Die Regierung will sich noch in dieser Woche entscheiden, ob Jan Böhmermann strafrechtlich verfolgt wird. Derweil wächst die Solidarität mit dem Satiriker.
Die Bundesregierung wird nach Worten von Kanzlerin Angel Merkel (CDU) "zeitnah" über den förmlichen Wunsch der Türkei nach Strafverfolgung des Satirikers Jan Böhmermann entscheiden. "Ich habe immer gesagt, wir werden einige Tage brauchen, aber nicht Wochen", sagte Merkel nach einer Beratung mit den Ost-Regierungschefs am Mittwoch im vorpommerschen Stolpe bei Anklam. Auswirkungen auf die Vereinbarung der EU mit der Türkei zur Flüchtlingsfrage seien nicht zu befürchten.
"Wir haben auf der einen Seite vielerlei Kooperationen mit der Türkei, unter anderem auch das Abkommen der Europäischen Union mit der Türkei zu den Flüchtlingen. Und auf der anderen Seite haben wir einen davon völlig unabhängigen Schutz der Grundrechte", sagte Merkel. "Die Dinge sind nicht miteinander verbunden".
Die Kanzlerin unterstrich, es gebe eine gefestigte Auffassung aller EU-Mitgliedsstaaten zu Pressefreiheit, zur Meinungsfreiheit und zur Demonstrationsfreiheit. In Deutschland gelte die journalistische Freiheit, "und wir werden sie auch einfordern in der Türkei", sagte Merkel. Als EU-Beitrittskandidat habe sich die Türkei dazu bekannt, die Werte der Europäische Union zu akzeptieren. Wo es kritikwürdigen Umgang mit Journalisten oder Demonstrationsteilnehmern gebe, "werden wir dies benennen".
Regierungssprecher Steffen Seibert sagte in Berlin: "Die Bundesregierung drückt sich nicht um eine Entscheidung über die Reaktion auf die türkische Verbalnote. Diese Entscheidung wird getroffen." Wohl noch in dieser Woche soll die Bundesregierung entscheiden, ob es zu einer strafrechtlichen Verfolgung kommt.
Solidarität nimmt zu
Derweil nimmt die Solidarität im In- und Ausland mit dem ZDF-Satiriker Jan Böhmermann zu. Unter anderem forderten Schauspieler Matthias Brandt, Pianist Igor Levit und Schauspielerin Katja Riemann in einem offenen Brief, die juristischen Ermittlungen gegen den 35-jährigen Satiriker und Grimmepreisträger unverzüglich einzustellen. Das Schreiben veröffentlicht die Wochenzeitung "Die Zeit" am Donnerstag.
Der ZDF-Moderator hatte vor zwei Wochen in seiner Sendung "Neo Magazine Royale" in einem Gedicht über den türkischen Präsidenten Recep Tayyip Erdogan bewusst beleidigende Formulierungen benutzt. Er kündigte das Gedicht in der Sendung als Beispiel für herabwürdigende Schmähkritik an, die nicht erlaubt sei. Die nächste Ausgabe an diesem Donnerstag hat Böhmermann, der mittlerweile unter Polizeischutz steht, jedoch abgesagt und zum zweiten Mal bereits die sonntägliche Radioshow "Sanft und Sorgfältig" beim Berliner Sender radioeins.
Rückendeckung bekam Böhmermann auch aus der Politik: "So sehr wir die Zusammenarbeit für die Flüchtlinge schätzen, so unverändert ist unsere Haltung in anderen Fragen, wenn es etwa um Grundwerte wie dasjenige der Pressefreiheit geht", sagte EU-Kommissionspräsident Jean-Claude Juncker. Er könne nicht nachvollziehen, dass der deutsche Botschafter in der Türkei wegen eines "unmöglichen satirischen Liedes" einbestellt werde: "Das bringt die Türkei nicht näher an uns ran, sondern entfernt uns voneinander."
Es sei unerträglich und sehr bedenklich, dass das "Hineinwirken" der Türkei in diesem Zusammenhang zur Absage der nächsten Sendung und zu Polizeischutz für den Satiriker geführt habe, sagte CSU-Generalsekretär Andreas Scheuer. Zwar halte er den Beitrag Böhmermanns nicht für gelungene Satire und schlechten Stil. Der Umgang Erdogans damit zeige aber grundsätzlich, dass dieser "ein gestörtes Verhältnis zu Presse- und Meinungsfreiheit hat".
"Was Böhmermann macht, ist nicht meine Art von Humor", sagte Guy Verhofstadt, ehemaliger Premierminister von Belgien, in einem Tweet. "Aber in einer freien Gesellschaft ist das der Preis, den wir für unsere Freiheit zahlen müssen."
Die Justiz wird sich auf alle Fälle mit Böhmermann befassen müssen. Am Dienstagabend sagte Erdogans Anwalt Hubertus von Sprenger, mit seinem Mandanten bis in die letzte Instanz gegen das "Schmähkritik"-Gedicht Böhmermanns vorzugehen. "Wenn ich das Mandat annehme, ziehe ich das auch durch", sagte von Sprenger im ZDF-"heute journal". "Der Präsident verspricht sich die Bestrafung des Betroffenen und verspricht sich auch, dass der in Zukunft das nicht wiederholt, was er gesagt hat, auf zivilrechtlicher Ebene."
Nach Anzeigen gegen Böhmermann und Verantwortliche des ZDF ermittelt die Mainzer Staatsanwaltschaft. Die Bundesregierung prüft einen förmlichen Wunsch der Türkei nach einer Strafverfolgung Böhmermanns wegen der Beleidigung eines Staatsoberhaupts nach Paragraf 103 des Strafgesetzbuchs. Die Künstler verlangten in ihrem Brief dagegen die zügige Abschaffung des Paragrafen.
Diekmann sorgt für Verwirrung
Am Mittwochmorgen stiftete "Bild"-Herausgeber Kai Diekmann mit einem angeblichen Böhmermann-Interview Verwirrung. Das auf Diekmanns Facebook-Seite veröffentlichte Gespräch war übertitelt mit den Worten: "Jan Böhmermann bricht sein Schweigen! Das große Interview zum Erdogan-Eklat!"
Der ZDF-Moderator wird im weiteren Verlauf unter anderem auf die Frage nach dem Grund seiner Satire mit den Worten zitiert: "Wie gehen wir mit schrecklichen Regimen um, auf die wir angewiesen sind? Mit "Traumschiff" und "Forsthaus Falkenau" treten Sie solche Debatten nun mal nicht los. Das ZDF sollte mir dankbar sein. Das ist meine Botschaft. Making ZDF great again, wie Donald Trump sagen würde!"
dpa/epd