In Syriens "Schlachthaus für Menschen" stockt Markus Lanz der Atem: "Was sind das für Sadisten?"

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"Markus Lanz - Flucht"
Bei seinem Besuch in Damaskus begegnet Markus Lanz (links) unvorstellbarem Leid und Zerstörung.
ZDF / Anabel Münstermann
"Markus Lanz - Flucht"
Für seine ZDF-Dokumentation "Markus Lanz - Flucht" verschlug es Markus Lanz unter anderem nach Syrien und in den Senegal.
ZDF / Anabel Münstermann
"Markus Lanz - Flucht"
Für 35 Euro Tageslohn schuftet der Senegalese Max (links) in seinem italienischen Landwirtschaftsunternehmen, um wenigstens etwas Geld nach Hause schicken zu können.
ZDF / Anabel Münstermann

"Dieses Ausmaß an Zerstörung habe ich noch nie gesehen": Ein ZDF-Film führte Markus Lanz ins vom Bürgerkrieg zerstörte Syrien. Angesichts der Schicksale der Betroffenen stockt selbst dem hartgesottenen Journalisten die Stimme. Auch in Senegal begegnet Lanz jede Menge Leid - und einem Grundsatzproblem.

Würde man nicht wissen, wo Markus Lanz in seiner neuen TV-Doku umherwandert, man würde ihn am Filmset einer apokalyptischen Serie vermuten. Doch die Zerstörung, die den ZDF-Moderator in Damaskus erwartet, ist echt - und das Resultat von zwölf Jahren Bürgerkrieg. "Dieses Ausmaß an Zerstörung habe ich noch nie gesehen", fehlen Lanz im ZDF-Film "Markus Lanz - Flucht" (ab sofort zum Streamen verfügbar) die Worte. "Assads Armee hat das eigene Land in ein Schlachtfeld verwandelt."

Nichts sei ihnen geblieben, erklären Hinterbliebene. Noch immer lägen unter den Häuserruinen Tote. Ein Ortsansässiger berichtet, sein einjähriger Sohn sei "einfach entzwei gerissen" worden. "Assad hat unsere Kinder getötet. Vergeben können wir erst, wenn er vor Gericht steht", klagen sie den einstigen Machthaber Baschar al-Assad an.

Angesichts des Leids, des Ausmaßes der Zerstörung versagt Lanz im Laufe der einstündigen Dokumentation mehrfach die Stimme. Auch für das TV-Publikum ist der Film von Anabel Münstermann schwere Kost. Aufgebrochen sind die aufwühlenden Filmaufnahmen immer wieder durch ausdrucksstarke Schwarz-Weiß-Fotografien, geschossen von Lanz selbst.

Bahar war sechs Jahre mit 70 Männern in einer Zelle gefangen

"Wir waren wie Tote", wirft Riad al-Asaad, Deserteur und Staatsfeind Nummer eins, einen Blick zurück. Der prominenteste Anführer des Widerstandes gegen Assad hat mehr Anschläge auf sein Leben überstanden, als er zählen kann. "Man zahlt den Preis, ob man schweigt oder handelt", sagt er, der wie fast jeder Familienmitglieder und Freunde verloren hat. Trotzdem sei er froh, nach Jahren im Exil wieder in seiner alten Heimat zu sein: "Selbst in diesen Trümmern leben wir wieder mit Freude. Freiheit ist ein Grundbedürfnis."

Diese Freiheit wurde Bahar geraubt. Sechs Jahre und zwei Monate war er in Sednaya gefangen, im "Schlachthaus für Menschen". Gemeinsam mit Lanz besucht er Assads einstige Folterkammer, die bis zu 30.000 Menschen das Leben kostete - nachdem sie bestialisch gequält wurden. "Wir mussten uns ihnen unterwerfen", berichtet der einstige Gefangene über unvorstellbare Demütigungen.

Mit 70 Mann habe er in einer Zelle hausen müssen: "Wer den Kopf hob, wurde sofort geschlagen." Angesichts der Schilderungen Bahars muss auch Lanz schlucken und stellt fest, dass ein ganzes Land "traumatisiert" worden sei: "Was sind das für Sadisten, die hier am Werk sind?"

Senegalesischer Migranten über bevorstehende Flucht: "Wir begehen quasi Selbstmord"

Seine weltweite Bestandsaufnahme zum Thema Flucht führt Markus Lanz aber nicht nur nach Syrien. In Senegal wird der 56-Jährige Zeuge davon, dass neben Krieg auch Armut und Perspektivlosigkeit Menschen zur Flucht aus der Heimat veranlassen können. Senegals Bevölkerung platzt aus allen Nähten und wächst weiter. Jobs sind aber knapp, dazu fehlt es an Nahrungsmitteln - auch wegen der negativen Auswirkungen des Ukraine-Kriegs auf die globalen Lieferketten.

"Die Menschen sind sehr, sehr arm. Ihr Europäer habt aber eure Pässe, ihr könnte überall hinfliegen", klagt der Dorfvorsteher gegenüber Lanz. Noch dazu würden die Europäer die Meere leer fischen. "Aber uns erzählt ihr, dass es für uns in Europa nichts gibt?"

Von den teuren Schleppergebühren und der gefährlichen Überfahrt in den behelfsmäßig umgerüsteten Schlepperbooten lassen sich viele nicht abschrecken. "Wir wurden abgeschoben, bekamen 15 Euro und einen Burger", erinnert sich ein junger Mann. Ein anderer fügt hinzu: "Wir steigen in die Boote und begehen quasi Selbstmord."

Ein Schleuser, der nur anonym vor die Kamera tritt, weiß jedoch: "Wenn ich ihnen anbieten würde, heute um 22 Uhr mit dem Boot loszufahren, sie würden es alle nehmen." Fabian Heppe von der Heinrich Böll Stiftung gibt der Einschätzung im ZDF-Film recht. "Auch wenn man das nicht in Deutschland hören will, die Träume der Menschen hier sind höher als die Mauern, die wir bilden", ist sich Heppe sicher. "Eine repressivere Migrationspolitik wird nicht dazu beitragen, dass weniger Leute kommen, sondern dass sie einfach gefährlichere Routen auf sich nehmen."

Italienischer Stadtrat kanzelt Flüchtlingscamp ab: "Eine Schande für ganz Europa"

Wenn es Flüchtlinge lebend über den Seeweg nach Europa schaffen, landen viele von ihnen erst einmal in Italien. "Ohne sie geht gar nichts, Italiener findest du nicht mehr", ist ein Schichtleiter bei einem Landwirtschaftsunternehmen froh um die Erntehelfer - eine saisonale Arbeitserlaubnis macht es möglich. Giulio De Santis, Stadtrat von Foggio, wirbt im Film um mehr Offenheit gegenüber Migranten: "Die Politik braucht Mut und muss die Initiative ergreifen." Er wünsche sich eine "Willkommenskultur". Millionen von Euro für ein Camp wie in Borgo Mezzanone zu versenken, sei eine "Schande für ganz Europa".

Grund genug für Markus Lanz, sich vor Ort selbst ein Bild zu machen. "Beide sind sie gleichermaßen katastrophal", urteilt er über den illegalen Slum und das offizielle Camp. Der Senegalese Max zum Beispiel ist seit acht Jahren da. Für 35 Euro Tageslohn buckelt er in seinem Job in der Landwirtschaft, um wenigstens etwas Geld nach Hause schicken zu können. Seinen Bruder wolle er aber davon abhalten, nach Europa zu kommen, denn: "Das Leben [d.Red.: im Senegal] ist definitiv besser als hier."

Dieses traurige Fazit lässt Lanz am Ende des Films bitter bilanzieren: "Wenn es eines Beweises bedarf, dass dieses System vollkommen kaputt ist, ist es hier."