Überleben hängt vom Wohnort ab

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Patienten aus den wirtschaftlich schwächsten Landkreisen haben die schlechtesten Chancen, wie eine aktuelle Studie zeigt. Bayern liegt bei den Krebserkrankungen unter dem Bundesdurchschnitt.

Krebsforscher wissen schon lange, dass weltweit wohlhabende Patienten bessere Überlebenschancen haben als arme. Doch ob das auch in Deutschland gilt, einem der reichsten Länder der Welt, wo praktisch jeder krankenversichert ist? Wissenschaftler des Deutschen Krebsforschungszentrums (DKFZ) sind dieser Frage erstmals nachgegangen und haben jetzt das Ergebnis ihrer Studie veröffentlicht. Es zeigt: Das Krebsüberleben hängt von den sozioökonomischen Bedingungen des Wohnorts ab.

Die Forschergruppe des DKFZ um Professor Hermann Brenner nahm als Basis für die Studie die Daten von zehn Landeskrebsregistern, auch die der Registrierstelle für Bayern in Erlangen. Sie decken fast 40 Prozent der gesamten deutschen Bevölkerung ab.


Eine Million Patientendaten

Die Analyse ihrer Daten umfasst eine Million Patienten, die zwischen 1997 und 2006 an einer der 25 häufigsten Krebsarten erkrankt waren. Die Auswertung erfolgte nicht auf der Basis der Wohnorte, sondern der Landkreise - so wurde die Anonymität der Patienten gesichert.

Für die Wissenschaftler bedeutete das jedoch eine gewisse Unschärfe. Durchschnittlich leben in jedem der untersuchten Landkreise 160 000 Menschen, die ein breites sozioökonomisches (Bündel von Merkmalen menschlicher Lebensumstände) Spektrum abbilden.

"Mit genaueren Angaben wären auch präzisere Rückschlüsse über den Zusammenhang von Wohlstand und Krebsüberleben möglich", sagt Lina Jansen, Erstautorin der Studie. Aber: "Anhand der Daten der klinischen Krebsregister werden wir in Zukunft zumindest feststellen können, ob es Unterschiede in der Behandlung gibt."
Die Forscher teilten die Kreise anhand eines Schlüssels von Parametern nach ihrer sozioökonomischen Situation ein und zogen beispielsweise das Pro-Kopf-Einkommen, die Arbeitslosenquote oder die kommunalen Ein- und Ausgaben heran. Und fanden heraus: Erkrankte aus dem sozioökonomisch schwächsten Fünftel der Landkreise verstarben nach ihrer Krebsdiagnose früher als Krebspatienten in allen übrigen Regionen.

Dies galt für alle 25 Krebsarten, wobei der Effekt in den ersten drei Monaten nach der Diagnose am deutlichsten ausfiel - Patienten aus den sozioökonomisch schwächsten Landkreisen hatten in dieser Zeitspanne ein 33 Prozent höheres Risiko zu sterben. Neun Monate nach Diagnose lag der Unterschied bei 20 Prozent, in den darauf folgenden vier Jahren blieb er bei stabil bei 16 Prozent.

Behandlung schlecht erreichbar?

Zunächst hatten die Forscher vermutet, dass Menschen in ärmeren Gegenden möglicherweise die Früherkennung seltener wahrnehmen. Dann würde Krebs bei ihnen erst in späteren Stadien mit schlechteren Heilungschancen entdeckt. "Aber daran liegt es nicht", sagt Autorin Jansen. Die Ergebnisse ließen nicht unbedingt Rückschlüsse auf die individuelle Situation der Patienten (Begleiterkrankungen, Lebensstil) zu, sondern können ebenso gut Merkmale der jeweiligen Region widerspiegeln. So könnten in den sozioökonomisch schwächeren Landkreisen spezialisierte Behandlungszentren schlechter erreichbar sein oder weniger Plätze bieten.
Welche Regionen besonders betroffen sind, darauf gibt das Krebsforschungszentrum keine Antwort. "Die Berechnung erlaubt das nicht", sagt eine Sprecherin auf Nachfrage und verweist auf weitere, derzeit laufende Studien. "In ein, zwei Jahren werden wir wissen, warum manche Gebiete schlechter versorgt werden als andere und wo die Versorgung optimal ist."

Das ist auch ein Ziel von Otmar D. Wiestler, Vorstandsvorsitzender des DKFZ. "Es ist dringend erforderlich, dass wir die Ursache für die erhöhte Sterblichkeit bei den Patienten aus sozioökonomisch schwächeren Regionen herausfinden", lautet seine Reaktion auf das Ergebnis der Studie. "Nur wenn wir die Gründe kennen, können wir gezielt etwas dafür tun, dass alle Krebspatienten in Deutschland die gleiche Chance haben."

Krebsregister Erlangen


Erfreuliche Nachrichten zum Thema Krebs kommen aus Erlangen: Die Neuerkrankungs- und Sterberaten von Krebs sind in Bayern bei Männern seit 2005 leicht rückläufig, bei Frauen etwa gleich bleibend.

Gemeldet werden diese Daten vom "Bevölkerungsbezogenen Krebsregister Bayern", dessen neueste Daten aus den Jahren 2009 und 2010 im Jahresbericht 2012 veröffentlicht wurden. Meldungen zu 930 000 Tumorerkrankungen sind in der Erlanger Registrierstelle gespeichert.
Sie hat vielfältige Aufgaben und stellt zum Beispiel anonyme Daten für Forschung und Gesundheitsplanung, aber auch für die Bevölkerung zur Verfügung, untersucht die Trendentwicklung von
Krebserkrankungen sowie regionale Besonderheiten.

Regionale Unterschiede in Bayern

Letztere gibt es in Bayern durchaus. Zwar entsprechen laut Krebsregister die Neuerkrankungs- und Sterberaten für Krebs insgesamt bei Frauen dem Bundesdurchschnitt und liegen sie bei Männern leicht darunter. Niedrigere Werte für Bayern gibt es vor allem bei tabakbedingten Tumoren - Speiseröhre, Lunge, Harnblase. Bei einigen Tumorarten zeigt sich jedoch innerhalb Bayerns ein Gefälle der Erkrankungsarten mit höheren Werten im Nordosten und niedrigeren im Süden Bayerns. Bei Frauen und Männern betrifft das vor allem Darmtumoren sowie nur bei Männern Mund-, Rachen-, Kehlkopf-, Lungen- und Harnblasentumoren.

Allein in Bayern sind jedes Jahr ca. 68 000 Menschen von einer Neuerkrankung betroffen. Laut Krebsregister ging die Zahl der Fälle von 2009 bis 2010 leicht zurück auf 31 623 (32 249) bei Männern bzw. 28 119 (28 945) bei Frauen. Männer erkranken - und die Forscher nennen Alkohol und Rauchen als Ursachen dafür - fast viermal so oft wie Frauen an Mund- und Rachenkrebs, ähnliches gilt für Speiseröhren-, Leber-, Kehlkopf-, Lungen- und Harnblasentumoren. Nicht ganz so hoch sind die Unterschiede bei Dickdarm- und Nierentumoren.

Weniger Darmkrebs

Apropos: Bei Männern zeigen Dickdarm- und Lungentumoren seit mehreren Jahren einen Rückgang, bei Frauen der Darmkrebs. Außerdem werden im Rahmen des Mammographie-Screenings mehr Brusttumoren erkannt. Steigende Neuerkrankungsraten sind laut Krebsregister zur Zeit nur für Hautkrebs und Schilddrüsentumoren zu beobachten, bei Frauen zusätzlich auch für Tumoren der Lunge.

Krebsforschung

Am Deutschen Krebsforschungszentrum in Heidelberg erforschen 3000 Mitarbeiter in über 90 Abteilungen und Arbeitsgruppen die Entstehung von Krebs, erfassen Risikofaktoren und entwickeln Diagnose- und Therapieansätze.

Die 16 Krebsregister der einzelnen Bundesländer arbeiten in der Gesellschaft der epidemiologischen Krebsregister in Deutschland zusammen. Ziel ist es, trotz unterschiedlicher landesgesetzlicher Regelungen bundesweit einheitliche methodische und inhaltliche Standards zu erreichen, um die Ergebnisse der Krebsregistrierung untereinander vergleichbar zu machen.