Wegen fünf Sexualstraftaten steht Christian B. vor Gericht. Der 47-Jährige steht auch in Verdacht, 2007 die Britin Maddie ermordet zu haben. Doch zur Verlesung der Anklage kam es überraschend nicht.
Ein Vergewaltigungsprozess in Braunschweig zieht normalerweise nicht Kamerateams aus Großbritannien, Frankreich und Portugal an, doch steht mit Christian B. ein international berüchtigter Straftäter vor Gericht.
Gegen den 47-Jährigen wird seit Jahren wegen Mordverdachts im Fall der 2007 aus einer portugiesischen Ferienanlage verschwundenen kleinen Maddie ermittelt, wie im Juni 2020 überraschend öffentlich bekanntwurde. Die damals dreijährige Britin wurde aus einem Appartement an der Algarve entführt. Die deutschen Ermittler gehen davon aus, dass Madeleine McCann tot ist, obwohl eine Leiche nie gefunden wurde.
Aktueller Prozess nicht direkt mit Maddie-Fall verbunden
Um den Fall Maddie geht es aber nicht in dem gestarteten Prozess am Landgericht Braunschweig. Es ist zuständig, weil der bereits mehrfach verurteilte Christian B. in der niedersächsischen Stadt seinen letzten Wohnsitz hatte. Bereits Ende 2019 wurde der gebürtige Würzburger wegen Vergewaltigung einer älteren Frau in Braunschweig verurteilt. Tatort war 2005 Praia da Luz - genau der Ort, an dem die kleine Maddie zwei Jahre später verschwand. Jetzt steht der Mann wegen Vergewaltigung in drei Fällen und sexuellem Missbrauch von Kindern in zwei Fällen vor Gericht. Die Taten soll er zwischen Ende 2000 und Juni 2017 in Portugal begangen haben.
Während der Vergewaltigungsprozess 2019 gegen B. nahezu unbeachtet von der Öffentlichkeit ablief, standen Journalisten schon vor sieben Uhr vor dem Gerichtsgebäude Schlange. Sie mussten sich strengen Sicherheitskontrollen unterziehen, weshalb die Verhandlung verzögert begann.
Es ist also das erste Mal, dass der vielfach vorbestrafte Christian B. als Verdächtiger im Fall Maddie öffentlich zu sehen ist. Der 47-Jährige wurde in Handschellen in den Gerichtssaal geführt, bekleidet mit einem fliederfarbenen Hemd mit weißen Streifen und einem hellgrauen Sakko. Der dunkelblonde, schlanke Mann verdeckte nicht sein Gesicht und wirkte gefasst. Er nahm zwischen seinen vier Verteidigern Platz. «Die lange Einzelhaft nimmt ihn mit, wir haben heute einen gezeichneten Menschen gesehen», sagte Verteidiger Friedrich Fülscher später.
Befangenheitsantrag gegen Schöffin wegen Social Media Post
Nach der Vereidigung der Schöffen stellte Verteidiger Fülscher gleich zu Beginn der Verhandlung einen Befangenheitsantrag gegen eine Schöffin. Dabei las er einen Social Media Post vor, der von einem Account mit dem Namen der ehrenamtlichen Richterin gesendet worden war. In dem Post wird auf Englisch zur Tötung des ehemaligen brasilianischen Präsidenten Jair Bolsonaro aufgerufen. Eine solche Schöffin habe in einem rechtsstaatlichen Verfahren nichts zu suchen, sagte der Rechtsanwalt von Christian B. Die Vorsitzende Richterin Uta Inse Engemann kündigte eine 40-minütige Unterbrechung der Verhandlung an.
Nach der Beratungspause schloss sich die Staatsanwaltschaft dem Befangenheitsantrag an. «Die Äußerungen stehen außerhalb unserer Rechtsordnung», sagte Oberstaatsanwältin Ute Lindemann zu dem Post der ehrenamtlichen Richterin. Ein Aufruf zum Mord und Totschlag sei etwas, «was wir hier nicht dulden». Es werde geprüft, ob ein Strafverfahren gegen die Schöffin eingeleitet werde. Auch die Nebenklage schloss sich dem Antrag an.