Falsch, eklig und gefährlich: Warum Joseph Ratzinger seiner Kirche einen Bärendienst erwiesen hat
Autor: Robert Wagner
Bamberg, Freitag, 12. April 2019
Joseph Ratzinger, früher Papst Benedikt XVI, gibt den 68er Schuld am Missbrauch in der katholischen Kirche - und verbreitet auch sonst viel Unsinn. Dass passt leider in das Vorgehen der Kirche - und könnte ihren Untergang bedeuten. Ein Kommentar.
Nein, die katholische Kirche hat sich im Umgang mit dem sexuellen Missbrauch in ihren Reihen wirklich nicht mit Ruhm bekleckert. Dem jahrzehntelangen Schweigen, Vertuschen und Abwiegeln folgte in den letzten Jahren eine kirchliche "Aufarbeitung", die ihren Namen kaum verdient hat. Nun hat sich der frühere Papst Benedikt zu Wort gemeldet und der 68er Bewegung die Schuld am Missbrauch in der Kirche gegeben - eine Argumentation, die so falsch wie gefährlich und eklig ist.
Doch zuvor ein Blick zurück: Als im Sommer 2018 die Bischofskonferenz in Fulda zusammentraf, um sich über das Ausmaß des Missbrauchs in der Kirche informieren zu lassen, wurden den Geistlichen erschreckende Zahlen präsentiert: Zwischen 1946 und 2014 sollen mindestens 1670 katholische Kleriker 3677 meist männliche Minderjährige missbraucht haben. Allein imErzbistum Bamberg wurden 88 Opfer identifiziert.
Fast jeder 20. Kleriker ist ein Sexualstraftäter
Damit sind unglaubliche 4,4 Prozent aller Kleriker in Deutschland in diesem Zeitraum mutmaßliche Sexualstraftäter. Doch selbst in kirchennahen Verbänden herrscht Zweifel daran, dass die Kirche den Ernst der Lage begriffen hat: Derzeit sei sie "offenbar nicht in der Lage, einen einheitlichen Weg in der Aufarbeitung und in der Prävention zu gehen", sagte Christian Weisner von der katholischen Reformbewegung "Wir sind Kirche" im Herbst 2018 gegenüber der dpa. Es gebe noch immer "viel zu wenige in der Kirchenleitung, die den Ernst der Lage erkennen und auch wirklich bereit sind, die grundlegenden Debatten zu führen, die jetzt notwendig sind."
Und der Papst? Der hatte im Nachgang der weltweiten Debatten die Christen weltweit zu einem täglichen Gebet für die katholische Kirche aufgefordert. Nicht etwa für die Opfer, nein, für die Institution Kirche. "Wir haben es mit einem sehr hierarchisch geführten System zu tun, mit einem männerbündischen System an Klerikern. Immer noch heißt das Motto: Auf die Kirche als heilige Institution, die Jesus gewollt hat, darf nicht der geringste Schatten fallen", sagte Kirchenrechtler und Theologie-Professor Thomas Schüller anlässlich der Bischofskonferenz.
Eine Ansammlung kruder Thesen und eine Missachtung der Opfer
Man sollte diesen Ausspruch Schüllers im Hinterkopf behalten, wenn man die kruden Theorien von Joseph Ratzinger, dem emeritierten Papst Benedikt XVI, näher betrachtet. Auf dem Internetauftritt der katholischen Nachrichtenagentur CNA kann man Benedikts Aussagen im Wortlaut nachlesen. Doch das sollte man sich genau überlegen: Manchmal wirken einzelne Aussagen ja überspitzt, wenn man sie aus dem Zusammenhang reißt. In diesem Fall ist es jedoch andersherum: Beim Lesen von Benedikts Einlassungen kommt man aus dem Kopfschütteln nicht mehr heraus.
"Zu den Freiheiten, die die Revolution von 1968 erkämpfen wollte, gehörte auch diese völlige sexuelle Freiheit, die keine Normen mehr zuließ", sagt Benedikt alias Ratzinger da. Denn für ihn ist der Missbrauch in der Kirche - entgegen aller Daten - ein neues Phänomen: "Die Frage der Pädophilie ist, soweit ich mich erinnere, erst in der zweiten Hälfte der 80er Jahre brennend geworden." Benedikt erinnert sich zurück: Im Gedächtnis ist mir auch geblieben, wie ich am Karfreitag 1970 in die Stadt (Regensburg) kam und dort alle Plakatsäulen mit einem Werbeplakat verklebt waren, das zwei völlig nackte Personen im Großformat in enger Umarmung vorstellte."