An der Frankfurter Oper gelingt Claude Debussys "Pelléas et Mélisande" dank einer stimmigen Inszenierung und mit Christiane Karg und Christian Gerhaher als überragenden Hauptsolisten.
Allenthalben Schwebezustände, Ungewissheit, Unausgesprochenes, Zweideutigkeit und eine bedrohlich-lähmende Spannung: Claude Debussys einzige vollendete, 1902 uraufgeführte Oper
"Pelléas et Mélisande" ist voll davon. Am Opernhaus Frankfurt ist jetzt eine Neuinszenierung zu erleben, die das ohne romantische Verbrämungen auf den Punkt bringt - mit
Christian Gerhaherund
Christiane Karg in den Titelrollen, die beide schlichtweg eine sängerdarstellerische Erfüllung sind.
Der Grundgedanke lag nahe: Wer die Dreiecksgeschichte in dem düsteren Wasserschloss Allemonde aus sagenumwobener Zeit heutigen Zuschauern näherbringen will, findet in den Psycho-Thrillern von Alfred Hitchcock erstaunlich viele Anknüpfungspunkte. Der Film "Das Fenster zum Hof" war für
Regisseur Claus Guthund seinen aus Lichtenfels stammenden Ausstatter Christian Schmidt gewissermaßen ein Ausgangspunkt.
Eine repressive Familienhölle Wie der in seinem Rollstuhl gefangene Freizeitdetektiv blickt das Publikum entweder in die schwärzeste Schneeregennacht, die man sich denken kann, oder in die Zimmer und Gänge eines zweistöckigen großbürgerlichen Hauses, das in seiner vorhangschweren Wohlgeordnetheit und trotz manch warmer Farbe eine merkwürdige Genormtheit, Kälte und Künstlichkeit ausstrahlt. Die Menschen, die hier leben, scheinen sich im Griff zu haben - und haben doch alle ihren Schlag weg.
Arkel (Alfred Reiter) ist ein Patriarch von altem Schrot und Korn, für den es selbstverständlich ist, sich auch mal eben an der Frau seines Enkels zu vergreifen. Golaud (Paul Gay) wird so sehr von seiner aufkeimenden Eifersucht beherrscht, dass er bei aller Wohlanständigkeit in Gewalt gegen Kind und Kegel ausbrechen muss. Genevieve (Hilary Summers) ist die klassische dienende Frau, die auch wider besseres Wissen die repressive Familienhölle am Laufen hält.
Selbst Yniold (David Jakob Schläger), Golauds kleiner Sohn aus erster Ehe, scheint aus den Peinigungen nur zu lernen, diese weiter zu geben: Wie ausgiebig er am Ende die Wiege seiner neugeborenen Halbschwester fixiert, lässt nichts Gutes vermuten. Pelléas (Christian Gerhaher), Golauds jüngerer Halbbruder, ist ein überaus schüchterner, ja zurückgebliebener Mann, der brav die Schuhe auszieht, sich hinter seiner Brille versteckt und nur sehr zögerlich und schmerzlich in Mélisande eine Seelenverwandte entdeckt, die in ihm mehr auslöst, als er je in sich vermutet hätte.
Missbraucht und derangiert Dass die junge Frau eine Vorgeschichte hat, zeigt die Inszenierung unmissverständlich. Wenn Golaud im gespenstischen Dunkel auf Mélisande (Christiane Karg) trifft, steht sie in einem aufreizenden Kleid und mit derangierten Haaren da, zittert, raucht und umklammert ihre Handtasche: fast noch ein Mädchen, missbraucht, traumatisiert und lange genug zur Prostitution gezwungen, dass es - wie sich zeigen wird - reflexhaft die Beine breit macht und willig männlichen Gewaltfantasien folgt.
Alle Figuren sind nicht nur sehr genau geführt. Sie agieren oft auch silmutan in den pastellfarbenen Innenräumen, die doch nur Gefängnisse sind und sich auf der Drehbühne wie von Zauberhand in die rabenschwarze Außenwelt verlieren, wo obskure Gestalten und Verfolgerscheinwerfer obwalten. Nur ein einziges Mal findet sich das unglückselige Paar in einem Lichtkreis - doch auch hier nicht Hand in Hand, sondern separiert, in trauriger zweifacher Einsamkeit, wie sie auch die Schlusslösung ergreifend und trostlos vorführt.
Solisten mit Bamberg-Bezug Dass die Solisten durch die Bank überzeugen, ist ein Qualitätsbeweis für die Besetzungs- und Ensemblepolitik der Frankfurter Oper. Es ist darüber hinaus ein Glücksfall, dass sich ein Bariton wie Christian Gerhaher einer Partie annimmt, die aus guten Gründen oft von Tenören gesungen wird. Der phänomenale Sänger, der am 1. Dezember mit Gustav Mahlers Kindertotenliedern bei den Bamberger Symphonikern zu erleben sein wird, erobert sich auch die Spitzentöne mit Souveränität. Bei seinem Rollendebüt füllt er die spezifische Klangrede Debussys so überzeugend, hochmusikalisch und in stupender Wortverständlichkeit aus, als sänge er sonst nichts anderes.
Seinem Pelléas ebenbürtig ist Christiane Karg als Mélisande. Die Sopranistin, die dem Symphoniker-Publikum als Solistin in der Haydn-Oper "L'isola disabitata" noch in bester Erinnerung ist, trifft in Ausdruck und Dynamik jeden Ton so, als sei er genau für ihre mädchenhaft zarte und doch klar leuchtende Stimme geschrieben. Auch das Orchester unter Friedemann Layer kam bei der Premiere am Sonntag zunehmend in jenen schwebenden Fluss, der diesem einzigartig schillernden "Drame lyrique" zu eigen ist. Chapeau!
Termine und Karten
Weitere Vorstellungen am 8., 10., 18., 23. und 25. November sowie am 6. und 8. Dezember. Karten gibt es unter Telefon 069/21249494.