Frankreich präsentiert sich vor der Wahl am Sonntag als gespaltene Nation. Das ist gefährlich.
Frankreich schickt sich an, dem am äußersten rechten Rand des Parteienspektrums positionierten Front National bei der Präsidentschaftswahl zu deutlich mehr als einem Drittel zu folgen. 34 Prozent der Franzosen kürten die rechtspopulistische Kandidatin zur Siegerin des letzten TV-Duells. Für die Stichwahl selbst prognostizieren Wahlforscher sogar einen Stimmenanteil von 40 Prozent für Marie Le Pen.
Das wäre mit Abstand das beste Wahlergebnis für eine nationalistische Kandidatin im Nachkriegseuropa. Was ist nur aus " la Grande Nation" geworden, aus "la republique", dem Inbegriff für Freiheit, Gleichheit, Brüderlichkeit? - Frankreich präsentiert sich als gespaltene Gesellschaft.
Noch vor 15 Jahren machte das Land geschlossen Front gegen den Front National. 2002 war der Vater der heutigen Präsidentschaftsbewerberin überraschend in die Stichwahl für das Präsidentenamt eingezogen. "la république" bebte. Frankreich lebte - "vive la France". 400 000 Menschen gingen am 1. Mai 2002 in
Paris auf die Straßen. Zigtausende in anderen Städten. Gegen Jean-Marie Le Pen. Für Jacques Chirac. Junge Menschen prägten den Slogan "Die Jugend schickt den Front National zum Teufel". Mit Erfolg: 82 Prozent der Stimmen entfielen auf Chirac, knapp 18 auf Le Pen.
15 Jahre später ist Frankreich annähernd sprachlos. Heute vernimmt man den Aufschrei gegen rechts kaum noch auf der anderen Straßenseite der Champs Elysées. Einige tausend Menschen demonstrierten eine Woche vor der Stichwahl gegen die Rechtspopulisten.
Die Jugend des Jahres 2017 kennt die Geschichte des Front National offensichtlich nicht in Gänze. Sie kann damit auch die Gefahr nicht bewerten, die von den Nationalisten ausgeht und ringt sich nur zu einem "Weder Macron - noch Le Pen" durch. Sie nimmt damit in Kauf, dass Enthaltungen, eine niedrige Wahlbeteiligung dem Front National in die Karten spielen.
Das liegt im Wesentlichen daran, dass Mélenchon zwar vor Le Pen warnt, jedoch keine Wahlempfehlung für Macron abgibt. 2002 hatte er seinen Anhängern noch empfohlen, für den Konservativen Chirac zu stimmen. Der neoliberale Macron dagegen ist aus Sicht Mélenchons als Verkörperung des Kapitals eine Hassfigur und damit für Linke nicht wählbar. Mélenchon muss sich - wie das gesamte Land - darüber im Klaren sein: Jeder Prozentpunkt, den die Le Pen-Tochter am ersten Mai-Sonntag des Jahres 2017 mehr erringt als deren Vater im Jahr 2002 macht den Front National salonfähiger. Nach der Wahl 2017 ist vor der Wahl 2022.