Palästinenser in Ruinen und Ödland
Während sich die Angehörigen in Israel in einem Schwebezustand aus Hoffnung auf Rückkehr der Lebenden und Trauer über die zu erwartenden Toten befinden, ist die Lage für die Palästinenser im von Israel abgeriegelten Gazastreifen verzweifelt. Hunderttausende müssen nach zwei Jahren Krieg in einer zu weiten Teilen zerstörten, vermutlich von Blindgängern übersäten Trümmerlandschaft klarkommen, in der sie nur durch dauerhafte Hilfe von außen überleben können.
Seit Beginn der Waffenruhe sollen laut dem von der Hamas kontrollierten Zivilschutz bereits mehr als 200.000 Menschen aus dem Süden des Gazastreifens in die weitgehend zerstörte Stadt Gaza im Norden zurückgekehrt sein. Vielen von ihnen dürfte es wie dem bekannten palästinensischen Arzt Essideen Schebab ergangen sein.
Arzt: Hamas kroch in Tunnel, Zivilisten waren schutzlos
«Seit dem frühen Morgen befinden sich meine Familie und ich in einem Zustand des völligen psychischen Zusammenbruchs», schrieb der Mediziner, der durch seine Berichte aus dem Kriegsgebiet bekannt wurde, auf der Plattform X. «Heute haben wir erfahren, dass unsere Häuser, unser Land und unsere gesamte Nachbarschaft, jedes Haus unserer Familie und unserer Nachbarn, vollständig ausgelöscht wurden.» Alles sei wie von Bulldozern dem Erdboden gleichgemacht, zu einer öden Fläche aus gelbem Staub platt gedrückt worden.
Die Hamas habe den Krieg vom Zaun gebrochen, schrieb Schebab. Und dann hätten sich die Islamisten vor den israelischen Angriffen in die Tunnel unter dem Gazastreifen verkrochen, während die Zivilbevölkerung der «vollen Grausamkeit der israelischen Armee» ausgesetzt gewesen sei.
Riesige Hürden vor «ewigem Frieden»
Auch wenn vielfach von einem «Durchbruch» die Rede ist: Vor dem von Trump beschworenen «ewigen Frieden» für die Region liegen noch riesige Hürden. Zwar soll dem Austausch der Geiseln gegen Häftlinge nach dem 20 Punkte umfassenden Plan Trumps eine weitere Verhandlungsphase mit dem Ziel einer dauerhaften Beilegung des jahrzehntealten israelisch-palästinensischen Konflikts folgen. Doch diese Verhandlungen dürften äußerst schwierig werden.
Die Positionen beider Seiten könnten kaum weiter auseinanderliegen. Die Hamas spricht Israel weiterhin das Existenzrecht ab, Netanjahu und seine rechtsextremen Regierungspartner wollen die Hamas restlos zerschlagen.
Die Hamas lehnt ihre in Trumps Friedensplan vorgesehene Entwaffnung und eine auch nur vorübergehende ausländische Aufsicht über den Küstenstreifen ab. Zudem gibt es bisher keine Garantie dafür, wie und wann sich Israels Armee ganz aus dem Gazastreifen zurückzieht.
Gemäß dem Friedensplan haben sich die israelischen Streitkräfte mittlerweile auf eine vorher vereinbarte Position zurückgezogen. Sie halten damit aber noch immer etwas mehr als die Hälfte des Küstenstreifens besetzt. Regierungschef Netanjahu droht, der jüdische Staat werde den Krieg wieder aufnehmen, wenn die islamistischen Terroristen nicht entwaffnet werden.
Viele Israelis lehnen Zweistaatenlösung ab
Netanjahu lehnt auch die ebenfalls vorgesehene spätere Verwaltung des Gazastreifens durch die Palästinensische Autonomiebehörde aus dem Westjordanland kategorisch ab. Und die in Trumps Plan angedeutete Möglichkeit eines Palästinenserstaates ist nicht nur für den israelischen Ministerpräsidenten völlig inakzeptabel, sondern wird auch von vielen seiner Landsleute abgelehnt.
Frist für Geiselfreilassung läuft
Seit dem Inkrafttreten der Waffenruhe am Freitag um 12.00 Uhr Ortszeit (11.00 Uhr MESZ) läuft eine 72 Stunden lange Frist für die Freilassung der Geiseln. Aus Kreisen der Hamas hieß es, alle lebenden und möglichst auch die toten Geiseln würden voraussichtlich schrittweise zwischen Sonntag und Montagmorgen 6.00 Uhr (5.00 Uhr MESZ) übergeben. Trump hatte zuvor gesagt, er erwarte eine Übergabe am Montag.
Die Rückkehr soll vom Internationalen Komitee vom Roten Kreuz ohne öffentliche Zeremonie und ohne Medienvertreter organisiert werden, nachdem der Hamas mehrfach die propagandistische Inszenierung früherer Geisel-Freilassungen vorgeworfen worden war.
Reist der Bundeskanzler ebenfalls an?
In Ägypten will Trump der «offiziellen Unterzeichnung» des Abkommens zwischen Israel und der Hamas nicht bloß beiwohnen. Er soll offenbar im Vordergrund stehen: Das ägyptische Außenministerium kündigte ihn und Staatschef Abdel Fattah al-Sisi als Vorsitzende eines internationalen Gipfeltreffens in Scharm el Scheich an.
Vertreter der Hamas und Israels an einem Tisch - das war schon während der komplizierten Verhandlungen undenkbar, weshalb die Gespräche indirekt über Vermittler geführt wurden. Und bei der Besiegelung des Gaza-Abkommens wird es anscheinend nicht anders sein. Die Hamas nehme an der geplanten Zeremonie nicht teil, «nur die Vermittler sowie amerikanische und israelische Regierungsvertreter werden anwesend sein», hieß es aus Kreisen der Islamisten.
Bundeskanzler Friedrich Merz könnte anlässlich der Einigung ebenfalls nach Ägypten kommen. Aus deutschen Regierungskreisen hieß es, der CDU-Chef habe die Einladung von Staatschef al-Sisi dankend entgegengenommen. Offiziell bestätigt wurde eine Reise des Kanzlers bisher aber nicht. Dafür haben andere Spitzenpolitiker ihr Kommen fest angekündigt, darunter UN-Generalsekretär António Guterres und Frankreichs Präsident Emmanuel Macron.
UN-Helfer: Genug Lebensmittel für zwei Millionen Menschen
Das Welternährungsprogramm (WFP) der Vereinten Nationen rief die israelische Regierung auf, rasch weitere Hilfslieferungen für die Menschen im Gazastreifen zu ermöglichen. Das WFP habe als größte humanitäre Organisation der Welt genügend Lebensmittel in der Region, um die gut zwei Millionen Menschen im Gazastreifen für bis zu drei Monate zu versorgen - wenn Israel vollen Zugang gewährt. Lastwagen aus Ägypten, Jordanien und dem von Israel besetzten Westjordanland seien unterwegs, berichtete die UN-Organisation.
Im Rahmen der Vereinbarung zwischen Israel und der Hamas sollen die Hilfslieferungen in den Gazastreifen deutlich ausgeweitet werden. Nach Angaben aus Hamas-Kreisen sollen in der ersten Phase pro Tag rund 600 Lastwagen mit Hilfsgütern einfahren - doppelt so viele wie zuvor.