Lebensverkürzend sei ja nämlich eh alles. "Sie sitzen, das ist viel lebensverkürzender als Stickoxide." Und Feinstaub sei schlimmer. Der wiederum sei an Fahrrädern und in U-Bahn-Stationen am höchsten gemessen worden. "Da denke ich mir, tu ich was für die Umwelt, nehm das Auto." An dieser Stelle muss Nuhr dann seinem johlenden Publikum auch noch erklären, dass das natürlich ein Witz gewesen sei.
Sein Lieblingsfeind ist seit einigen Wochen Juso-Chef Kevin Kühnert. Das kann man machen, wenn man dabei lustig wäre, aber Nuhr ätzt bloß "Hobbystalinist" und "Studienabbrecher" und bringt Kühnert direkt mal mit 100 Millionen Opfern des Sozialismus in Verbindung. Das wirkt dann eher, als fühle er sich persönlich bedroht. Das Publikum kommt zu Nuhr aber eben nicht bloß wegen der Witze. Sondern auch wegen des bildungsbürgerlichen Tenors. Er stilisiert sich gern als einer, der die Dinge mal ausspricht und geraderückt und imaginiert sich dazu einen politisch-medialen Mainstream, der seinen Vernunftsweisheiten immer widersprechen würde. So schmiedet er das wohlige Gefühl einer Gemeinschaft der Vernünftigen.
Einfache Wahrheiten und Binsen
Tatsächlich handelt es sich zum größten Teil um sehr einfache Wahrheiten und Binsen. Das Radikale meistens ähnlich blöd sind, klar. Dass die Welt heute besser und sauberer ist als vor hundert Jahren, da würde kaum jemand widersprechen. "Früher war Klo im Treppenhaus, heute ist Internet in der Oberpfalz."
Diese Wahrheiten kommentiert Nuhr dann gerne selber mit: "Da sind viele beleidigt, wenn man das sagt." Wer? Oder: "Da kuckt man dann in solche Gesichter." Und meint Gesichter, die auf die nächste Pointe warten. Pointen übrigens, um die soll es ja eigentlich gehen und anders als böswillige Kommentatoren seiner Kunst bisweilen behaupten: Er hat sie.
Nicht alle sind seine eigenen, wie das Erstaunen über Menschen, die nörgeln, ausgerechnet wenn sie das große Wunder erleben, das ein Flugzeug ist. Das hat der amerikanische Kollege Louis CK sehr ähnlich schon vor Jahren gemacht.
Aber viele Witze sind einigermaßen originell und handwerklich, im jahrelang eingeübten, trockenen Nöhl-Stil, routiniert rübergebracht. Zum Beispiel die Geschichte wie ein Online-Urologe der Bildzeitung einst empfahl, den Penis zu ölen und föhnen, damit er größer werde. "So ist die AfD auf die Lügenpresse gekommen. Der Gauland hat geföhnt und geölt..." Oder übers sicherheitsgurtloses Fahren früher: "Wenn man wo gegen fuhr, war der Aufprall hart, aber man merkte es nicht, man war ja besoffen."
Es gibt diese erfreulichen Momente in den fast drei Stunden Programm, sogar viele, und sie tragen hindurch und machen das zu einer unterhaltsamen Geschichte. Auch wenn der bleibende Eindruck derjenige ist, dass Dieter Nuhr, wenn er in seinen Welterklärungsanspruch rutscht, vielleicht doch Journalist hätte werden sollen, nicht Komiker. Und dass sein Markenkern Lässigkeit nicht so gut gespielt ist, wie er denkt.