"Geld wird rausgeballert für Quatsch": Grünen-Chefin zerpflückt schwarz-rote "Reförmchen"

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"Maybrit Illner"
Grünen-Chefin Franziska Brantner sah die von der Koalition beschlossenen Reformen kritisch.
ZDF / Jule Roehr
"Maybrit Illner"
Carsten Linnemann rührte bei "Maybrit Illner" die Werbetrommel für die jüngsten Beschlüsse der rot-grünen Koalition.
ZDF / Jule Roehr
"Maybrit Illner"
Reformen - oder doch nur "Reförmchen"? Am Donnerstagabend diskutierte die Runde bei "Maybrit Illner" über die Ergebnisse der jüngsten Koalitionsverhandlungen.
ZDF / Jule Roehr

Aus Bürgergeld wird neue Grundsicherung, und Jobverweigerern soll der Geldhahn zugedreht werden: Carsten Linnemann präsentierte am Donnerstag bei "Maybrit Illner" begeistert die Ergebnisse der Koalitionsverhandlungen. Grünen-Chefin Franziska Brantner teilte den Enthusiasmus nicht - ganz im Gegenteil.

"Wir mussten liefern - das haben wir heute getan", der Stimme von Carsten Linnemann (CDU), Generalsekretär, merkte man bei der Talkshow Maybrit Ilner am Donnerstagabend den nächtlichen Verhandlungsmarathon noch deutlich an. In diesem hatten sich die Koalitionspartner zur Reform des Bürgergelds geeinigt: Dem Ganzen wurde nicht nur ein anderer Name gegeben - aus Bürgergeld wird neue Grundsicherung. Es kommt auch der Vermittlungsvorrang wieder, und Jobverweigerer müssen mit deutlich schärferen Sanktionen rechnen.

"Wenn jemand dreimal nicht zu einem Termin (Anm.: im Jobcenter) kommt, sich nicht meldet und man monatelang nichts hört, muss der Staat davon ausgehen: Du bist nicht bedürftig, und er zieht sich zurück", fasste Linnemann die Ergebnisse der Nacht zusammen. Man stoppe nicht nur die Bürgergeldleistungen, sondern auch die Kostenerstattung der Unterkunft: "Das ist das Neue." Trotzdem war der ZDF-Polittalk am Donnerstagabend mit der provokanten Frage überschrieben: "Schwarz-rote Einigung - Herbst der Reförmchen?"

"Zumindest ist es aus dem Herbst der Reformen ein Herbst des Zusammenraufens geworden", würdigte Kerstin Münstermann, Leiterin der Parlamentsredaktion "Rheinische Post", die Anstrengungen. Und auch ihr Journalisten-Kollege Giovanni di Lorenzo (Chefredakteur "Die Zeit") musste anerkennen, dass solche Maßnahmen für die Herstellung eines Gerechtigkeitsgefühls im Land wichtig sind. "Aber wenn wir ehrlich sind und die soziale Versorgung sichern wollte, müsste man viel tiefer gehen", sprach er von einem "Absurdistan": Es gebe mehr als 500 verschiedene Sozialleistungen, für die vier bis fünf Ministerien zuständig sein. Hier brauche es umfassende Reformen, wie die Lorenzo anmahnte "Kosmetik oder Symbolhandlungen werden nicht reichen."

Linnemann wehrt sich gegen Grünen-Kritik: "Wir haben Ihre Fehler korrigiert"

Man "feiert, dass man nicht mit nichts auseinandergeht?", war Franziska Brantner (Parteivorsitzende des Bündnis 90/ Die Grünen) erheblich unzufriedener mit den Ergebnissen. "Die Erwartungen von der Gesellschaft sind sehr niedrig geworden", kritisierte sie. Ihre Partei habe aus dem Scheitern der Ampel gelernt und dieser Regierung viel Geld ermöglicht. "Wir haben gesagt, wir heben unsere Hand dafür - und dann wird das Geld rausgeballert für Quatsch, wir kriegen nicht die Reformen und man freut sich, wenn ein paar Menschen stärker sanktioniert werden", machte sie ihrem Ärger über die vertane Chance Luft.

Dabei gebe es "viele Vorschläge", beim Bürgergeld beispielsweise durch die Digitalisierung sieben Milliarden Euro einzusparen sowie durch etwa eine Senkung der Lohnnebenkosten die Arbeit attraktiver zu machen: Optionen dazu "liegen alle auf den Tisch, da gehen Sie nicht ran", warf Brantner der Regierung vor. "Das Bürgergeld haben Sie auf den Weg gebracht in diesen drei Jahren", konterte Linnemann. "Mal ehrlich, Sie haben Fehler gemacht, und weil Sie übers Ziel hinausgeschossen sind, ist dieses Bürgergeld gescheitert. Das haben wir gestern Nacht revidiert und die Fehler korrigiert." Zumindest in einem ersten Schritt, denn Anfang kommenden Jahres soll der zweite Teil der Bürgergeldreform kommen.

Ökonom macht deutlich: "Die Reformen, die Geld bringen, müssen noch kommen"

Das genaue Einsparungspotenzial der nun beschlossenen Maßnahmen konnte Linnenmann trotz beharrlichen Nachfragen seitens Illners nicht nennen. "Ich bleibe dabei, dass wir Milliarden Euro einsparen können", erklärte er vage. "Dass wir nicht 30 oder zehn Miliarden Euro einsparen, ist klar", verdeutlichte Ökonom Jens Südekum. "Ich sehe die Reformen von gestern als Frage der Gerechtigkeit. Die Reformen, die Geld bringen, müssen noch kommen." Notgedrungen, sonst kriege man die finanzielle Situation des Landes nicht in den Griff, warnte er.

"Es wird das Momentum geben, sobald die Kommissionen laufen", gab sich Linnemann zuversichtlich. "Das Fenster für Reformen war noch nie so offen wie jetzt." In einem ersten Schritt verwies er auf die Aktivrente, die ebenfalls in der Vornacht beschlossen worden war. Bis zu 2.000 Euro Gehalt monatlich sollen Menschen, die eine Regelaltersrente beziehen und freiwillig sozialversicherungspflichtig weiterarbeiten, steuerfrei erhalten können.

"Diese Regierung macht die Rente erstmal teurer", konnte Brantner dieser Idee, die Linnemann zuvor noch als "neue Geisteshaltung" verteidigt hatte, nichts abgewinnen. Auch Versprechen wie der Mütterrente stand die Grünen-Chefin skeptisch gegenüber. Dabei habe die Ampel doch bereits ein alternatives Modell entwickelt, bei dem Ältere länger arbeiten und nichts mehr in die Rentenkasse einzahlen. "Diese Kosten werden rausgenommen, dafür haben sie mehr Netto vom Brutto und es kostet dem Staat nichts."

Dieses Argument ließ Münstermann nicht gelten: "Es ist nicht fair zu sagen, die Ampel hatte da gute Ideen." Dieses "Klein-Klein" interessiere die Menschen nicht, lenkte di Lorenzo die Aufmerksamkeit auf das Wesentliche: Sie wollen, dass angepackt wird. Überhaupt sei heute so ein "schlechter Tag nicht" gewesen, bezog er sich nicht nur auf die Einigung der Koalition, sondern vor allem auf die Umsetzung eines Friedensplans in Gaza: "Das ist weltpolitisch noch wichtiger als Bürgergeld, das Grundsicherung heißt, und als flexible Altersrente."