Helene Fischer: Das reale Märchen der Goldmarie

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Da geht's lang und immer höher: Helene Fischer dringt mit ihrem aktuellen Erfolg in Sphären vor, die so höchstens noch Andrea Berg erreicht. Nachdem die "Farbenspiel"-Hallentournee mit über 300 000 Besuchern so schnell ausverkauft war, schließt die Künstlerin 2015 eine Stadion-Tour an. Foto: dpa
Da geht's lang und immer höher: Helene Fischer dringt mit ihrem aktuellen Erfolg in Sphären vor, die so höchstens noch Andrea Berg erreicht. Nachdem die "Farbenspiel"-Hallentournee mit über 300 000 Besuchern so schnell ausverkauft war, schließt die Künstlerin 2015 eine Stadion-Tour an. Foto: dpa

Helene Fischer ist ein Phänomen, einer ihrer Songs heißt auch so. Mit 29 steht die Sängerin im Zenit ihres Erfolges, der Vorverkauf für die Stadion-Tour - unter anderem in Nürnberg am 25. Juni 2015 - ist rekordverdächtig. Eine Annäherung.

Spötter behaupten, sie treffe Töne besser als Worte, und beziehen sich zur Begründung ihrer These auf einen Patzer bei der Bambi-Verleihung im November. Ausgerechnet im allerletzten Satz ihrer Moderation entfleucht Helene Fischer ihr Fauxpas: "Das war der Echo 2013". So ein verbales Dumm-Dumm-Geschoss holst du nicht mehr zurück in einer Welt voller Fernsehwiederholungen, Youtube-Videos, sozialer Netzwerk-Kurzmeldungen. Spott ergießt sich über die Blondine, wenn auch nur ganz kurz.

Hat es ihr geschadet? Nein. Weil sie ja gar nicht perfekt sein will. Betont sie, immer wieder. Da ist so ein Verplapperer doch glatt ein Gottesgeschenk. Andere müssen ins Dschungelcamp, um im Gespräch zu bleiben. Helene Fischer verwechselt kurz zwei namhafte deutsche Preise - was soll's? Kann passieren, sie hat die Auszeichnungen selber im Dutzend daheim im Schrank.

Mit 29 ist sie so hoch geflogen wie keine; ein Felix Baumgartner in der Stratosphäre des Musikgeschäfts. Ein Ikarus freilich will sie nicht sein, der sich die Flügel verbrennt und abstürzt. Dann eben nicht ganz bis zur Sonne, "bescheiden" bleiben.


Selber vom Erfolg überrascht

Wenn Helene Fischer sagt, ihr Erfolg überrasche sie, nimmt das Volk ihr das sogar ab. Sie will nicht die Unnahbare sein, die Entrückte, die sich durch Bodyguards abschirmen lässt von ihren Anhängern, denen sie ja die Plattenverkäufe zu verdanken hat. Sie macht glauben, bei und an ihr sei alles echt: die Gefühle; die Lieder; das Leben, das sie besingt, mit Höhen und Tiefen. Ein Hit für jede Lebenslage.

Die Fans danken es uns lassen nicht rütteln an der Traumfrau gewordenen Projektion unerfüllter Sehnsüchte. Bodenständiger Star mit "Wow!"-Faktor - klingt nach Quadratur des Kreises. Sie gibt das Mädel von nebenan, das sich tätscheln lässt, in Tateinheit mit einem außergewöhnlichen, künstlerischen Gesamtpaket aus (geschultem) Gesang, Tanz und Entertainment.

Und das alles in bildschöner Darreichungsform, verdichtet auf 1,58 Meter. Bei ihr sieht Höchstleistung spielerisch aus. Dazu ist sie bei allem Stress noch sowas von nett und unprätentiös und mit Everybody's-Darling-Flori liiert, dem Schwiegermamaschwarm. Barbie und Ken im Vierviertel-Takt. Halleluja!

Diese Melange aus musikalischer Perfektionistin und kumpelhaftem Vamp, implantiert ins perfekte Herzilein-Umfeld: Das könnte den Erfolg von Helene Fischer ansatzweise erklären. Vermeintlich mühelos macht sie im Dirndl die gleiche gute Figur wie im geschlitzen Glitzerkleidchen. Ihre Shows bewegen sich für hiesige Verhältnisse auf Las-Vegas-Niveau (und kosten auch beinahe so viel); ihre Tänzer hat sie passend dazu in den USA gecastet. Sie ist Siegfried und Roy, bloß ohne Löwen und in einer Person, aber umso bezaubernder.

Keinem Amerikaner, sondern einem Bayreuther hat Helene Fischer zu verdanken, im Juni 2015 unter freiem Himmel zigtausende Menschen glücklich machen zu dürfen: Dieter Semmelmann holt die Semmelblonde in die großen Arenen. Er, der 1996 Bandleader James Last nach zehnjähriger Pause zur Wiederaufnahme einer Deutschland-Tour überredete und die Freilichtbühnen für die Scorpions bereitet, ist Gründer der Semmel Concerts Veranstaltungsservice GmbH. Persönliche Worte über den Wahnsinnserfolg Helene Fischers will der studierte Betriebswirtschaftler mit dem Gespür für Künstler nicht verlieren. In einer ARD-Dokumentation von 2012 immerhin sieht man den Mann mit dem Haarkranz ein paar Mal im Bild und als väterlichen Freund der 29-Jährigen. Er nennt sie "Chefin" und weiß, was er und was auch die nationale Musik-/Schlagerszene an ihr haben.

Dabei hat die gebürtige Russin anfangs, 2005, doch so gar nix am Hut mit Schalmeien geläut und Trallala. Musicaldarstellerin hat sie gelernt. Sie weiß, wie man atmen muss, damit man beim Radschlagen weitersingen kann ohne Luftnot. Als Mama Fischer 2004 eine Demo-CD ihrer Tochter mit Songs von Celine Dion an Manager Uwe Kanthak schickt, ist der hin und weg. Er hatte einst Fräuleinwunder Michelle Flügel verliehen und sah in Helene eine Fortsetzung mit anderen Bordmitteln. Revue-Elemente, große Gesten, Bühnen im XXL-Format. Aber als Pop-Sternchen sah er sein jüngstes (und bald bestes) Pferd im Stall nicht. Celine Dion verschwand im Giftschrank.


Die Menschenfischerin

Die blonde Helene kann mit dem Begriff Schlager nix anfangen, aber sie sagt sich: Die Songs klingen nett, probier' ich das halt mal. Es folgt das Tingeltangel über die Dorffeste. Die Ochsentour. Sie, die sich als Teenager noch mit dem Rücken zum Publikum drehte, weil sie nicht mochte, wenn Leute ihr beim Singen ins Gesicht schauten, hält den Blicken nun stand, spricht durch die Augen zu den Massen vor der Bühne. Sie nähert sich den bisweilen simplen Harmonien mit geradezu sportlichem Ehrgeiz. Ihr Liebreiz tut ein Übriges, Herzen zu gewinnen. Helene, die Menschenfischerin.

Die Entscheidung für die leichte Schmusi-Muse war goldrichtig für die Goldmarie. Wobei nicht viele in diesem Genre außerhalb ernst genommen werden. Die 29-Jährige ficht das nicht an, sie singt einfach alles grandios weg. Es ist es die Perfektion des Vortrags. Und, zugegeben: Die Arrangements der Stücke werden ausgefeilter.
Oder ist die Fischer, wie behauptet wird, doch nur die Speerspitze einer temporären Schlager-Flut, die unweigerlich und in Abständen über dem Volk zusammenschwappt und sich danach wieder im Sand verläuft? "Nein, das glaube ich nicht", sagt Samuel Rauch. Der 34-Jährige ist als ehemaliger Indie-Rocker unverdächtig allzu großen Affinität zum Schlager. In seiner Funktion als Popularmusikbeauftragter für Oberfranken schreibt der Lichtenfelser Fischers Kometenaufstieg ihrem handwerklichen Können und ihrer Bühnenpräsenz zu. "Die Frau kann was, unbestritten. Dabei singt sie nicht mal wirklich überragende Songs. Ihr Management versteht es, den medialen Hype am Köcheln zu halten. Und die Schlagerkiste läuft seit 50 Jahren, mit wechselndem Personal und in Schüben."


Untote hallen länger nach

Schlager ist also immer. Er ist der Untote im Musikbusiness. Dem kannst du noch so viele Pfeile in die Herzschmerzbrust rammen: Der erhebt sich wieder und wieder aus der Gruft. Totgesagte hallen länger nach. Nach ernsthaften Barden vom Schlage eines Chansonniers wie Udo Jürgens oder auch Liedermachern wie Heinz-Rudolf Kunze hat der verrockt-verpoppte Schlager selbst Sänger-Karikaturen wie Guildo Horn überstanden. Der war sogar schon beim Grand Prix (was für "ernsthafte" Musi ker bis vor zehn Jahren einer Brandmarkung gleichkam). Dahin will Helene Fischer (noch) nicht. Sage aber keiner, sie habe sonst keine Ambitionen mehr: Im Juli 2015 will sie das Olympia-Stadion in Berlin voll machen. Der Erfolg wäre ihr in jedem Fall mehr zu gönnen als Hertha BSC, Mario Barth und Ex-Papst Benedikt zusammen.


Kommentar:


Bitte, Helene, lass' die Finger von Freddy und Tina

Momentan kulminiert die Deutsch-Melodei nicht nur in Helene Fischer und Andrea Berg: Zwischen das Damen-Duo funkt Wolfgang Petry. "Wolle" schießt aus der Schlager-Rente auf Platz 1 der Charts vor und verdrängt Bu shido - noch so ein Ton-Teutone, wenn auch mit fremdländischen Wurzeln und statt Schlager- wohl eher Schlägerfuzzi.

Derlei Makel haften der holden Maid Helene nicht an. Ihre Anmut wäre das Anzetteln eines zweiten trojanischen Krieges durchaus wert. Wer meint, Künstler wie die in Sibirien Geborene seien Kunstfiguren, der hat ein Stück weit Recht - und zwar nicht nur, wenn er auf das Wachs-Pendant der 29-Jährigen bei Madame Tussauds abzielt. Der Philosoph Roland Barthes schrieb: "Ein Star ist ein gelebter Mythos." Ein Übermensch. Und an diesem fremden Über-Leben, da wollen Viele teilhaben, mancher Kapital draus schlagen.

Die Auswüchse der beinahe kultischen Verehrung (so nur in Fußballstadien beobachtbar) bekam der neutrale Beobachter im September 2012 mit, als die Sängerin ihre "Für einen Tag"-Tour in der runderneuerten Hofer Freiheitshalle startete. Ein Mann um die 50 schminkte sich ein Herz auf die Wangen, das die Buchstaben "HF" einrahmte. Die offenkundig dazu gehörige Ehefrau im Fanblock (jedenfalls war die Dame entsprechend schlepperartig an dem Herrn vertäut) duldete nicht nur die Gunstbezeugung des Gatten - sie malte in der Pause die durch Schweiß verwischten Initialen eigenhändig nach! Wahre Liebe erträgt, dass er im Geiste eine andere Göttin hat neben ihr.

Oben auf der Bühne sang die Angehimmelte vom siebten Liebeshimmel und wie sie ihren Schatz morgen früh wachküsst. Als ob das eigene Repertoire nicht über einen Konzertabend tragen würde, griff Helene Fischer ins Pop-Archiv, reanimierte Stücke aus dem Musical "Grease" (was sie sehr gut intonierte), verstieg sich aber leider auch, als sie Queens/Freddie Mercurys "We are the Champions" sang. Mit Verlaub: Das ist, als ob Margot und Maria Hellwig Songs von Simon & Garfunkel covern. Später mutierte sie zum James-B(l)ond-Girl, wurde das Goldkehlchen zum "Goldeneye". Ein Versuch, als Rockröhre a la Tina Turner einzuheizen. Sie mag es, wie sie sagt, ihr Publikum zu überraschen. Schocken trifft's eher, jedenfalls Außenstehende. Freddy und Tina kam sie bei den Nummern so nahe wie das Glühwürmchen, das bei Berufswunsch "Flutlicht" ankreuzt.



Tickets

Für das Konzert in Nürnberg , am 25. Juni 2015, und andere Konzerte der Tour gibt es ab sofort Karten in den Geschäftsstellen und Service-Points des Fränkischen Tags, der Bayerischen Rundschau, der Saale Zeitung, die Kitzinger und des Coburger Tageblatts. Auch über die kostenlose Ticket-Hotline der Mediengruppe Oberfranken, 0800/900 9100, können Tickets gekauft werden.