Erster Grünen-Politiker für Verlängerung von AKW-Laufzeiten

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Wasserdampf steigt aus dem Kühlturm des Kernkraftwerks Isar 2. Ist eine Verlängerung der Laufzeiten der verbliebenen AKW eine Lösung?
Atomkraftwerk Isar 2
Armin Weigel/dpa/Archiv

In der Debatte um die Laufzeiten von Atomkraftwerken hat sich ein Grünenpolitiker gemeldet, der für die Verlängerung ist. Tübingens OB Boris Palmer sieht darin eine mögliche Lösung des Problems.

Durch die Ampel-Koalition geht ein Riss: In der Debatte um eine Laufzeitverlängerung der drei verbliebenen Atomkraftwerke sind sich die Koalitionäre uneinig. SPD-Generalsekretär Kevin Kühnert nannte Atomenergie am Dienstag im Deutschlandfunk eine «Augen-zu-und-durch-Technologie», die Befürwortern sicherer und günstiger erscheine, als sie faktisch sei. FDP-Fraktionsvize Lukas Köhler warf Gegnern längerer Laufzeiten vor, diese aus ideologischen Gründen abzulehnen, obwohl es gar nicht um «eine Renaissance der Kernenergie» gehe, sondern darum, die Folgen des Ukraine-Kriegs abzumildern.

Bei den Grünen gibt es neben Stimmen, die gegen eine  Verlängerung sind, auch eine abweichende Meinung. Tübingens Oberbürgermeister Boris Palmer hat sich für längere Laufzeiten ausgesprochen. 

Boris Palmer sieht in Laufzeitverlängerung mögliche Lösung

Eigentlich ist Boris Palmer derzeit nur bedingt Grüner, da seine Parteimitgliedschaft ruht, bis ein Ausschlussverfahren entschieden hat. Er wurde aber als Mitglied der Grünen zum OB gewählt und war lange Zeit prominenter Vertreter dieser Partei. Nun hat er sich erneut mit einer Meinung zu Wort gemeldet, die den meisten Mitgliedern seiner bald vielleicht Ex-Partei nicht gefallen dürfte.

Gegenüber der "Bildzeitung" sagte er nämlich, dass es nicht tabu sein dürfe, über drei Monate mehr Atomkraft zu sprechen: „Alles, das was bringt, um gut durch den Winter zu kommen, darf nicht tabu sein. Kohle oder Atomkraft – das ist mir diesen Winter nicht wichtig. Entscheidend ist, dass die Industrie nicht abgeschaltet wird, dass sie weiterproduzieren kann. Und da können auch drei Monate länger Atomkraft richtig sein.“

Dabei gehe es nicht um einen Winter mehr oder weniger. Für Palmer sei der Atomausstieg ein langfristiges Projekt und eine mögliche, kurzfristige Verlängerung eher Lösung als ein Problem. Daneben regte er im Gespräch mit "Bild" Energiesparmaßnahmen an, etwa durch die Senkung der Temperaturen in öffentlichen Gebäuden um drei Grad. Private Haushalte sollten sich an diesen Maßnahmen beteiligen, so Palmer und im Winter ihre Heizung um zwei Grad herunterdrehen. 

SPD-Fraktionsvize: Alle Optionen auf den Tisch

Seit die Bundesregierung einen weiteren Test der Stromversorgung in Deutschland unter verschärften Bedingungen angekündigt hat, scheint nicht mehr komplett ausgeschlossen, dass die verbliebenen Kernkraftwerke doch noch länger laufen könnten. Die Atomkraftwerke Isar 2, Emsland und Neckarwestheim 2 sollen nach geltendem Recht spätestens am 31. Dezember 2022 abgeschaltet werden. Vor dem Hintergrund der Energiekrise, die sich durch den russischen Angriffskrieg gegen die Ukraine zugespitzt hat, gibt es seit Monaten eine Debatte, ob die drei Meiler weiterlaufen sollen - ob nur für eine kurze Zeit oder sogar für einige Jahre.

Der Atomausstieg sei auf Grundlage der Feststellung beschlossen worden, «dass wir es mit einer Hoch-Risiko-Technologie bis heute auch ohne Endlager in Deutschland zu tun haben», sagte Kühnert. «Wenn daran jetzt was geändert werden soll, dann doch nur auf Grundlage von profunden Erkenntnissen.» Nach derzeitiger Kenntnislage erscheine eine Laufzeitverlängerung nicht notwendig, betonte Kühnert. «Trotzdem machen wir diesen Stresstest jetzt an der Stelle, weil wir uns nicht am Ende nachsagen lassen wollen, nicht alle Möglichkeiten in Erwägung gezogen zu haben, um die Versorgungssicherheit in Deutschland – und zwar von Industrie und Privathaushalten – sicherzustellen.»

Natürlich gehörten alle Optionen auf den Tisch, das sei Teil von guter Krisenprävention, erklärte SPD-Fraktionsvize Matthias Miersch. «Nur muss dann eben auch sachgerecht geprüft und entschieden werden: Alle Erkenntnisse zeigen bislang, dass eine Laufzeitverlängerung der Atomkraftwerke nicht bei der Kompensation von Gas hilft, gigantische Kosten entfacht und aus Sicherheitsgründen ausscheidet.» Miersch sprach sich dafür aus, Kraft in «wirkliche Lösungen» zu stecken und dafür zu sorgen, dass der hohe Gaspreis nicht auch noch den Strompreis in die Höhe treibt. 

mit dpa