Grandioser "Wozzeck" an der Nürnberger Oper

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Der Doktor (Jens Waldig, re.) quält Wozzeck (Jochen Kupfer). Mit auf dem Bild ist Statisterie. Foto: Ludwig Olah
Der Doktor (Jens Waldig, re.) quält Wozzeck (Jochen Kupfer). Mit auf dem Bild ist Statisterie.  Foto: Ludwig Olah
 
 
 
 
 
 
 
 
 
 
 
 

Die Staatsoper Nürnberg wagt sich nach langer Pause wieder an Alban Bergs "Wozzeck". Das Geschehen ist ins mittelständische Milieu der Jetztzeit verlegt.

Die Aktualität von Georg Büchners Woyzeck, zumal in Alban Bergs musikdramatischer Fassung des "Wozzeck", liegt nicht zuletzt in dem verzweifelten Kampf eines Verlierers gegen den Faktor Zeit. Viel davon brauchte man zu Büchners Zeiten, um auch nur die elementarsten Bedürfnisse zu stillen, will heißen: um wenigstens etwas zu essen und ein Dach über dem Kopf zu haben.
Der ständig wiederholte Befund des Hauptmanns, Wozzeck sehe "so verhetzt aus", wird so zum Schlüssel für ein ins Heute versetztes Verständnis des Werkes. Der Wozzeck des 21. Jahrhunderts mag ein kleiner Angestellter sein, ein Reihenhaus besitzen und längst nicht mehr so darben müssen wie sein Vorgänger vor 180 Jahren. Doch die Summe der scheinbaren oder wirklichen Bedürfnisse ist mittlerweile so hoch, dass die Abhetzerei für deren Erfüllung eher noch zugenommen hat.
Insofern mutet es folgerichtig an, wenn Georg Schmiedleitner die Neuinszenierung von Alban Bergs Musikdrama an der Staatsoper Nürnberg in einem durchaus mittelständischen Milieu angesiedelt hat. Da sind die Ergebnisse der bisherigen Lebensleistung zwar als bescheidener Wohlstand sichtbar vorhanden, doch der ist ständig bedroht durch die potenzielle Nichterfüllung von Ansprüchen. Looser ist nämlich nicht unbedingt nur, wer arm ist, sondern auch, wer im bisweilen aussichtslosen Wettlauf mit dem Zeitdiktat unterliegt. Moderner Musterfall: Immobilie noch nicht abbezahlt, Ehe kaputt. Bei dem Antihelden Büchners und Bergs brauchte zwar keine Ehe in die Brüche gehen, aber die Halluzinationen und Eifersuchtsfantasien dieses gehetzten Menschen reichten, um ein Verhängnis heraufzubeschwören.
Die Bühne Stefan Brandt-mayrs besteht aus drei beweglichen Zimmermodulen, die nicht den Eindruck erwecken, dieser Platz sei so "verflucht", wie das Libretto es will. Aber die Harmlosigkeit umherlaufender Kinder oder feiernder Damen wird schnell relativiert, wenn sich Wozzecks Fronarbeiten in diesen weiß getünchten Kuben abspielen. Er flagelliert den Hauptmann und begibt sich unter die Opfer, denen eine Art Doktor Mengele Menschenversuche zumutet. Bei Marie liefert der brave Wozzeck sein mühsam verdientes Geld ab, doch die putzt sich für den saufenden Tambourmajor heraus. So nimmt das Unheil seinen Lauf, der Doktor posaunt seine Wozzeck-Anamnese heraus, während der Unglückliche gepeinigt wird. "Ich nicht, und kein anderer auch nicht" lautet seine Mordbegründung. Das Kind macht nach der Todesbotschaft nicht "Hoppe Reiter", sondern dreht sich zeitgemäß auf einem Segway. In musikalischer Hinsicht ist dieser erste Nürnberger "Wozzeck" seit 1993 eine Wucht. Die hochkomplizierten Solopartien, in denen nicht nur gesungen, sondern auch gesprochen und geächzt wird, waren vorzüglich besetzt. Jochen Kupfer in der Titelrolle imponierte mit seiner mächtigen Stimme, die zu enormen Steigerungen fähig ist. Durchschlagend und metallisch glänzend war Hans Kittelmanns Hauptmann ausgestattet, herzzerreißend und hochdramatisch die Marie von Katrin Adel. Gábor Káli ließ das Philharmonische Orchester aufschäumen, gestattete den Holzbläsern eine dominierende Rolle und schärfte die Kontraste dieser unerhörten Partitur. Zum Schluss wollte der Applaus für diesen beeindruckenden Opernabend kaum enden.

Weitere Vorstellungen 21. Februar, 2., 6., 29. März, 2. April
Karten unter Tel. 0180/5231-600; E-Mail info@staatstheater.nuernberg.de