"Fortführung des Deutschlandtickets ernsthaft gefährdet" - Länder verstärken Druck auf den Bund 

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Das Deutschlandticket ist ein Erfolgsmodell. Doch es könnte bereits wieder auf der Kippe stehen. Die Länder fordern ein klares Bekenntnis des Bundes zur weiteren Finanzierung. Doch der Verkehrsminister winkt ab.

Update vom 29.09.2023, 7.19 Uhr: Wissing lehnt Gespräche über Finanzierung des Deutschlandtickets ab

Mit der Warnung vor Preissteigerungen und einem drohenden Aus des Deutschlandtickets verstärken die Länder den Druck auf den Bund, weitere Finanzzusagen zu machen. Die Verkehrsministerinnen und -minister der Länder forderten den Bund am Donnerstag(28. September 2023) nach einer Sonderkonferenz auf, sich unverzüglich auch an den Mehrkosten des Tickets bis einschließlich 2025 zur Hälfte zu beteiligen.

Ohne die Bereitschaft des Bundes, ausreichende Mittel schon 2024 bereitzustellen, wäre schon kommendes Jahr eine "deutliche Preissteigerung" erforderlich, hieß es in einem einstimmig angenommenen Beschluss. Entscheidungen müssten noch im Oktober getroffen werden. Ohne ein zügiges Bekenntnis des Bundes "ist und bleibt die Fortführung des Deutschlandtickets ab dem Jahr 2024 ernsthaft gefährdet", hieß es.

Fortführung des Deutschlandtickets: Bundesverkehrsminister Wissing will nicht reden

Bundesverkehrsminister Volker Wissing (FDP) hatte neue Gespräche mit den Ländern über zusätzliche Bundesgelder für das Deutschlandticket abgelehnt. Die Teilnahme an der digitalen Sonderkonferenz hatte er abgesagt. Sein Ministerium war durch zwei Abteilungsleiter bei der Runde vertreten. "Die Bereitschaft war noch nicht da, über Finanzfragen tiefergehend Einigung zu erzielen", sagte NRW-Verkehrsminister Oliver Krischer (Grüne) als aktueller Vorsitzender der Verkehrsministerkonferenz (VMK) anschließend.

"Wir haben die Hand ausgestreckt und unsere Bereitschaft deutlich gemacht, die Erfolgsstory Deutschlandticket fortzusetzen." Es bestehe dringender zeitlicher Handlungsdruck. Die Länder hofften nun auf einen Austausch und eine Klärung bei der nächsten regulären Verkehrsministerkonferenz am 11. und 12. Oktober 2023 in Köln.

Wissing hatte dagegen am Morgen in der ntv-Sendung "Frühstart" gesagt, Finanzfragen seien bis 2025 im Rahmen einer Ministerpräsidentenkonferenz geklärt worden, verbunden auch mit der Vereinbarung, 2025 über weitere Finanzierung und Struktur des Deutschlandtickets zu sprechen. "Und jetzt haben wir 2023."

Deutschlandticket kostet Milliarden - mögliche Mehrkosten sind umstritten

Bund und Länder schießen bis 2025 jeweils 1,5 Milliarden Euro pro Jahr zu. Umstritten sind aber die möglichen Mehrkosten des Tickets. Im ersten Jahr sollen die Mehrkosten noch zur Hälfte geteilt werden - diese "Nachschusspflicht" aber ist ab 2024 offen.

Der Verband Deutscher Verkehrsunternehmen rechnet mit Mehrkosten für das Deutschlandticket in Höhe von 1,1 Milliarden Euro im Jahr 2024. Die Länder erklärten sich bereit, die Mehrkosten auch 2024 und 2025 hälftig zu zahlen. Der Bund müsse sich gleichermaßen dazu verpflichten.

"Alle 16 Länder waren sich heute einig, dass wir das Deutschlandticket fortsetzen wollen", sagte der brandenburgische Infrastrukturminister Guido Beermann (CDU). "Das einzige, was uns fehlt, ist das Bekenntnis des Bundes", so Beermannn. "Wenn wir hier zu keiner guten Lösung kommen, dann steht die Weiterführung des Deutschland-Tickets in Frage." Es sei ein "entsprechendes Signal" gewesen, dass Bundesverkehrsminister Wissing keine Zeit gehabt habe.

Breite Unterstützung für das Deutschlandticket

Seit dem 1. Mai kann man mit dem D-Ticket in Bussen und Bahnen im bundesweiten Nahverkehr für 49 Euro im Monat fahren - mit einem digital buchbaren, monatlich kündbaren Abonnement. Die saarländische Umwelt- und Mobilitätsministerin Petra Berg sagte, es gehe nach der erfolgreichen Einführung nun darum, das Deutschlandticket am Markt zu etablieren. Je attraktiver das Ticket werde, umso höher würden auch die Einnahmen und umso geringer die Verluste.

Auch für die vorgeschlagene Einführung eines bundesweiten Semestertickets für Studierende für 29,40 Euro forderten die Länder eine unverzügliche Zustimmung des Bundes, um eine Umstellung zum Sommersemester 2024 zu ermöglichen. Das bundesweite Semesterticket sei auch ein wichtiger Baustein zur Finanzierung des Deutschlandtickets. Der Bund habe zwar diese Woche signalisiert, dass das Modell für das Semesterticket «gut und zielführend» sei, sagte Krischer. «Was nur fehlt, ist ein Go». Der Bundesverkehrsminister müsse «nur einmal den Daumen heben».

Auch Verbände und Gewerkschaften fordern eine dauerhafte verlässliche Finanzierung des Deutschlandtickets. "Wir können es uns nicht leisten, nun jedes Jahr den Eiertanz zu wiederholen, den es bei der Einführung um die Finanzierung gegeben hat", sagte die stellvertretende Verdi-Vorsitzende Christine Behle. Nach Ansicht des Verbraucherzentrale Bundesverbands (vzbv) muss die Finanzierung gesichert werden, damit das Deutschlandticket langfristig Erfolg hat und mehr Menschen den Nahverkehr nutzen. Die Diskussionen um die Finanzierung sorgten aber für Verunsicherung. Die Umweltorganisation Greenpeace kritisierte Wissing. "Mit dieser fatalen Hängepartie setzt Volker Wissing den einzigen Erfolg aufs Spiel, den der Verkehrsminister nach zwei Jahren beim Klimaschutz vorzuweisen hat."

Update vom 28.09.2023, 13.18 Uhr: Länder wollen bei Sonderkonferenz zu Deutschlandticket gemeinsame Haltung abstimmen

Die Verkehrsministerinnen und -minister der Länder beraten am Donnerstag (28. September 2023) um 15 Uhr mit dem Bund in einer digitalen Sonderkonferenz über die künftige Finanzierung des Deutschlandtickets für Busse und Bahnen. Der nordrhein-westfälische Minister Oliver Krischer (Grüne), der aktuell Vorsitzender der Verkehrsministerkonferenz ist, hatte vor einem Aus des Angebots gewarnt. Wenn nicht sehr zeitnah eine Lösung gefunden werde, dann werde das erfolgreiche Ticketmodell "ganz schnell wieder Geschichte", hatte Krischer gesagt.

Bei der Sonderkonferenz wollen die Länder eine gemeinsame Haltung abstimmen und mit dem Bund über die Lage sprechen. Zwar wurde auch Bundesverkehrsminister Volker Wissing (FDP) zu der digitalen Runde eingeladen. Er nimmt aber nicht teil. Es war zunächst unklar, wer von Bundesseite bei der Konferenz dabei sein wird.

Sonderkonferenz zu Deutschlandticket ohne Bundesverkehrsminister Wissing

Der Verbraucherzentrale Bundesverband (vzbv) forderte eine gesicherte dauerhafte Finanzierung, damit das Deutschlandticket langfristig Erfolg habe und mehr Menschen in den Nahverkehr hole. "Das Deutschlandticket ist ein Meilenstein für den öffentlichen Nahverkehr" sagte vzbv-Vorstand Ramona Pop.

Mit dem neuen Ticket sei die Nutzung von Bus und Bahn "so einfach wie nie", und die meisten Verbraucher seien deutlich günstiger unterwegs. Die Diskussionen um die Finanzierung sorgten aber für Verunsicherung. Pop sprach sich gegen eine mögliche Preissteigerung aus. "Eine Preissteigerung vom gerade eingeführten Deutschlandticket für 49 Euro ist inakzeptabel."

Seit dem 1. Mai 2023 kann man mit dem D-Ticket in Bussen und Bahnen im bundesweiten Nahverkehr für 49 Euro im Monat fahren - mit einem digital buchbaren, monatlich kündbaren Abonnement. Bund und Länder schießen nach einer grundsätzlichen Verabredung bis 2025 jeweils 1,5 Milliarden Euro pro Jahr zu. Umstritten sind aber die möglichen Mehrkosten des Deutschlandtickets. Im ersten Jahr sollen die Mehrkosten noch zur Hälfte geteilt werden - diese "Nachschusspflicht" aber ist von 2024 an offen.

Finanzierung möglicher Mehrkosten des Deutschlandtickets umstritten

NRW-Verkehrsminister Krischer sagte, die Länder seien bereit, Mehrkosten hälftig zu zahlen. Vom Bund sei aber bisher kein klares Signal gekommen. Der Verband Deutscher Verkehrsunternehmen rechnet mit Mehrkosten für das Deutschlandticket in Höhe von 1,1 Milliarden Euro im Jahr 2024. Aus Sicht der Branche gefährde die öffentliche Debatte und die Tonalität um die Finanzierung des Deutschlandtickets massiv die wirtschaftliche Situation der Verkehrsunternehmen und damit die weiteren Entwicklungen des Tickets. Laut des Vereins Campact und des Verkehrsclubs Deutschland (VCD) sei bezahlbarer Nahverkehr gerade in Zeiten der Inflation wichtig. 

Krischer warf dem Bund eine "Blockadehaltung" vor. Sollte es keine Einigung geben, hatte der Grünen-Politiker als mögliche Konsequenz vor der Erhöhung des Preises für das Ticket gewarnt. Das halte er aber politisch für fatal. Wenn das Ticket zehn Euro teurer werde, würden Verbraucher wieder aussteigen.

Die Sonderkonferenz findet zwei Wochen vor der regulären Herbstsitzung der Verkehrsministerkonferenz (VMK) statt, die am 11. und 12. Oktober 2023 in Köln angesetzt ist.

Ursprungsmeldung vom 26.09.2023, 12.10 Uhr: "Ganz schnell wieder Geschichte" - Aus für Deutschlandticket befürchtet

Im Streit und die künftige Finanzierung des Deutschlandtickets für Busse und Bahnen erhöhen die Länder den Druck auf den Bund. Der Vorsitzende der Länder-Verkehrsminister, Oliver Krischer aus Nordrhein-Westfalen, warnte vor einem Aus des Angebots. "Wenn jetzt nicht sehr zeitnah beim Deutschlandticket eine Lösung gefunden wird, dann ist das, was wir alle als das erfolgreichste Ticketmodell in der ÖPNV-Geschichte zu Recht feiern und was wirklich auch ein Riesenfortschritt ist, auch ganz schnell wieder Geschichte", sagte der Grünen-Politiker der Deutschen Presse-Agentur. Er forderte zudem die Zustimmung des Bundes für ein einheitliches Semesterticket.

An diesem Donnerstag (28. September 2023) gibt es eine digitale Sondersitzung der Verkehrsministerkonferenz von Bund und Ländern, wie Krischer sagte. Dort gehe es darum, eine gemeinsame Haltung der Länder abzustimmen und mit dem Bund über die Lage zu sprechen. Bundesverkehrsminister Volker Wissing (FDP) sei natürlich auch eingeladen. "Eine Zu- oder Absage liegt uns aber bisher nicht vor." Aus dem Berliner Ministerium hieß es am Sonntag auf Anfrage, der Sondertermin sei mit dem Bund nicht abgesprochen, und man habe bisher keine Einladung wahrgenommen. Sollte sie eingehen, prüfe man selbstverständlich eine Teilnahme.

Aus für Deutschlandticket? Künftige Finanzierung noch offen

Nicht ganz einfach ist es auch in der Sache selbst: Seit 1. Mai 2023 kann man mit dem D-Ticket in Bussen und Bahnen im bundesweiten Nahverkehr für 49 Euro im Monat fahren - mit einem digital buchbaren, monatlich kündbaren Abonnement. Bund und Länder schießen nach einer grundsätzlichen Verabredung bis 2025 jeweils 1,5 Milliarden Euro pro Jahr zu. Im ersten Jahr sollen mögliche Mehrkosten zur Hälfte geteilt werden - diese "Nachschusspflicht" aber ist von 2024 an offen.

Krischer sprach deswegen von einer schwierigen finanziellen Lage. Die Nachschusspflicht sei nötig, weil die Nahverkehrsunternehmen eine Kalkulationsbasis bräuchten. "Wir als Länder sind bereit, Mehrkosten hälftig zu zahlen. Vom Bund kommt aber kein klares Signal, sondern im Gegenteil eine Verhärtung." Er entnehme Äußerungen Wissings, dass es keinen einzigen Euro mehr geben solle. Das NRW-Ministerium halte die Prognose des Verbands Deutscher Verkehrsunternehmen mit Mehrkosten von 1,1 Milliarden Euro 2024 für realistisch. Die Lösung müsse sein, dass sich Bund und Länder weiterhin hälftig die Mehrkosten teilen.

Ein Entgegenkommen deutete sich indes vorerst nicht an. "Nachdem der Bund den Ländern die Regionalisierungsmittel erhöht und mit dem Deutschlandticket einfachere Strukturen im ÖPNV durchgesetzt hat, wird er sich nun auf seine Kernaufgabe konzentrieren und die Sanierung und Modernisierung der Bahn angehen", hieß es am Sonntag aus Wissings Ministerium. Mit den Regionalisierungsmitteln bestellen Länder und Verbünde Leistungen bei Verkehrsunternehmen. Generell müssten Fragen zur Finanzierung des Deutschlandtickets mit den Ministerpräsidenten geklärt werden, erklärte das Ministerium. Hier gebe es einen klaren Beschluss, der die Finanzfragen bis 2025 regele.

"Blockadehaltung" des Bundes: Das sind drei mögliche Szenarien

NRW-Minister Krischer skizzierte drei Szenarien, falls der Bund bei einer "Blockadehaltung" bliebe. "Die eine Möglichkeit ist, man erhöht den Preis. Es steht ja schon eine Zahl im Raum, und zwar 59 Euro. Das könnte man machen. Ich hielte das aber politisch für fatal, wenn man weniger als ein Jahr nach der Einführung so eine Erhöhung hätte." Wenn man das Ticket zehn Euro teurer machte, werden auch Leute wieder aussteigen und die Einnahmen am Ende nicht viel höher sein. "Das heißt, eine Preiserhöhung ist keine Lösung", sagte Krischer.

"Die zweite Lösung ist, die Länder sagen, wir übernehmen die Mehrkosten alleine. Da sehe ich aber keine politische Akzeptanz unter den Ländern", sagte der Grünen-Politiker. "Die dritte Möglichkeit wäre, das Angebot zu verringern, um Kosten zu sparen. Das widerspricht aber so ziemlich jedem verkehrspolitischen Programm."

Zu Aufforderungen Wissings, bei Vertriebskosten im ÖPNV zu sparen und die Zahl der Verkehrsverbünde zu verringern, sagte Krischer: "Ich will nicht verhehlen, dass es immer auch Reformbedarf gibt und dass man immer auch mal gucken muss, ist die eine oder andere Struktur noch angemessen in der Zeit." Das werde die Finanzierungsprobleme im öffentlichen Verkehr und beim D-Ticket aber nicht ansatzweise lösen.

Bund regiert nicht auf Vorschlag für ein bundeseinheitliches Semesterticket

Die Verkehrsministerkonferenz habe im Frühjahr einen Vorschlag für ein bundeseinheitliches Semesterticket für monatlich 29,60 Euro gemacht, sagte Krischer. "Damit können wir diesen Abstand über das Solidarmodell aufrechterhalten." Der Bund reagiere aber seit Monaten nicht. "Das ist insofern noch unverständlicher, weil es nichts mehr kostet, ein solches bundeseinheitliches Semesterticket einzuführen. Es ist im Gegenteil eine Entlastung, weil wir diese große Gruppe von rund drei Millionen Studierenden im System halten." Die Länder bräuchten wegen der gemeinsamen Finanzierung Zustimmung des Bundes.

Vorschaubild: © Boris Roessler/dpa