Virologe Hendrik Streeck hat den am Mittwoch (3. August 2022) bekannt gewordenen Entwurf für die Anpassung des Infektionsschutzgesetzes kritisiert. Der Vorstoß von Justizminister Marco Buschmann (FDP) und Gesundheitsminister Karl Lauterbach (SPD) sieht unter anderem vor, dass ab 1. Oktober 2022 eine Maskenpflicht in Bus, Bahn und Flugzeuge sowie eine Masken- und Testpflicht in Krankenhäusern und Pflegeeinrichtungen gelten soll. Zudem ist geplant, dass die Bundesländer selbst entscheiden können, ob sie eine zusätzliche Mundschutz-Pflicht für weitere öffentlich zugängliche Räume vorschreiben. 

"Ich frage mich bei einigen Details, wie das konkret aussehen soll", erklärte Hendrik Streeck zu dem ab kommenden Herbst geplanten Maßnahmenpaket im Interview mit dem FernsehsenderWelt am Mittwochabend. 

Hendrik Streeck vermisst "klare Vorgaben" für das geplante Infektionsschutzgesetz 

Kritisch sieht Streeck die "optionalen" Maßnahmen, die Bundesländer zum Corona-Schutz einsetzen können: "Da scheint es keine klaren Vorgaben zu geben, wann die Länder diese Maßnahmen ergreifen sollen." Das könnte zu einem "Überbietungswettbewerb der Länder" führen. Deshalb fordert der Wissenschaftler "klare Indikatoren und klare Vorgaben", wann in den Ländern welche Maßnahmen in Kraft treten - ähnlich wie es sie bei der Hotspot-Regel gebe. "Es wäre enorm wichtig, das genau zu definieren." Ebenfalls am Mitttwochabend reagierte Gesundheitsminister Lauterbach (SPD) bei RTL Direkt auf die Befürchtungen, dass uneinheitliche Vorgaben einen Konkurrenzkampf der Bundesländer entfachen könnten: "Dass da Flickenteppich kommt, hoffe ich nicht, wir arbeiten mit den Ländern zusammen, dass sie das Maximum nutzen, das wir anbieten."

Zur Maskenpflicht an Schulen, die laut Entwurf nur dann eingeführt werden soll, wenn sie für die Aufrechterhaltung des Präsenzunterrichtes notwendig ist, sagte Hendrick Streeck im Welt-Interview: "Studien sind bisher sehr uneins darüber, ob Maskenpflicht in Schulen überhaupt einen Effekt haben auf das gesamte Infektionsgeschehen." Das liege daran, dass es in Schulen gesitteter zugehe, als wenn sich Kinder und Jugendliche zu Hause träfen - wo dann ja auch keine Maskenpflicht bestehe.

Teile des Infektionsschutzkonzepts stießen bei Streeck auf Zustimmung: Grundsätzlich befänden wir uns in einer Phase, in der es nicht mehr um "Containment" gehe, also die Eindämmung der Pandemie. Vielmehr müsse der Schutz der vulnerablen Gruppen und eine Abmilderung der schweren Verläufe im Mittelpunkt stehen, erläuterte er. Deshalb sei es wichtig, dass nun bundesweite Maßnahmen für Krankenhäuser, Pflegeheime und Altenheime ergriffen würden. 

Omikron-Impfstoffe "voraussichtlich mit gleichen Impf-Nebenwirkungen"

Die neuen Omikron-angepassten Impfstoffe seien zwar besser auf die veränderte Struktur des Virus abgestimmt. "Aber im Grunde ist es genau der gleiche Impfstoff", stellte der Virologe klar. Das habe zur Folge, dass es voraussichtlich die gleichen Impf-Nebenwirkungen wie bisher geben werde.

Zugleich schloss er sich der derzeit geltenden Empfehlung der Ständigen Impfkommission (Stiko) an, eine (im Regelfall) vierte Impfung "erst ab 60 oder 70 Jahren empfohlen" werden sollte: "Im Moment scheint es zumindest für gesunde Erwachsene unter 60 Jahren keinen Grund dafür zu geben, sich eine vierte Impfung geben zu lassen."

EU-Behörden empfehlen aktuell einen "zweiten Booster" für alle Menschen ab 60. Bundesgesundheitsminister Karl Lauterbach hat sich hingegen kürzlich für eine vierte Corona-Impfung auch für Unter-60-Jährige ausgesprochen.

Geteiltes Echo auf Regierungspläne zum Corona-Schutz - Debatte um Maskenpflicht an Schulen

Auch ansonsten ist der Entwurf der Bundesregierung für das Infektionsschutzgesetz auf geteiltes Echo gestoßen. Dm bayerischen Gesundheitsminister Klaus Holetschek missfallen einige der geplanten neuen Corona-Maßnahmen. Seine Forderung: "Mehrere Punkte sollen geändert werden." Dass das Konzept keine pauschalen Schließungen von Schulen vorsieht, wurde etwa von Ärztevertretern begrüßt. Von Lehrervertretern kam Zuspruch dafür, dass die Bundesländer ab Oktober an weiterführenden Schulen eine Maskenpflicht verordnen können sollen - für den Fall, dass es zu einer heftigen Infektionswelle kommt. Eine Maskenpflicht in der Schule ist allerdings nur vorgesehen, wenn sonst kein geregelter Präsenzunterricht möglich wäre - und auch dann nur ab dem fünften Schuljahr.

Das stößt beim Lehrerverband auf Unverständnis. Zwar sei die Möglichkeit der Maskenpflicht im Fall hoher Infektionszahlen an weiterführenden Schulen zu begrüßen, sagte Präsident des Lehrerverbandes, Heinz-Peter Meidinger, dem Redaktionsnetzwerk Deutschland (RND) am Donnerstag (4. August 2022). "Warum im gleichen Fall, also zur Aufrechterhaltung des Schulbetriebs, eine Maskenpflicht an Grundschulen nicht angeordnet werden kann, ist allerdings absolut nicht nachvollziehbar." Bei Grundschulen werde offensichtlich eher eine Schulschließung oder Unterrichtsausfall in Kauf genommen.

Die Absage von pandemiebedingten Schulschließungen unterstützt die Bundesärztekammer. Ärztepräsident Klaus Reinhardt bemängelte gegenüber den Zeitungen der Funke Mediengruppe vom Donnerstag jedoch, dass sich das Corona-Schutzkonzept an einigen Stellen "leider noch im Vagen" halte. So sei beispielsweise unklar, was passieren solle, wenn eine Überlastung der medizinischen Infrastruktur drohe. Auch die Deutsche Krankenhausgesellschaft vermisst Grenzwerte, anhand derer sich die Überlastung des Gesundheitswesens beurteilen lassen würde. 

"Frisch" geimpft oder genesen: "Wie soll das im Alltag funktionieren?"

Der Deutsche Städtetag weist auf mehrere offene Fragen hin. "Wird im Herbst wieder der kostenlose Bürgertest für alle eingeführt? Wie geht es mit der einrichtungsbezogenen Impfpflicht weiter? Dazu erwarten wir sehr bald Antworten der Bundesregierung", sagte Hauptgeschäftsführer Helmut Dedy den Funke-Zeitungen.

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Es gab auch den Vorwurf in Richtung Regierung, dass einige vorgeschlagene Maßnahmen nicht alltagstauglich seien. So soll es in Restaurants sowie bei Kultur- und Sportveranstaltungen Ausnahmen der Maskenpflicht für getestete, frisch geimpfte und frisch genesene Menschen geben. "Frisch" bedeutet, dass die Impfung oder die überstandene Covid-Erkrankung nicht länger als drei Monate her sein darf. "Wenn bei der Maskenpflicht beispielsweise danach differenziert werden soll, ob die letzte Impfung drei oder vier Monate zurückliegt, dann frage ich mich, wie das im Alltag funktionieren soll", sagte der Vorsitzende des Hausärzteverbandes, Ulrich Weigelt, der Rheinischen Post. "Dass solche Regelungen nicht zur Akzeptanz in der Bevölkerung beitragen werden, ist offensichtlich. Im Zweifel muss man auch nicht alles gesetzlich haarklein regeln."

Die Maßnahmen sollen vom 1. Oktober 2022 bis 7. April 2023 gelten. Mit den Vorschlägen wird sich nun das Kabinett befassen, bevor der Bundestag entscheidet.

In der Diskussion um ein mögliches Ende der Isolationspflicht für Corona-Infizierte will die Bundesregierung keine Neubewertung der Lage durch das RKI vornehmen - so sieht es jedenfalls Bayerns Gesundheitsminister Klaus Holetschek (CSU), der diese Entscheidung deutlich kritisiert.

mit Material von dpa

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