Menschen hängen am Haken: ARD-Reporterin findet es "makaber, aber gleichzeitig auch total schön"

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Y-Kollektiv: High durch Schmerz
Schon der Anblick einer Suspension ist nichts für schwache Nerven.
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Y-Kollektiv: High durch Schmerz
Die Gemeinschaft in der kleinen Gruppe sei spürbar, findet von der Groeben: Alle achten aufeinander.
WDR/Sendefähig/Anne Thiele
Y-Kollektiv: High durch Schmerz
Thomas Jacobsen und Selina Maria Weiler (Mitte) forschen zu Körpermodifikation und Suspensions und erklären Reporterin von der Groeben die Hintergründe.
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Während die meisten Menschen Schmerzen vermeiden wollen, suchen ihn einige ganz bewusst: Nur an Haken, die durch ihren Körper gebohrt werden, lassen sie sich aufhängen. Eine ARD-Doku taucht in die kleine Suspension-Szene ein und fragt: Wieso muss es wehtun?

Die steril verpackten Haken, die Alex mit in einen Wald im Berliner Stadtteil Karlshorst gebracht hat, erinnern auf den ersten Blick ein wenig an mittelalterliche Folterinstrumente. Doch der tätowierte und gepiercte große Mann ist alles andere als ein Henker: Seit 21 Jahren führt der Spanier sogenannte Suspensions durch.

Dabei lassen sich Menschen an Haken aufhängen, die an ausgewählten Stellen durch ihren Körper gebohrt werden. Reporterin Caro von der Groeben fragt sich: Warum tut man sich das an? In der ARD-Doku "Y-Kollektiv: High durch Schmerz" verbringt sie einen Tag mit einer sogenannten "Body Suspension Crew" und befragt zwei Psychologen.

Suspensions sind keine neue Erfindung einer Randgruppe: In einigen asiatischen Ländern wird beispielsweise das Thaipusam, das Festival des Schmerzes, gefeiert, bei dem sich Menschen Haken durch die Haut bohren. Der Performance-Künstler Stelarc ließ sich in den 70er-Jahren für verschiedene Aktionen ebenfalls an Haken aufhängen.

ARD-Reporterin ist bei einer Suspension dabei: "Plötzlich sieht sie ganz friedlich aus"

Wenn nicht Glaube oder Kunst dahintersteckt, warum tun sich Menschen dann diesen Schmerz an? Alex kennt die Gründe aller Mitglieder in der kleinen Gruppe, die von der Groeben einen Einblick in die Szene gewährt: Manche wollen Grenzen austesten, andere wollen Traumata bewältigen, wieder andere würden es aus Spaß tun, erklärt er. "Ich bin high vom Adrenalin", lacht etwa Maria, die sich an diesem Tag an zwei Haken in ihren Knien aufhängen lässt. Der Körper sorgt selbst für das High: Bei Schmerzen stößt er eigene Opioide aus, die für Glücksgefühle sorgen können.

Um diesen Zustand zu erreichen, genügt jedoch kein kleiner Pieks. Schon das Einsetzen der Haken ist schmerzhaft, denn diese müssen - wortwörtlich - tief unter die Haut gehen. Von da an werden die Schmerzen nur noch mehr: Beim Hochziehen muss selbst Maria, die schon unzählige Male Suspensions gemacht hat, stöhnen. Von der Groeben schlägt bei diesem Anblick die Hände vor dem Mund zusammen. Doch dann: "Plötzlich sieht sie ganz friedlich aus", stellt die Reporterin fest, als Maria schließlich nur an ihren Knien an einem Baum hängt.

Nach zehn Minuten will sie wieder festen Boden unter den Füßen spüren. Langsam wird sie herabgelassen, die Haken werden herausgezogen und die kleinen Wunden desinfiziert. Diese fühlen sich an "wie ein blauer Fleck", erklärt Maria von der Groeben gelassen. Später werden sie zu kleinen Narben, die teilweise kaum zu erkennen sind.

"Für mich ist es auch ein Antidepressiva"

Neben dem High-Gefühl hat Maria noch einen weiteren Grund, warum sie Suspensions macht: In ihrer Jugend habe sie sich immer wieder selbst verletzt, erzählt sie von der Groeben. Mittlerweile tue sie das nicht mehr. "Als ich Suspension entdeckte, war es einfacher für mich, Emotionen zu verarbeiten, mit denen ich mich rumschlage, seitdem ich sehr, sehr jung bin", erklärt sie weiter. Suspension erfülle ihr Bedürfnis nach Schmerz, ganz ohne Scham und Einsamkeit, sondern in einer Community.

Aber ist das Aufhängen an Haken wirklich die Lösung? Die Kamerafrau des ARD-Teams fragt bei einer anderen Teilnehmerin, Vanessa, nach, ob sie nicht schon einmal überlegt hätte, zur Psychotherapie zu gehen. "Ja, gehe ich auch", lacht diese daraufhin und erklärt: "Ich glaube, viele von uns gehen in Therapie. Und man kann das auch gut kombinieren."

Emotionaler Schmerz, erklärt Marcus, der an diesem Tag ebenfalls im Wald ist, gehe durch den körperlichen Schmerz zwar nicht weg, "aber du hast ein Ventil für die Wut und den Zorn und die Ohnmacht, die du in dir hast." Er sagt: "Für mich ist es auch ein Antidepressivum. Also, zwei Wochen, nachdem ich eine Suspension gemacht habe, habe ich saugute Laune."

Wissenschaftler erklärt: Suspensions sind wie Extremsportarten

Wer Suspensions macht, habe jedoch nicht automatisch eine psychische Krankheit, räumt Thomas Jacobsen von der Helmut-Schmidt-Universität in Hamburg mit einem Vorurteil auf. Zusammen mit seiner Kollegin Selina Maria Weiler forscht er zu Körpermodifikation und Suspension. Ästhetik könne ebenfalls eine Rolle spielen, erklären die beiden Psychologen weiter. Von der Groeben kann das nachvollziehen: "Makaber, aber gleichzeitig auch total schön", beschreibt sie selbst den Anblick. Außerdem könne, wie bei Extremsportarten, das Gefühl, etwas geschafft zu haben, ein Grund sein, so die Experten.

Vanessa, die sich bei von der Groebens Besuch an acht Haken in ihrem Bauch aufhängen lässt, beschreibt es ähnlich: "Ich fühle mich jetzt auch richtig stark, gerade weil ich diesen Schmerz überwunden habe."

Dennoch weiß sie: Suspensions sind nicht für jedermann. Man müsse sich vor dem ersten Versuch ausreichend Gedanken machen und sich sicher sein, "dass man auch Nein sagen kann und Stopp sagen kann. Dass man nicht Grenzen überschreitet, die man nicht möchte".

"Y-Kollektiv: High durch Schmerz" ist am Donnerstag, 13. November, um 23.35 Uhr im WDR und bereits jetzt in der ARD-Mediathek zu sehen.