Eine intelligente Regie und lustvoll aufspielende Schauspieler versetzen August von Kotzebues 200 Jahre alte Komödie "Die deutschen Kleinstädter" in die Jetztzeit. Deutsche Schlager geben dem Idyll den ironischen Rest.
So ist es also, das Leben in der Provinz: Kirmesmusik dudelt, der Rasen ist plüschig grün, Koniferen ragen phallisch empor, das Leben dreht sich im Kreis wie die Figuren, wie die Dame, die Tag für Tag Hundehaufen in Plastiktüten packt.
Ist es so? Ein bisschen bestimmt, wenn auch Kurt Tucholsky, im Programmheft zu "Krähwinkel. Eine Komödie mit Schlagermusik" nach August von Kotzebue zitiert, schon 1923 begründete Zweifel äußerte. Die deutschen Kleinstädter nahm Kotzebue, damals Starautor, eher liebevoll denn böse aufs Korn, und dem Team des E.T.A.-Hoffmann-Theaters stellte sich die Aufgabe, wie mit dieser 200 Jahre alten Klamotte heute umzugehen ist. Regisseurin Isabel Osthues und Dramaturg Remsi Al Khalisi haben den einzig denkbaren Weg gewählt: Ironisierung und Subversion durch Überaffirmation.
So sehen wir die Figuren zeitlos zwar, doch entfernt an die Fünfziger erinnernd (Kostüme Mascha Schubert) in einem quietschebunten Ambiente (Bühnenbild Jeremias Böttcher) herumtaumeln, und die tausendfach abgenudelte Handlung vom Mädchen, das dem einen versprochen ist, doch den andern bekommen muss, wird flankiert von ähnlich übertrieben interpretierten deutschen Schlagern (Arrangements Timo Willecke). So reiht sich die Geschichte der sprichwörtlich gewordenen Krähwinkler ins Bamberger Spielzeit-Thema der deutschen Befindlichkeiten. Komische Effekte zeitigt überdies der Kontrast zwischen der Sprache der Goethezeit ("kapabel", "gespiesen", etwas "Importantes") und dem Jargon heutiger Tage wie "das mir wurscht" oder "megafette Aussicht". So wie auch Laubbläser oder Handy als Requisiten dienen.
Die Geschichte der Bürgermeisterstochter Sabinchen (hinreißend naiv-frech Anna Döing), das dem Bau-, Berg- und Weginspektorssubstituten Sperling (Bertram Maxim Gärtner) versprochen ist, doch den Residenzstädter Karl Olmers (Daniel Seniuk) liebt, ist mit der nötigen Verve, mit Tempo und boulevardeskem Klamauk angefüttert, dass es nur so rauscht. Bzw. mariannerosenbergisch sehnsüchtelt "Er gehört zu mir" oder mit Cliff Richards "Rote Lippen soll man küssen" verschwitzt-verklemmt erotisch daherkommt, wie der Schlager nun mal ist. Was die Frau Oberfloß- und Fischmeisterswitwe Brendel (Pina Kühr) lasziv visualisiert.
Dieser Theaterspaß lebt überhaupt von den Schauspielern, die sichtlich lustvoll ihre Outriertheit zelebrieren. Da ist noch die Cousine Morgenrot (Ronja Losert), der Vizekirchenvorsteher Staar (Eckhart Neuberg), Bürgermeister Staar (Volker Ringe) natürlich, da ist der Substitut Sperling (Bertram Maxim Gärtner), der gekonnt die abgedroschenen Posen der Schlagersänger (Roland Kaiser!) parodiert. Da ist vor allem die überragende Katharina Brenner als Frau Untersteuereinnehmerin, die nach ihrer düsteren Nibelungen-Rolle auch mit einem immensen komischen Talent überzeugt - und mit Sangeskünsten, die nicht allen im Ensemble hundertprozentig gegeben sind.
Ja, und sind sie nun so, die Kleinstädter? Wissend lachte das Publikum, wenn ein "fränkisches Rom" eingeflochten ward, ein Goblmoo oder ein Aphorismus von Gerhard C. Krischker. Die Titelsucht der spätfeudalistischen Gesellschaft ist in der bürgerlichen ersetzt durch - das Geld. Renommisterei ist wohl genauso wenig ausgestorben wie das sanfte Hinköcheln im eigenen Sud aus Neid und Klatsch, was in der kleinen Stadt in der Tat verbreiteter sein mag als in der großen. Auch dass vom Neubürger hauptsächlich Anpassung an provinzielle Gepflogenheiten erwartet wird und der dem Gebot willfährig gehorcht, mag so weit hergeholt nicht sein. Insofern war das alles klug gemacht und heimste großen Schlussbeifall ein. Nach den schwerblütigen Inszenierungen am Bamberger Theater in dieser Spielzeit bisher ist derart leichte Kost eine Erholung. Man muss das nicht sehr lustig finden, muss sich aber nicht schämen, falls man es doch tut.
Termine und Karten
Weitere Vorstellungen im Großen Haus des E.T.A.-Hoffmann-Theaters 12., 13., 17., 18., 30., 31. Dezember, 2., 3., 16. Januar
Karten Telefon 0951/873030, E-Mail kasse@theater.bamberg.de, bvd, Tel. 0951/98082-20, u. a.