frauen. Sie wollen nicht schwach oder verweichlicht wirken. Deshalb stellen zu viele Männer ihre Gesundheit zu Unrecht hinten an. Wie sollen sie also diagnostiziert werden? Die Dunkelziffer depressiver Männer muss furchtbar hoch sein.
"Damals gab es diesen Firlefanz doch auch noch nicht." So oder so ähnlich formulieren Männer häufig Äußerungen, wenn es darum geht, dass immer mehr Menschen an Depressionen leiden – egal welches biologischen Geschlechts. Doch alle, die dieser Behauptung Glauben schenken, liegen falsch. Schon zu Zeiten dieses glorifizierten "Damals" litten Männer an psychischen Krankheiten. Aufgrund der unzeitgemäßen Rollenerwartungen an Männer verbargen sie ihre ernstzunehmenden Leiden lediglich.
"Melancholie": Verharmlosung durch die Jahrtausende
Forschende bezeichneten Depression im früheren Sprachgebrauch als "Melancholie". Ein schönes, melodisches Wort und deshalb völlig unpassend für das potenziell todbringende Krankheitsbild, das sich dahinter versteckt. Schon damals verharmloste die Gesellschaft die Krankheit. Humanbiologe Peter Ansari fand heraus, dass bereits um 430 bis 410 vor Christus Männern an Depressionen litten. Auch im 20. Jahrhundert gab es Forschung, die die Verbreitung der Krankheit eindeutig beweist. Also auch während dieses romantisierten "damals" waren Männer depressiv. Das Thema ist also alles andere als eine neumodische Überdramatisierung schlechter Laune. Wer etwas anderes behauptet, ignoriert die Fakten.
Im Jahr 2022 sind zu viele Männer noch der Meinung, dem veralteten Rollenbild des dominant-maskulinen Mannes entsprechen zu müssen – psychisch und physisch. "Männer weinen nicht" ist daher bedauerlicherweise nach wie vor eine weit verbreitete Meinung. Die Stiftung Männergesundheit fand in einer Befragung im November heraus, dass ein Viertel der jungen Männer weiterhin an diesem Rollenbild festhält. Diese Zahl ist unnötig hoch.