Brennpunkt Kosovo: Weitere Spannungen in Europa

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Noch herrscht Frieden in Belgrad. Doch dieser scheint brüchig zu sein.
Noch herrscht Frieden in Belgrad. Doch dieser scheint brüchig zu sein.
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Im Zuge der Neuregelungen wurden zeitweise die Grenzen blockiert.
Im Zuge der Neuregelungen wurden zeitweise die Grenzen blockiert.
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Auch deutsche Soldaten sind in der KFOR-Einheit. (Symbolbild)
Auch deutsche Soldaten sind in der KFOR-Einheit. (Symbolbild)
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Serbien lehnt eine Beteiligung an den Sanktionen gegen Russland ab.
Serbien lehnt eine Beteiligung an den Sanktionen gegen Russland ab.
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Würde Putin von einem Balkan-Krieg profitieren?
Würde Putin von einem Balkan-Krieg profitieren?
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Droht ein neuer Krieg in Europa? Zwischen dem Kosovo und Serbien treten erneut Spannungen auf. Was bedeutet das für die Region und für Europa?

  • Woher resultieren die Spannungen zwischen Serbien und dem Kosovo?
  • Welche Folgen könnten diese haben?
  • Droht ein neuer Krieg?
  • Was hat Putin damit zu tun?
  • Welche Folgen hätte ein Krieg in Europa?

Am 17. Februar 2008 rief der Kosovo seine Unabhängigkeit aus. Dem vorausgegangen war ein Krieg mit Serbien. Doch Serbien erkennt die Unabhängigkeit des Kosovo nicht an. Nun eskaliert die Lage erneut. Droht der Balkan erneut zum Pulverfass zu werden?

Worum geht es im aktuellen Konflikt?

Der Hintergrund für die erneute Eskalation ist der Streit über eine gegenseitige Nichtanerkennung von Ausweisdokumenten und Autokennzeichen. Der Kosovo hat eine Bestimmung erlassen, nach der Serben für die Einreise in den Kosovo neben ihrem serbischen Ausweis ein kosovarisches Zusatzpapier sowie ein kosovarisches Nummernschild benötigen. Laut dem Ministerpräsidenten des Kosovo sei das eine Gegenmaßnahme dafür, dass Serbien seit Jahren bereits kosovarische Dokumente nicht anerkennt. Bei der Einreise nach Serbien erhalten Kosovaren ähnliche Dokumente, wie sie der Kosovo nun für Serben fordert. In der Folge der Ankündigung hatten serbische Einwohner des Kosovo in Grenznähe Straßenblockaden errichtet. 

Dies ist nicht der erste Vorfall. Im September 2021 hatten Kosovo-Serben Grenzübergänge mit Lastwagen blockiert, es soll Übergriffe auf Kfz-Zulassungsstellen im Norden des Kosovo gegeben haben, wo überwiegend ethnische Serben leben. Die Regierung des Kosovo schickte daraufhin Spezialeinheiten der Polizei mit gepanzerten Fahrzeugen ins Grenzgebiet, was die serbische Regierung als Provokation empfand. Daraufhin wurden die Militäreinheiten an der Grenze in Kampfbereitschaft versetzt und Kampfflugzeuge und Hubschrauber in die Region geschickt. 

Nach den jüngsten Zwischenfällen hat die KFOR-Mission unter der Leitung der NATO die Routine-Patrouillen verstärkt. Seit 1999 sind in der Region die NATO-Truppen stationiert, darunter befinden sich auch rund 80 Soldatinnen und Soldaten aus Deutschland. Die EU hat die Beteiligten zu einem Treffen nach Brüssel eingeladen, um über das weitere Vorgehen zu beraten und die Spannungen abzubauen. Der Ministerpräsident des Kosovo hat daraufhin das Inkrafttreten der neuen Regelungen vorerst auf den 1. September 2022 verschoben. 

Geht es nur um die Grenzkontrollen?

Die jüngsten Ereignisse zeigen, wie fragil der Frieden zwischen Serbien und dem Kosovo ist. Doch geht es nur um die Grenzkontrollen? Ein Tweet eines Abgeordneten der serbischen Regierungspartei scheint dies zu verneinen. Serbien könnte gezwungen sein, mit der "Entnazifizierung des Balkans" zu beginnen. Mit eben dieser Aussage begründet Russland den Angriffskrieg auf die Ukraine. Man müsse die Ukraine von den Nazis befreien, sagte Wladimir Putin. Eine eindeutige Parallele, denn hier wird behauptet, dass westlich gesteuerte Nazis eine Revolution entfachen würden. Der serbische Präsident Aleksander Vučić sagte sinngemäß, sein Land wolle Frieden – aber nicht um jeden Preis. 

Zusätzlich kommt hinzu, dass Serbien die Unabhängigkeit des Kosovo nicht anerkennt. Vučić zeigt sich weiterhin unbeeindruckt vom Druck der Europäischen Union, der auf ihn ausgeübt wird, den Kosovo als Staat anzuerkennen. Dabei ist Serbien wirtschaftlich von der EU abhängig. Zwei Drittel der serbischen Exporte gehen in die EU, gleichzeitig erhält das Land seit 2007 jährlich rund 170 Millionen Euro als sogenannte Heranführungshilfe aus Brüssel. Diese finanzielle Abhängigkeit ist durch den Ukraine-Krieg noch gewachsen, der serbische Wirtschaftsmotor lahmt. Serbien stellte 2009 einen Mitgliedsantrag in die EU, seit 2014 laufen die Verhandlungen. Doch hat es momentan den Anschein, als ob Vučić sein Land nicht wirklich in die EU führen will. Seit geraumer Zeit sind keine Fortschritte mehr in den Gesprächen erzielt worden. Es scheint vielmehr, als sei der serbische Staatschef ideologisch näher an Russland als an der EU. Im April 2022 kaufte Serbien von China ein Raketenabwehrsystem, auch investieren die Chinesen in großem Stil in Serbien in Gesundheit, Bildung und die Überwachungsstruktur. Vučić scheint sich alle Optionen offenzuhalten.

Davon will der serbische Staatschef wohl auch nicht abrücken, auch wenn die Spannungen zwischen dem Westen und Russland weiter zunehmen. Serbien hat zwar den Angriffskrieg auf die Ukraine mit verurteilt, aber an den Sanktionen beteiligt man sich nicht. Und das aus zwei Gründen: Erstens, weil Serbien weiterhin russisches Gas zum Freundschaftspreis erhält und zweitens, ein Bruch mit Moskau käme in der weitgehend russlandfreundlichen Bevölkerung nicht gut an. 

Und die Folgen?

Vučić wird vonseiten der EU immer wieder darum gebeten, sich als EU-Beitrittskandidat den Sanktionen gegen Russland anzuschließen. Doch dies überhört er mit stoischer Ruhe. Russland hingegen stellt sich auf die Seite Serbiens und lässt die Spirale der Eskalation weiter drehen. Die Sprecherin des russischen Außenministers bezeichnete in einer Erklärung die neuen Einreiseregeln des Kosovo als ungerechtfertigtes Instrument, um die einheimischen Serben aus dem Kosovo zu vertreiben. Putin-Sprecher Dmitri Peskov ergänzte, Serbien könne sich der vollen Unterstützung Russlands sicher sein.

Propagandistisch ist der Konflikt für Russland ein Glücksgriff. Der Kreml kann den Westen als gescheitert vorführen, weil er es nicht geschafft hat, zwischen den beiden Ländern in ungeklärten Fragen zu vermitteln. An einer Deeskalation hat Russland wenig Interesse. Die Souveränität des Kosovo wird nicht anerkannt. Der Demokratisierungsprozess auf dem Balkan wird so unterwandert, eine NATO-Erweiterung wird damit verzögert oder verhindert. Und man kann dem Westen weiterhin unterstellen, dass er diese Eskalation bewusst provoziert hat.  

Doch welche Folgen hätte eine weitere Eskalation? Weder Serbien noch der Kosovo sind Mitgliedsstaaten in der NATO. Damit wäre der Bündnisfall nicht gegeben. Allerdings ist die KFOR-Einheit im Kosovo stationiert. Ein Angriff der Serben dort wäre also möglicherweise auch ein Angriff direkt auf die NATO. Ein UN-Mandat zum Eingreifen wäre also durchaus im Bereich des Möglichen. Und damit würde auch Deutschland mit in einen Krieg gezogen, da sich dort auch Soldaten aus Deutschland aufhalten. Inwiefern ein solcher Krieg auch auf den gesamten Balkan übergreifen könnte, kann nur spekuliert werden. Doch durch die bereits angespannte Lage im asiatischen Raum und den Krieg in der Ukraine wäre es kaum noch möglich, auch dort noch einzugreifen, weder direkt noch indirekt. 

Fazit

Die Lage auf dem Balkan zeigt sich ähnlich angespannt wie vor dem Beginn der Balkan-Kriege. Erschwerend kommen die Brennpunkte im asiatischen Raum und der russische Angriffskrieg in der Ukraine hinzu. Es bleibt zu hoffen, dass sich nicht ein weiterer Brennpunkt entwickelt. Die Folgen auf dem europäischen Festland und auch weltweit sind momentan schwer abzuschätzen. Allerdings wäre ein Krieg mitten in Europa sowohl menschlich gesehen als auch wirtschaftlich eine Katastrophe.