"Bin durch die Hölle gegangen": Wie Michelle (33) als alleinerziehende Mutter gegen Depressionen kämpft

4 Min
37°: Kampf im Kopf: Leben mit Depression
Wie sich das Leben mit einer Depression gestaltet, kann von Mensch zu Mensch sehr unterschiedlich sein. In der Reportage "37°: Kampf im Kopf: Leben mit Depression" werden drei Betroffene in ihrem Alltag begleitet.
ZDF/Simon Koy
37°: Kampf im Kopf: Leben mit Depression
Die Dokumentation begleitet neben Michelle auch Thorsten und Thomas und gewährt Einblicke in ihren Alltag mit Depressionen.
ZDF/Simon Koy

Leere, Gleichgültigkeit, Angst, Hoffnungslosigkeit: Depressive Menschen kämpfen jeden Tag gegen ihren eigenen Kopf. Eine "37°"-Reportage zeigt eindrücklich, wie drei Betroffene versuchen, die oft unterschätzte Krankheit zu besiegen.

Michelle (33) lächelt in ihrer Küche, während sie ihren Söhnen Frühstück zubereitet. Doch hinter ihrem Lächeln verbirgt sich unfassbares Leid, denn die alleinerziehende Mutter leidet an Depressionen. Seitdem sie 21 Jahre alt ist hat sie die Diagnose, ist in Therapie und nimmt Antidepressiva.

"Wenn ich die Depression beschreiben könnte, in meinen eigenen Worten, dann so: Du liegst im Bett und jemand sitzt auf dir. Oder: Du bist gefangen", erklärt sie ihre Gefühle in "37°: Kampf im Kopf - Leben mit Depression". Die ZDF-Reportage begleitet Michelle, Thomas (41) und Thorsten (58). Sie schildern, wie sie leiden, und wie sie kämpfen, um endlich wieder ins Leben zu finden.

In Deutschland wird laut Deutscher Depressionshilfe jährlich bei 5,3 Millionen Erwachsenen eine Depression diagnostiziert. Die Ursachen für die Krankheit sind vielfältig: Eine traumatische Erfahrung in der Kindheit, anhaltender Stress und Schicksalsschläge können beispielsweise Auslöser der Krankheit sein. Laut Bundesgesundheitsministerium leiden mindestens 20 Prozent der Deutschen einmal in ihrem Leben an einer Depression. Bei etwa zwei Dritteln kommen noch Angststörungen hinzu. Das ist auch bei Michelle der Fall. Immer wieder hat die 33-Jährige mit Panikattacken zu kämpfen.

Michelle leidet seit Jahren an Depression: "Ich kämpfe. Jeden Tag"

Als Michelle elf Jahre alt war starb ihr Vater nach mehreren Herzinfarkten an Lungenkrebs - "in der Wohnung, in der ich immer noch wohne", erzählt sie und muss kurz innehalten. "Stundenlang", erinnert sich die 33-Jährige, habe sie neben ihrem toten Papa gelegen. Das sei ihr Abschied gewesen, danach "wurde nie geredet". Der Tod und das Schweigen belasten sie so sehr, dass sich schleichend eine Depression entwickelt. Wie so oft bei dieser Krankheit folgt die Diagnose erst Jahre nach den ersten Symptomen.

"Ich kämpfe. Jeden Tag", erzählt sie erschöpft, denn trotz Therapie und Medikamenten hat sie immer wieder schlechte Phasen. In einem Videotagebuch beschreibt sie: "Ich bin heute früh aufgewacht, hatte eine extrem dicke Wolke über mir, hatte überhaupt keine Kraft und wusste: Ich schaffe es heute nicht auf die Arbeit. Hab dann noch mal bis 15 Uhr geschlafen. Geschlafen, um mich nicht zu spüren, diese negativen Gedanken nicht zu merken."

"Ich krieg das mit", sagt einer ihrer Söhne (10), "aber nur manchmal", wirft der andere (6) ein. "Das erkennt man, weil sie dann richtig zittert", erzählt der Ältere von beiden weiter. Michelle kämpft kurz mit den Tränen, als ihre Söhne sprechen. Doch schnell setzt sie für die beiden wieder ein Lächeln auf.

Hilfe bekommen die drei von Michelles Mutter. Doch auf Verständnis von ihr hofft die 33-Jährige schon lange nicht mehr. "Sie kann sich in das Thema nicht reinfühlen", sagt sie enttäuscht. Dennoch wünscht sie sich mit zitternder Stimme: "Ich brauche sie als Mama, ich brauche eine Umarmung von ihr, ich muss spüren: 'Hey, ich bin nicht alleine.'"

Es wurde alles zu viel für Thomas (41): "Ich will mich nur verstecken"

Die Zahl der betroffenen Angehörigen wird in Deutschland auf bis zu 20 Millionen geschätzt. "Als Angehörige braucht man in dieser Zeit starke Unterstützung", weiß Xiaoxi mittlerweile. Ihr Mann Thomas war eigentlich erfolgreich: Auf seine Promotion folgten Jobs bei der NASA, Amazon und Google. Doch der ständige Stress wurde zu viel: Ein "schwarzer Schleier" legte sich über seine Gedanken und plötzlich konnte er nicht einmal mehr lesen. In seinem Tagebuch schreibt er: "Ich will mich nur verstecken. Vor der Welt, vor der Depression, vor meiner Familie, vor der Arbeit."

Nach sechs Monaten in der Psychiatrie und in einer Tagesklinik glaubt Thomas, die Depression hinter sich gelassen zu haben, und fängt wieder an zu arbeiten. Doch schon bald kehrt die Krankheit zurück. Er erinnert sich an eine besonders schlimme Nacht: "Ich stehe da in der Küche und überlege nicht, ob ich da aus dem Leben scheiden soll, sondern wie." Wieder geht es für ihn in die Psychiatrie, dieses Mal sieben Monate lang.

Eine neue Behandlungsmethode macht Thorsten (58) Hoffnung

Auch Thorstens Leidensweg ist ein langer. 2016 rutscht er weiter und weiter in die Depression und beginnt zu trinken. Daran scheitert seine Ehe und er zieht zu seinen Eltern zurück. Zwei Jahre lang verlässt er das Haus kaum. "In relativ kurzer Zeit ist alles zusammengestürzt. Im Prinzip habe ich so ziemlich alles verloren, was mir etwas wert ist: meine kleine Familie, meinen Job und die Feuerwehr", erinnert sich der 58-Jährige, dem wegen der Depression das Sprechen schwerfällt.

Thorsten gilt als therapieresistent - Medikamente und Therapie schlagen bei ihm nicht an. Seine Eltern hoffen, dass die transkranielle Magnetstimulation (TMS) ihrem Sohn helfen kann. Magnetimpulse sollen dazu führen, dass die Hirndynamik verändert wird. Etwa 50 Prozent der schwer depressiven Menschen kann damit geholfen werden. Und tatsächlich: "Mein Antrieb ist schon besser, die Angst ist nicht mehr so stark", beschreibt der 58-Jährige noch während der TMS-Therapie. Die Besserung ist in der ZDF-Reportage eindrücklich zu hören: Thorsten redet deutlicher und macht weniger Pausen zwischen den einzelnen Wörtern.

Michelle und Thomas kämpfen sich zurück ins Leben: "Es sind die kleinen Dinge"

Für Thomas sind Therapie und Medikamente der Weg zurück ins Leben. In einem "Plus-Tagebuch" hält er kleine und große Erfolge fest. Teilweise waren das für ihn "Duschen" oder "Bettwäsche abziehen", erzählt er. Nach seinem Aufenthalt in der Psychiatrie krempelt Thomas sein Leben um: Er kündigt seinen Job im Management und schreibt ein Buch über seine Erfahrungen mit der Depression.

Michelle begibt sich ebenfalls erneut in stationäre Behandlung. Dass es nicht leicht wird, weiß sie von einem vorherigen Aufenthalt vor neun Monaten: "Ich bin vier Wochen durch die Hölle gegangen. Hier bist du wirklich alleine mit dir selbst und du gehst noch in die Tiefe durch die ganzen Therapien - das ist alles andere als Urlaub." In der Tagesklinik lernt sie in Gesprächs-, aber auch in Tanz- und Sporttherapien Taktiken, mit ihrer Krankheit umzugehen.

"In einer ganz schweren Phase kann ich nicht sagen, was mir guttut", gibt Michelle zu. "Aber dann weiß ich: Sport, in die Sauna, Zeit für mich - und ist es nur ein kleiner Podcast. Oder einfach sich in die Sonne setzen. Auch wenn man lustlos ist, was mit Freunden zu unternehmen. Es sind die kleinen Dinge."

"37°: Kampf im Kopf - Leben mit Depression" ist am Dienstag, 21. Oktober, um 22.15 Uhr im ZDF und bereits vorab in der Mediathek zu sehen.