Im Staatstheater Nürnberg steht seit dem Wochenende Umberto Giordanos Revolutionsoper "Andrea Chénier" auf dem Programm. Die Neuinszenierung von Guy Montavon im findigen Einheitsraum von Edoardo Sanchi und großartige Solisten überzeugen.
Es passiert eher selten, dass ein Opernabend durch ein findiges Einheitsbühnenbild richtig in Fahrt kommt. Schon deshalb lohnt es sich, sich die 1789 und 1794 in Frankreich spielende veristische Revolutionsoper "Andrea Chénier" von Umberto Giordano im Opernhaus Nürnberg anzusehen. Dass auch noch fast alle Partien rollendeckend und einige sogar mitreißend besetzt sind, spricht für die hohe Qualität, die beim Staatstheater Nürnberg inzwischen Standard ist. Großer, uneingeschränkter Jubel bei der Premiere am Karsamstag, die auch auf BR-Klassik übertragen wurde.
Schon am Anfang der Neuinszenierung des Erfurter Intendanten Guy Montavon (Bühne: Edoardo Sanchi, Kostüme: Roswitha Thiel) ist es musicalhaft bunt: Im silbergrau vornehmen Landsitz der Gräfin von Coigny tragen die Diener eine leuchtend rote Livrée und die blaublütigen Gäste haben sich für den bevorstehenden Ball ganz schön aufgedonnert. Aus dem Bühnenhimmel senkt der gräfliche Innendecorateur unschuldsweiße Bourbonenlilien herab, dazwischen eine zierliche Schaukel, von der aus der Ballettmeister das bukolische Spiel dirigiert.
Ein Spiegel wie eine GuillotineWie sehr sich der Dichter Andrea Chénier von diesen gepuderten Décadents unterscheidet, wird nicht nur in seinen Worten deutlich. Er reißt sich die Perücke vom Kopf - ein Skandal, der nur zu bald abgelöst wird von einem weitaus größeren: Die angehende Revolution wird greifbar durch das Eindringen der Bauern in den Saal. Im zweiten Bild und fünf Jahre später ist der Lack längst ab: Die im Saal schwebenden alten Spiegel und Bilder sind nur mehr Relikte einer vergangenen Zeit, denen der wie eine Guillotine zugeschnittene Spiegel einprägsam die Schau stiehlt.
Im dritten und vierten Bild ist der barocke Einheitsraum nur noch bleigrau. Die Schaukel hat sich vervielfacht und wird erst sinnfällig vom Spitzel und später eindrucksvoll vom Volkstribunal genutzt. Gerade das Schwebende, die sanfte Bewegung dieser mit Sicherheitsbügeln geschützten, aber höchst unkontrollierten Menge wirkt bedrohlich und bringt die Lage auf den Punkt. Im Gefängnisakt schmachten oben im Gestänge noch einige Mitgefangene, die herunterhängenden Ketten fallen am Schluss - ein voraussehbarer Effekt - mit einigem Krach zu Boden, wenn Chénier und seine geliebte Maddalena ihre Köpfe für die nicht gezeigte Hinrichtung gesenkt haben. Das ist - wie auch die allzu bunten Kostüme - für meinen Geschmack etwas zu plakativ. Aber es wirkt.
Der Regisseur versteht sein Handwerk, was sich sowohl an den drei Hauptfiguren ablesen lässt, die eine Entwicklung zeigen, wie an der Fülle von Nebenfiguren, die alle - auch im Chor - ihr charakteristisches Eigenleben haben. Vincent Wolfsteiner in der Titelrolle verkörptert glaubhaft den idealistischen Poeten, der keine Erfindung des Komponisten und seines Librettisten Luigi Illica ist, sondern eine historische Figur. Die große Arie im 1. Akt meisterte er am Samstag auch sängerisch beeindruckend, im Laufe des Abends verlor er etwas von der Leichtigkeit und Geschmeidigkeit, die es braucht, damit diese glanzvolle Tenorpartie voll zur Geltung kommt.
Jubel für Mikolaj ZalasinskiSein Bühnenkontrahent Mikolaj Zalasinski als der vom Lakai zum Revolutionär aufsteigende Carlo Gérard gehört zu den Solisten des Nürnberger Ensembles, die selbst dann nicht enttäuschen, wenn sie nicht ihren besten Tag haben. Am Samstag war der ausdrucksstarke und darstellerisch versierte Bariton bestens disponiert und wurde bei der Premiere am ausdauerndsten bejubelt.
Dass Ekaterina Godovanets als Maddalena de Coigny nicht genauso intensiv gefeiert wurde, liegt vielleicht auch daran, dass die Figur vor allem im 1. Akt auch musikalisch noch eher beiläufig erscheint und erst Schritt für Schritt zur tragisch Liebenden wird. Was mich an dieser Sopranistin fasziniert, ist nicht nur ihre darstellerische Natürlichkeit und Glaubwürdigkeit, sondern ihre sängerische Delikatesse. Sie erfüllt, was Richard Wagner in seiner letzten Bitte an die Solisten der ersten Festspiele 1876 richtete: "Die großen Noten kommen von selbst: Die kleinen Noten und ihr Text sind die Hauptsache." Das gilt gewissermaßen auch für das Orchester, das unter dem akkurat, umsichtig, in Tempo und Dynamik mutig dirigierenden Philipp Pointner stilsicher in alle Höhen und Tiefen des italienischen Verismo führt.