Jürgen von der Lippe surft mit billiger PR auf der Gender-Welle: Haben wir denn keine wichtigeren Themen? 

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Ein Kommentar von Io Görz
Jürgen von der Lippe mag das "Gendern " nicht
Gendergerechte Sprache erregt häufig die Gemüter. Das weiß auch Jürgen von der Lippe und surft auf der Welle der Empörung . Gender-Kritik als billige PR?
Jürgen von der Lippe mag das "Gendern " nicht
Bernd Weißbrod (dpa)

Ständig glaubt ein alternder Ex-Promi, sich über das Thema gendergerechter Sprache profilieren zu müssen. Nun ist Jürgen von der Lippe auf den Gender-Trichter gekommen. Muss das sein? Ein Kommentar.

Bald vergeht keine Woche mehr, in der nicht ein, meist älterer, Herr einer großen deutschen Tages- oder Wochenzeitung ein Interview gibt, in dem er sich über die „Gender-Sprache“ echauffiert. 

Dieses Mal hat Jürgen von der Lippe den Staffelstab aufgenommen und die üblichen Sprechblasen übers Gendern abgesondert. Die Mehrheit der Deutschen sei ja gegen geschlechtergerechte Sprache und es solle nichts von oben verordnet werden. Überhaupt sollten alle beim generischen Maskulinum bleiben: „da kann sich jeder zu Hause fühlen“, so von der Lippe im Interview mit Welt.de

Billige PR für das Buch eines Ex-Promis

Es dürfte kaum verwundern, dass Jürgen von der Lippe demnächst ein Buch herausbringt. Zum Standard-Repertoire des Bücher-Marketings scheint inzwischen ein beleidigt-bestürztes Interview zum Thema genderinklusive Sprache zu gehören. Klappt ja. Wer würde sonst über die Ergüsse eines Ex-TV-Stars reden? Genau – niemand. Und mit dem Thema „Gendern“ kann man wenigstens zuverlässig Emotionen hervorrufen und eine Scheindebatte aufrühren, die sonst eigentlich keiner führt. 

Jetzt möchte ich nämlich mal eine Frage stellen, die sonst so gerne von den sogenannten „Gender-Kritikern“ bemüht wird: Gibt es denn nichts Wichtigeres als „Gendern“? Haben wir keine dringenderen Themen? Natürlich, aber gerade die Menschen, die sonst diese floskelhafte Frage stellen, tun offenbar nichts lieber, als ständig darüber zu reden und die immer gleichen Floskeln zu dreschen. 

Also dann, schreiten wir auch in dieser Woche wieder zum ritualisierten Abspulen des Drohgespensts einer drohenden Sternchen-Diktatur, in der allen Sprache „von oben“ aufgezwungen wird und sowieso der Untergang von Kultur und Sprache drohen. Erneut kann sich eine öffentliche Person als Opfer einer angeblichen „Cancel culture“ inszenieren, sobald Kritik an den nicht eben originellen Aussagen kommt und wird dafür mit Talkshow-Einladungen und Buchverkäufen belohnt. 

Perfide: Queere Community wird vor den Karren gespannt

Besonders perfide finde ich jedoch, dass Jürgen von der Lippe sich erdreistet, queere Menschen für seine persönliche Sprach-Vendetta und sein Buchmarketing zu vereinnahmen: „Wenn ich selbst queer wäre, also schwul, lesbisch, bi-, trans- oder intersexuell, wäre ich beleidigt, dass ich nur von so einem kleinen Zeichen repräsentiert werden soll“, maßt er sich im Welt-Interview an. 

Ich weigere mich als queere Person, vor den PR-Zug eines aufmerksamkeitsheischenden Ex-Promis spannen zu lassen. Auch hier unterstellt er etwas, das so gar nicht zutrifft: Diversität wird nicht nur durch ein Zeichen repräsentiert – Sprache ist zwar ein wichtiger Teil von Repräsentation, aber sicher nicht alles dabei. Natürlich gehört zu Inklusion und Gleichberechtigung mehr als gerechtere Sprache, aber das behauptet ja auch niemand – außer „Gender-Kritiker“ wie Jürgen von der Lippe. 

Herr von der Lippe kann sprechen und schreiben, wie er möchte, das ist ihm nicht vorzuschreiben. Aber es wäre schon angenehmer, würde er andere, die sich um geschlechtergerechtere Sprache bemühen, einfach in Frieden lassen, anstatt sie für billige PR zu benutzen. Denn letztlich bleibt von der vielen empört gerührten, heißen Luft nur: Jürgen von der Lippe mag das "Gendern" nicht. Aha. Und jetzt?