Er war der Proletarier unter den Rock-Größen der Sechziger. Das machte Joe Cocker umso glaubwürdiger. Der kommerzielle Erfolg seiner mittleren und späten Jahre war erkauft durch eine stromlinienförmige Musik.
In der Ikonografie der frühen Rockmusik sind einige Bildsequenzen wie eingemeißelt: die brennende Gitarre Jimi Hendrix' in Monterey 1967, Jim Morrison randalierend in Miami 1968 und Joe Cocker auf dem Woodstock-Festival 1969. Da stand ein schmächtiger 25-Jähriger auf der Bühne im windigen Batik-Shirt, spastisch zitternd, gestikulierend, als wolle er die Töne aus sich herauszerren, und er schrie, er schrie um sein Leben.
Das hatte 1944 in der britischen Stahlkocherstadt Sheffield begonnen. Eine Installateur-Lehre hatte der Proletarierjunge angefangen, schrie sich aber nach Feierabend in den Kneipen die Seele aus dem Leib. Seele, Soul, davon hatte der Sänger mit dem Idol Ray Charles genug. Seine Physiognomie stand einer Karriere als Teenie-Star im Weg, dafür war er mit einer Stimme gesegnet, die einzigartig war. Noch rauer, noch schwärzer als die der Konkurrenten Eric Burdon, Stevie Winwood, Chris Farlowe.
Ohne jede musikalische Ausbildung natürlich, Noten lesen konnte er bis zuletzt nicht. Was braucht's in den Jukejoints voller Arbeiter, die einen draufmachen wollten, Notenblätter?
Eine Band wurde gegründet, der Job gekündigt, ein kleiner Hit, ein größerer mit einer Beatles-Coverversion, die er auch in Woodstock interpretierte: "With A Little Help From My Friends". Nummer Eins in Großbritannien, Platz Drei in Deutschland. Der geschäftlich völlig unbedarfte Junge war in den Zirkus des Rock-Business katapultiert worden, das damals noch unter frühkapitalistischen Raubtier-Usancen litt. Die Folge: Alkohol und Drogen, Drogen und Alkohol. Ausgenommen und gehetzt von verschiedenen Managern und Firmen, stolperte Joe Cocker von Konzert zu Konzert.
Dennoch entstand zu dieser Zeit seine vielleicht beste Platte: Mad Dogs & Englishmen, mit einer Big Band im Rücken und vornehmlich Coverversionen, wie auch "The Letter", im Original von den Box Tops, eine war. Ein Zeitdokument ist diese Tournee auch, durch einen Film dokumentiert.
Zeit der Abstürze Es folgte eine Zeit der Abstürze und wundersamen Neustarts. Wieder die Herrschaft berauschender und stimulierender Substanzen; dass der Mann nicht den Rockstar-Tod starb, grenzt an ein kleines Wunder. Konzertabbrüche, ein Gefängnisaufenthalt. Der Sänger erholte sich, stieg auf die Bühne und schrie den Blues und Soul heraus. Allmählich durchblickte er die Regeln des nun regulierteren Geschäfts.
"You Can Leave Your Hat On", ein Randy-Newman-Song, wurde mit der Erotik-Schmonzette "9½ Wochen" zum Welthit.
Die Ehe mit Pam Baker 1987 stabilisierte ihn offenbar psychisch. Dem Jungen aus der Arbeiterklasse sei auch posthum der Erfolg gegönnt - nur künstlerisch geriet Cocker immer mehr in chartstauglichen, mit dem Formatradio kompatiblen Mainstream. Der Biss der frühen Jahre war weg, wovon manche Schnulze zeugt oder auch ein für einen Bierkonzern eingespielter Werbesong. Geschickte Produzenten stylten seine Musik zur Konfektionsware, vergleichbar der von Tina Turner, die eine ähnliche Entwicklung genommen hatte. Cocker war zum Massenphänomen geworden und scheute auch die Provinz nicht. So war er in Coburg, Forchheim und Bamberg zu hören - mit zum Teil allerdings grandiosen Konzerten.
Mit seiner Frau lebte Joe Cocker auf einer Ranch in Colorado, widmete sich der Viehzucht oder ging einfach spazieren. Ein Mann hatte endlich seinen Frieden gefunden. Am Montag wurde überraschend bekannt, dass der König des weißen Soul einer langjährigen Krebserkrankung erlegen ist.