Seltsam sind immer nur die anderen

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Für die einen ist es seltsam, für die anderen ist es ganz normal, den Tag mit einem Blick ins Internet zu beginnen. Foto: Rolf Vennenbernd/dpa
Für die einen ist es seltsam, für die anderen ist es ganz normal, den Tag mit einem Blick ins Internet zu beginnen. Foto: Rolf Vennenbernd/dpa

Fixpunkte im Tagesablauf sind wichtig, um dem ohnehin schon stressigen Leben Struktur zu verschaffen. Und sie sind für jeden anders.

Für mich ist das ganz normal, schreibt eine Freundin. Das ist Routine für mich, und ich brauche meine Routine. Ich nicke und denke, dass Routine, bestimmte Fixpunkte im Tagesablauf, wichtig sind, damit einen das ohnehin schon stressige Leben nicht vollends überrollt. Wobei Routine für jeden etwas anderes bedeutet.
Für die Freundin (und für mich) ist es vollkommen normal in der Früh erst einmal zu schauen, was sich so ereignet hat, während man schlief. Was das ganz große Weltgeschehen genauso meint wie die scheinbar banalen Dinge. Beides wiederum sichtbar gemacht in den persönlichen Nachrichtenströmen von Twitter, Google+ und Facebook, die trotz ihrer ständigen, nimmer müden Flut nur einen winzigen Ausschnitt dessen darstellen, was gerade irgendwo auf der Welt passiert.

Ist das schon Sucht?

Wem dabei eher das Wort Sucht einfällt - weil sich dieser
Begriff fast zwangsläufig einstellt, wenn es irgendwie um etwas mit "diesem Internet" geht - weil die eigene Gewohnheit, jeden Abend über einem Hörbuch einzuschlafen oder jeden Morgen mit einer einsamen Tasse Tee zu beginnen, im Vergleich dazu viel normaler zu sein scheint und dem Begriff Routine viel näher kommt. Scheinbar. Denn seltsam, das sind immer die anderen. Die, die mit Ohrhörern durch die Welt laufen, scheinbar taub sind für ihre Umgebung, sich aber gerade um einen virtuellen Freund sorgen, der seit ein paar Tagen keinen Post mehr geschrieben hat. Die, die weder den neuesten Kommissar des "Tatort" kennen, noch wissen wie die Tabelle der Ersten Fußball-Bundesliga nach dem letzten Spieltag ausschaut, aber vor Freude nur so übersprudeln, wenn man sie nach einer Buchempfehlung fragt oder nach einem Tipp für den nächsten Städtetrip.

Es ist mir egal, was die anderen sagen, schreibt die Freundin weiter. Um sich gleich darüber aufzuregen, dass das reale Leben mit Presslufthammer und lautem Geschrei ihre Routine stört. Möglich, dass die Bauarbeiter das wiederum als seltsam empfinden. Genauso wie den Versuch, ihren Lärm mit Musik zu ersticken.