Macht ein EU-Urteil Änderungen am deutschen Mindestlohn-System notwendig? Vertreter von Arbeitnehmern und Arbeitgebern sowie die Politik blicken an diesem Dienstag gespannt nach Luxemburg.
Der Europäische Gerichtshof entscheidet heute über die Zukunft der EU-Mindestlohnrichtlinie. Die Richterinnen und Richter der Großen Kammer müssen entscheiden, ob das 2022 von den EU-Staaten per Mehrheitsentscheidung beschlossene Regelwerk mit den europäischen Verträgen im Einklang steht. Dänemark ficht das mit Unterstützung von Schweden an und hatte deswegen Anfang 2023 Klage eingereicht.
Die EU-Richtlinie über angemessene Mindestlöhne definiert Standards, wie gesetzliche Mindestlöhne festgelegt, aktualisiert und durchgesetzt werden sollen.
Dänemark argumentiert, dass der EU-Gesetzgeber mit dem Erlass der Richtlinie seine Kompetenzen überschritten habe. Es bezieht sich dabei auf den Vertrag über die Arbeitsweise der Europäischen Union (AEUV). Mit diesem werden aus Sicht Dänemarks unter anderem Richtlinien für Arbeitsbedingungen möglich gemacht, nicht aber für das Arbeitsentgelt.
Generalanwalt für Abschaffung der Richtlinie
In seinen Schlussanträgen zu dem Verfahren war der zuständige Generalanwalt des EuGH der Argumentation in zentralen Punkten gefolgt und hatte dem Gerichtshof empfohlen, die Richtlinie in vollem Umfang für nichtig zu erklären. Die Richter sind daran allerdings nicht gebunden.
Sollte die Mindestlohnrichtlinie gekippt werden, würde in Deutschland die Diskussion darüber hinfällig werden, ob die bereits seit elf Jahren geltenden nationalen Regelungen im Mindestlohngesetz an EU-Recht angepasst werden müssen. In diesem Zusammenhang gibt es beispielsweise seit längerem die Forderung, den Mindestlohn auf Grundlage eines in der EU-Richtlinie erwähnten Referenzwertes festzulegen. Dies würde es erfordern, dass Arbeitgeber mindestens 60 Prozent des mittleren Bruttolohns in Deutschland zahlen. Der mittlere Bruttolohn ist dabei der Lohn, bei dem die eine Hälfte der Beschäftigten mehr und die andere Hälfte der Beschäftigten weniger verdienen.
Muss Deutschland den Mindestlohn auf 15 Euro erhöhen?
Die Bundesregierung hatte jüngst beschlossen, dass der derzeitige Mindestlohn in Höhe von 12,82 Euro zum 1. Januar auf 13,90 Euro pro Stunde und ein Jahr später um weitere 70 Cent auf 14,60 pro Stunde steigt. Bei Verwendung des mittleren Lohns hätte er allerdings nach Gewerkschaftsangaben eigentlich auf mehr als 15 Euro angehoben werden müssen.
Nach der Richtlinie müsste Deutschland zudem einen Aktionsplan zur Förderung von Tarifverhandlungen vorlegen, weil in der Bundesrepublik zuletzt nur rund 50 Prozent der Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer in einem per Tarifvertrag geregelten Beschäftigungsverhältnis waren. Das zielt darauf ab, den Anteil der Arbeitsverhältnisse zu erhöhen, für die ein Tarifvertrag gilt. Nicht nötig ist ein Aktionsplan laut Richtlinie nur dann, wenn die tarifvertragliche Abdeckung bei 80 Prozent oder höher liegt.