Leben am Minimum

2 Min

Er hat eine Vollzeitstelle, sie einen Putzjob. Trotzdem erreicht eine Familie aus den Haßbergen das Existenzminimum nur mit staatlicher Unterstützung.

Eine junge Frau wie viele andere. Sie trägt zeitlose schwarze Kleidung, auf den Augenlidern leuchtet blauer Lidschatten. Sie ist Ende 20, lebt in einem Dorf im Kreis Haßberge, hat drei Kinder. Die junge Frau könnte Claudia Müller heißen, zum Beispiel. In diesem Artikel wird sie so genannt. Claudia Müller* möchte anonym bleiben. "Es ist kein Geheimnis, dass wir Hartz-IV kriegen", sagt sie. "Aber es muss auch nicht jeder wissen. Es geht niemanden 'was an, ob man ein Mordsgeld hat, oder nicht." Seit zwei Jahren bekommt die Familie Hartz-IV; sie zählen zu den Aufstockern, Menschen, die arbeiten, aber so wenig verdienen, dass es nicht fürs Existenzminimum reicht. Claudia Müller geht abends putzen, ihr Mann arbeitet Vollzeit. "Die Leute denken, wenn einer Hartz-IV kriegt, ist er asozial", sagt die junge Mutter. "Oft kann man aber gar nichts dafür."
Etwa 1,4 Millionen Aufstocker gibt es in Deutschland, ein Drittel der arbeitsfähigen Hartz-IV-Empfänger hat einen Job. Die Verteilung im Bereich des Jobcenters Haßberge ist ähnlich: Unter den 1850 arbeitsfähigen Hartz-IV-Empfängern sind 600 Aufstocker. "Erwerbstätige Arbeitslosengeld-II-Bezieher" heißen sie offiziell. "Dazu zählen alle, die etwas verdienen: auch Mini-Jobber, Selbstständige und Lehrlinge", erklärt Wilfried Reus. Als Sachbearbeiter beim Jobcenter ist er auch für die Müllers zuständig. Er schätzt sie als motiviert ein, immer wieder haben sie versucht, ohne staatliche Unterstützung auszukommen. "Der Mann hat eine Umschulung gemacht und erfolgreich durchgestanden. Gleich im nächsten Monat hatte er eine Stelle", sagt Reus. Trotz Vollzeit-Job im Drei-Schicht-Betrieb reichte der Verdienst bei der Leiharbeitsfirma aber nicht, um die Familie durchzubringen. "Oft ist es so, dass die Firmen erst einmal über eine Zeitarbeitsfirma einstellen und gute Leute dann übernehmen", sagt der Arbeitsberater. Viele Leute würden über eine Leiharbeitsfirma den Sprung in eine Festanstellung schaffen.
So war es auch bei Müllers. Im Oktober verdiente der Mann brutto 1300 Euro - 500 mehr als die Monate vorher. Er arbeitete genausoviel, machte die gleiche Arbeit, im gleichen Drei-Schicht-System, bei der gleichen Firma wie vorher. Aber jetzt war er direkt dort angestellt. "Meine Meinung über Leiharbeit? Ganz ehrlich?", fragt Claudia Müller. "Das ist Ausbeutung! Wenn ich sehe, was die Leiharbeitsfirmen von den Arbeitgebern bezahlt kriegen - und wie sie die Leute dann abzocken."
In der Debatte um Hartz-IV fordern SPD, Grüne und Linke einen Mindestlohn für Leiharbeiter. "Das müssten schon sieben oder acht Euro sein", findet Claudia Müller. "Gerade mit Schichtbetrieb und Fahrtkosten - sonst lohnt sich's gar nicht." Leiharbeit sieht sie vor allem als Möglichkeit, "reinzukommen" in eine Firma. In eine Festanstellung. Mit dem Einkommen des Mannes, dem Putzjob und den 558 Euro Kindergeld hätten Müllers ohne Unterstützung vom Amt leben können. "Aber es klappt einfach nicht. Einen Tag vor Weihnachten kam der Genickschlag. Die Firma hat einen Großauftrag verloren, mein Mann wurde entlassen."
Wieder Leiharbeit, wieder Hartz-IV
Claudia Müller ist froh, dass sie für ihren Sohn zu Weihnachten nicht den gebrauchten Nintendo DS gekauft hat, den er sich seit über einem Jahr wünscht. Stattdessen gab es Kleidung. Auch aus dem Kung-Fu-Unterricht wird wieder nichts. "Es ist schwierig, den Kindern 'was zu ermöglichen", sagt die Mutter. "Wir waren noch nie im Urlaub. Mal im Nürnberger Zoo oder zum Schauen am Flughafen." Auch Tagesausflüge kann sich die junge Familie nur selten leisten. "Aber das Schlimmste ist, nicht zu wissen, wie es weitergeht", sagt Claudia Müller. Wieder einmal sieht es aus, als wäre Leiharbeit die einzige Möglichkeit, "reinzukommen" - und irgendwann rauszukommen aus Hartz-IV.

*Namen von der Redaktion geändert.