Das "Weiße Rössl" am Bamberger Theater: die pure Lust am Kitsch und am Klischee

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Katharina Brenner, Eric Wehlan, Marcel Zuschlag, Stephan Ullrich, Stefan Herrmann und Anna Döing (l.) im "Weißen Rössl" M. Kaufhold
Katharina Brenner, Eric Wehlan, Marcel Zuschlag, Stephan Ullrich, Stefan Herrmann  und  Anna Döing (l.)   im "Weißen  Rössl" M. Kaufhold

Das E.T.A-Hoffmann-Theater serviert mit dem "Weißen Rössl" einen Kracher des musikalischen Lachtheaters.

Operette oder Singspiel im Sprechtheater, das findet häufig per Gastspiel statt, denn die eigenen Schauspieler können zwar singen, sind aber keine Profis. Hört man jedoch solch frischen Gesang wie den von Stefan Herrmann, dann kommt Freude auf über unverbrauchte Stimmtugenden.

Der Würzburger spielte die Hauptrolle in der Inszenierung des Klassikers "Im weißen Rössl" am Bamberger E.T.A.-Hoffmann-Theater, das am Samstag in der Fassung der Geschwister Pfister Premiere hatte und weitgehend mit dem eigenen Ensemble gewagt wurde. Und gewonnen!

Frivole Umdeutungen

Gleich eingangs erklingen erste Jodler von der Postbotin, und das laszive Gehabe eines Stubenmädchens stellt die kaum tot zu kriegende Behauptung "Auf der Alm, da gibt's koa Sünd" schon mal auf die Probe.

Als beim ersten Song des Zahlkellners Leopold "Oaber meine Herrschaften" die Trinkgeldverweigerer fluchtartig das Lokal verlassen, sind wir beim Thema: Reisen auf preußisch, was frei nach Tucholsky heißen muss, dass in der Fremde alles so zu sein hat wie zu Hause, aber bitte billiger.

Da kommt er auch schon hereingeplatzt, der miesepetrige Berliner Trikotagenfabrikant Giesecke (umwerfend: Bertram Maxim Gärtner), dem der Wannsee eigentlich lieber ist als der Wolfgangsee, und fängt das Mosern an. Bald entwickelt sich Wortwitz, angefangene Sätze werden frivol umgedeutet, und als auch noch der von der Wirtin Josepha (virtuos wie immer: Katharina Brenner) herbeigesehnte Stammgast Dr. Siedler eintrifft, ist die Zeit reif für den Evergreen "Im weißen Rössl am Wolfgangsee".

Wenn die anderen einstimmen, passt die Intonation zwar nicht mehr so recht, und das Glück steht auch noch nicht "vor der Tür", aber die Szene ist erfrischend. Sobald aber die heikle Zimmerfrage geregelt ist, darf es heißen: "Die ganze Welt ist blau!" Ein goldbronzener Gartenzwerg kommentiert das beschirmte Regenlied und lenkt den Blick auf die gelungene Choreographie (Tatiana Diara).

Der liebestolle Leopold

Dann wird es Nacht, und Giesecke, der natürlich mit "Powidltatschkerln" nichts anfangen kann, fischt sich verzweifelt aus dem Mülleimer etwas zum Essen.

Die Wirtin entlässt den ebenso liebestollen wie aufmüpfigen Leopold. Der kommentiert den Rauswurf mit "Zuschauen kann i ned", zuschauen nämlich, wie seine Josepha den Rechtsanwalt Dr. Siedler (elegant: Denis Grafe) umgarnt. Der hat aber längst ein Auge auf Gieseckes Tochter Ottilie geworfen und lädt sie zum Walzer. Der Berliner, unaufhörlich von seinem alternativen Reiseziel Ahlbeck schwärmend, erliegt plötzlich dem österreichischen Anpassungsdruck und erscheint im alpenländischen Outfit.

"Schön ist die Welt" und "Im Salzkammergut, da kammer gut lustig sein" lauten jetzt die Parolen, doch wenn Giesecke auch noch mit einer Tuba glaubt auftauchen zu müssen, erklingt drohend das Mundharmonika-Motiv aus "Spiel mir das Lied vom Tod".

Jetzt ist die Zeit reif für den "schönen Sigismund", Gieseckes Trikotagenkonkurrenten, sowie den sparsamen Professor Hinzelmann (mit ironischer Noblesse: Stephan Ullrich), der seiner Tochter Klärchen genüsslich die pekuniären Reisemodalitäten erläutert. Im zweiten Akt muss Giesecke auf den Gipfel kraxeln und wird dann auf der Alm mit Postzustellungsproblemen konfrontiert. Als Josepha vom unangemeldeten Besuch des Kaisers erfährt, wanzt sie sich an Leopold heran, den sie nun dringend bräuchte.

Allgemeines Knutschen

Doch der diktiert ihr ziemlich strenge Bedingungen. Mit Franz Joseph II. (statuarisch: Eckhart Neuberg) wird das Personentableau um einen harmlosen Kaiser komplettiert, den selbst Leopolds Fauxpas nicht empören können.

Nach allerlei Wort- und Szenenwitz haben sich Ottilie (mit schönem Timbre: Corinna Pohlmann) und der Rechtsanwalt ebenso gefunden wie Sigismund und Klärchen. Deren Defizite - eine Glatze und der Lispel-Sprachfehler - sind zwar alte Gags, aber wenn man das so erfrischend macht wie Eric Wehlan und Anna Döing, bleibt es witzig. Als die Wirtin per Arbeitszeugnis ihren Sinneswandel gegenüber Leopold ("Ehemann auf Lebenszeit") offenbart, ist allgemeines Knutschen der drei Paare angesagt, und selbst dem mittlerweile erstaunlich wohlgelaunten Berliner ist es jetzt egal, ob die Trikotagen nun vorne oder hinten zugeknöpft werden.

Für eine rundum perfekte Darbietung von Benatzkys Originalmusik und der Einlagen sorgte die unverwüstliche (und auch szenisch präsente!) Bettina Ostermeier mit ihrem kleinen, aber exquisiten Ensemble.

Sibylle Broll-Papes Regie garantierte flüssige Szenenwechsel in einem Dekor, das von Trixy Royeck frech und bunt, aber nicht zu grell entworfen wurde.

Fazit: Mit dieser vor Spielwitz strotzenden Sottise lässt es sich charmant ins Neue Jahr gleiten.