Energiewende: Der Anfang vom Ende? Dramatisch viele Stellen sind unbesetzt

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Es fehlen zahlreiche Fachkräfte, um die Energiewende voranzutreiben.
Solaranlage
Marijan Murat/dpa

Die Ampelkoalition will die Energiewende mit aller Macht. 2030 sollen 80 Prozent der Bruttostromerzeugung aus den Erneuerbaren Energien kommen. Das Projekt droht aber zu scheitern, weil die Fachkräfte fehlen.

  • Energiewende: Fachkräftemangel allerorten
  • Elektrik-Fachkräfte, das Nadelöhr der Energiewende
  • Gegen Fachkräftemangel helfen Fachkräfte
  • Attraktiver werden, Arbeitszeiten ausbauen, qualifizierte Zuwanderung

Die Ampelkoalition will den Ausbau der Erneuerbaren Energien kräftig beschleunigen. Doch in der Realität tut sich viel zu wenig. Die Ziele sind in weiter Ferne. Ein zentraler Grund: Es fehlen die Fachkräfte.

Energiewende: Fachkräftemangel allerorten

Die Personalnot bei den Fachkräften droht die Energiewende auszubremsen. Die Frage wird immer drängender: Wer soll die Solaranlagen bauen, die Wärmepumpen aufstellen, umweltfreundliche Verkehrssysteme montieren und Gebäude energetisch sanieren, wenn überall und allerorten das fachkundige Personal fehlt?

Das Institut der deutschen Wirtschaft (IW) in Köln hat analysiert, dass viele Berufsprofile im Bereich der Energiewende auf dem dualen Ausbildungssystem fußen. Das hat aber gerade keine Konjunktur, weder beim Nachwuchs noch bei den erfahrenen Fachkräften im Handwerk. In den identifizierten 190 Berufen, die für den Ausbau der Wind- und Solarenergie relevant sind, beträgt die Fachkräftelücke 216.252 Personen im Jahresdurchschnitt 2021/2022.

Das IW hat für 2018 (neuere Daten gibt es nicht) jene Erwerbstätigen herausgefiltert, die eine Arbeit im Bereich der erneuerbaren Energien ausüben (die sogenannten Erwerbstätigen im Bereich der erneuerbaren Energien, kurz EE-Erwerbstätige). Im Jahr 2018 waren das 5,3 Prozent. Diese Gruppe unterscheidet sich deutlich vom Gros der Beschäftigten: Sie ist besser ausgebildet. Und sie müssen sich mit neuen Inhalten beschäftigen. 52 Prozent sagen, dass in den vorangegangenen zwei Jahren in ihrem Arbeitsumfeld neue Maschinen oder Anlagen stehen. Und 42 Prozent mussten sich mit neuen Produkten oder Werkstoffen auseinandersetzen.

Elektrik-Fachkräfte, das Nadelöhr der Energiewende

Das Qualifikationsniveau bei den Green-Jobs ist hoch. Im Jahr 2018 benötigten insgesamt 67 Prozent für ihre Arbeit eine abgeschlossene Berufsausbildung oder einen Fortbildungsabschluss. Generell in der Wirtschaft lag dieser Anteil lediglich bei gut 58 Prozent. Von den EE-Erwerbstätigen waren 2018 rund 73 Prozent in einem produktionsorientierten oder baunahen Beruf tätig. Stark vertreten sind dabei Mechatronik-, Energie- und Elektroberufe sowie Berufe der Sanitär-, Heizungs- und Klimatechnik. Für den Ausbau der erneuerbaren Energien geht es um Berufe, die in anderen Branchen ebenso gesucht und knapp sind.

Gebraucht werden laut IW knapp 17.000 Elektrik-Fachkräfte, sie seien das "Nadelöhr der Energiewende". Zudem fehlen demnach 14.000 Expert*innen in der Sanitär-, Heizungs- und Klimatechnik (SHK) sowie etwa 13.600 Informatiker*innen. Auch beim Nachwuchs sehe es mau aus. Gut 14.760 Ausbildungsplätze sind der Erhebung zufolge in den relevanten Berufen der Solar- und Windenergie 2021 nicht besetzt.

Hinzu kommt, dass die EE-Erwerbstätigen in Mathematik und Statistik firm sein müssen – das sind aber Inhalte, die bei Schüler*innen nicht sonderlich beliebt sind. MINT-Inhalte und -Berufe sind nicht der Renner. Fazit der Kölner-Forschenden: Zusätzlich zum bereits vorhandenen Fachkräftemangel und zur Konkurrenz zwischen den Branchen kommen die ambitionierten Ausbauziele für die Energiewende. Das ist eine Melange, die niemandem schmeckt.

Gegen Fachkräftemangel helfen Fachkräfte

Was ist zu tun? Anika Jansen und Paula Risius, beide Forscherinnen im Kompetenzzentrum Fachkräftesicherung (KOFA) am IW, bringen die notwendige Therapie aus ihren Analysen auf den Punkt: Gegen den Fachkräftemangel benötigen wir Fachkräfte. Und: "Das eine Patentrezept zur Lösung des Fachkräftemangels gibt es nicht, stattdessen muss an vielen Stellen angesetzt werden", schreiben die Autorinnen in einem Namensbeitrag im Focus.  

Für sie ist die Qualifizierung, also die Bereiche Aus- und Weiterbildung, die zentrale Stellschraube bei der Fachkräftesicherung. Angesichts dieser Notwendigkeit ist es gut, dass die EE-Erwerbstätigen überdurchschnittlich oft an Weiterbildungen teilnehmen – 64 Prozent haben innerhalb der letzten zwei Jahre vor der Befragung mindestens einen Kurs absolviert. Bei der Ausbildung klagt das Handwerk über zu geringes Interesse bei den Jugendlichen und freien Ausbildungsplätzen. "Handwerkerinnen und Handwerker sind die Zukunftsmacher", betont der Präsident des Zentralverbands des Deutschen Handwerks, Hans Peter Wollseifer, der nicht müde wird, für die Handwerksberufe zu werben, mehr passiert allerdings nicht.

Dabei bestätigt Wollseifer den in der Gesellschaft vorherrschenden Eindruck, dass sich das Image des Handwerks in der Gesellschaft ändern müsse. Viele junge Menschen entschieden sich gegen eine Ausbildung – in der oftmals irrigen Annahme, ein Studium sei der Garant für eine berufliche Karriere. "Inzwischen erweist sich das als glatte Fehleinschätzung", so der ZDH-Präsident. Außerdem böten die vielen klimarelevanten Berufe im Handwerk jungen Menschen die Chance, an vorderster Stelle an zukunftsgestaltenden Aufgaben mitzuwirken. "Da kann aus dem Protest bei Fridays for Future ganz konkrete Klimaschutz-Arbeit werden."

Attraktiver werden, Arbeitszeiten ausbauen, qualifizierte Zuwanderung

Für Ralf Kutzner, geschäftsführendes Vorstandsmitglied der IG Metall, steht fest, dass das Handwerk eine immer noch überdurchschnittlich hohe Ausbildungsquote hat. Aber zwei Drittel der Handwerker*innen wandern nach der Ausbildung lieber in die Industrie oder andere Wirtschaftsbereiche ab, weil sie dort mehr verdienen, sicherere Arbeitsplätze und bessere Arbeitsbedingungen finden. "Das Gros der Handwerksbetriebe hat den Wert der Tarifbindung noch nicht verstanden – und deshalb zu wenig Leute." Unterm Strich zeigt sich, dass das in Deutschland verankerte System der dualen Berufsausbildung und der Weiterbildung eigentlich gute Voraussetzungen bietet, um die benötigte Fachkompetenz für die Energiewende bereitzustellen.

Einen weiteren Beitrag gegen Fachkräftemangel kann die Erhöhung des Arbeitszeitvolumens leisten. Von den aktuell 45,7 Millionen Beschäftigten, etwa hälftig Männer und Frauen, arbeiten 11,4 Millionen in Teilzeit. 79 Prozent davon sind Frauen. Grundsätzlich können gute Arbeitsbedingungen dazu führen, dass Menschen mehr arbeiten wollen.

Und Deutschland ist auf Zuwanderung angewiesen: Die Mobilisierung inländischer Fachkräftepotenziale allein reicht nicht aus. Der demografische Wandel ist so massiv, dass langfristig dieses Land auf Zuwanderung angewiesen ist. Der Chef des Bereichs Migration, Integration und internationale Arbeitsmarktforschung am Institut für Arbeitsmarkt- und Berufsforschung, Herbert Brücker, schätzt, dass die Bundesrepublik 400.000 bis 500.000 Zuzüge im Jahr bräuchte, um den Gesamtbedarf zu decken. "Davon sind wir sehr weit weg", erklärt er in der Zeitung DIE WELT. 

Fazit

Die Energiewende funktioniert nur, wenn es gelingt, die notwendigen Fachkräfte über das System der Aus- und Weiterbildung heranzubilden. In den zwei Corona-Jahren und im ersten Nach-Corona-Jahr ist von der notwendigen Qualifizierungsoffensive nicht viel zu spüren. Interesse und Aufträge gibt es genug, aber es fehlen die Fachkräfte. Eine Lösung ist nicht in Sicht.