Was ist der Unterschied zwischen Antizionismus und Antisemitismus?

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14. Mai 1948: David Ben-Gurion erklärt die Unabhängigkeit des Staates Israel unter einem Porträt Theodor Herzls.
14. Mai 1948: David Ben-Gurion erklärt die Unabhängigkeit des Staates Israel unter einem Porträt Theodor Herzls.
Von Government Press Office (Israel), CC BY-SA 3.0, https://commons.wikimedia.org/w/index.php?curid=22807981

Antizionismus und Antisemitismus, was ist der Unterschied? Was bedeuten diese Begriffe und welche Ursachen haben sie? Welche geschichtliche Bedeutung liegt ihnen zugrunde?

Zion, das ist der Berg in Jerusalem, auf dem der Tempel Jahwes stand. Es bedeutet auch im weitesten Sinne "die im Herzen Reinen" (LuB 97:21). Doch was ist Antizionismus? Wie ist er entstanden und wodurch unterscheidet er sich vom Antisemitismus? Beides sind Begrifflichkeiten, die sich gegen Israel und Juden richten. Die Ursachen liegen alle weit in der Vergangenheit und sind doch aktueller denn je.

Der Zionismus und die Gründung Israels

Zionismus ist ein Sammelbegriff für verschiedene Interpretationen und Ideale. Doch haben sie eines gemeinsam: Sie sehen den Staat Israel für die Juden als Ort, wo ihre Flucht vor dem Antisemitismus endet und sie sich selbst verwirklichen können. Laut den Zionisten ist das Gebiet zwischen Mittelmeer und Jordanien das Heimatland der Juden und ihr Ziel ist es, alle Juden und Jüdinnen nach Israel in die Heimat zurückzuführen. Der politische Zionismus wurde von Theodor Herzl begründet. Die Zionismusbewegung entstand hauptsächlich, weil die Emanzipation der Juden vielerorts fehlschlug und sie durch Antisemitismus bedroht waren.

Der Name "Zion" stammt aus dem Alten Testament und beschreibt einen Hügel in Jerusalem, später wurde er für Jerusalem benutzt. Die Juden haben eine enge emotionale Bindung zu Israel, diese beginnt laut der jüdischen Auffassung in der Bibel. Es heißt dort, dass Gott das Land Israel Abraham und seinen Nachkommen verheißen habe. Historisch lässt sich eine Verbindung zwischen Juden und Israel bis ins 6. Jahrhundert vor Christus bis zur Zeit des babylonischen Exils zurückverfolgen. In der Diaspora hatten die Juden immer den Wunsch, in ihre Heimat Israel zurückzukehren. 597 vor Christus eroberten die Babylonier das Königreich Judäa, das heutige Israel, und vertrieben die israelische Oberschicht, die sich im heutigen Irak und Syrien ansiedelte. Erst 539 vor Christus konnten die Menschen zurückkehren, doch fühlten sie sich wie Knechte behandelt. Nach der amerikanischen Unabhängigkeit und der Französischen Revolution wurden Juden erstmals als Staatsbürger in den Heimatstaaten akzeptiert.

Diese sogenannte "Emanzipation" fand nach dem Grundsatz der Französischen Revolution statt, den Graf Clermont-Tonnere 1789 verfasste. "Den Juden als Nation muss alles verweigert, den Juden als Menschen alles gewährt werden", sagte er in einer Rede vor der Nationalversammlung. Das bedeutete, dass sie sich von dem Gedanken, sich als kollektive Nation zu sehen, verabschieden sollten und sich auf religiöser Ebene neu definieren und den Rückkehrwillen nach Israel ablegen sollten. Viele Juden akzeptierten dies, sie gliederten sich ein und bewahrten das Judentum als Glauben. Im Osten Europas hingegen sah es anders aus. Dort wurden die Juden nicht als Staatsbürger integriert, behielten ihre eigene Sprache und Kultur, unterschieden sich damit deutlich von den anderen Einwohnern. Dies führte allerdings auch dazu, dass sie oft in Armut lebten. Auch Hetze und Verfolgung nahmen im Verlauf zu. Richard Wagner äußerte sich 1850 gegen das Judentum in der Musik, Karl Marx identifizierte die Juden als Kapitalisten, in Russland beschuldigte man die Juden der Ermordung Zar Alexanders II. 1881, worauf eine Pogromwelle folgte.

Der politische Zionismus

Der Zionismus hatte auch Fürsprecher und Unterstützer. Nach der Pogromwelle 1881 folgte ein politischer Aufschwung der Idee eines Judenstaates. Leon Pinsker erklärte 1881 die Emanzipation für gescheitert und forderte eine eigene Nation der Juden. Der Orthodoxe Rabbiner Zwi Hirsch Kalischer begründete mit seiner Schrift "Drischat Zion" den religiösen und den Arbeitszionismus. Er schrieb, dass die Erlösung der Juden und ihre Rückkehr nach Israel nur durch Eigeninitiative und Selbsthilfe erreicht werden könne. Doch den größten Erfolg hatte der politische Zionismus, als dessen Begründer der Redakteur der Wiener "Neuen Freien Presse", Theodor Herzl, gilt. Er erkannte, dass Juden, allen Integrationsbemühungen zum Trotz, immer noch als Fremde angesehen wurden.

Er entwarf in Büchern und Artikeln das Konzept eines jüdischen Staates, in dem Gleichberechtigung zwischen Mann und Frau, Juden, Arabern und Angehörigen anderer Ethnien bestehen sollte. Die jüdische Religion spielte in seinem Konzept eine wichtige, aber keine führende Rolle für den zu gründenden Staat. Im Jahr 1897 organisierte Herzl den ersten zionistischen Kongress, bei dem Delegierte aus ganz Europa anreisten. Dort wurde auch darüber diskutiert, ob der jüdische Staat in einem anderen Land als Palästina errichtet werden könne. Die meistdiskutierten Vorschläge waren Argentinien und Uganda.

Herzl unterstützte diese Vorschläge, jedoch bekamen sie beim sechsten Kongress 1903 nicht genügend Stimmen. 1922 erhielt Großbritannien das Mandat für die Region Palästina. Bedingt durch die Anerkennung der historischen Verbindung des jüdischen Volkes mit Palästina und dem Land Israel sollte Großbritannien die politischen, wirtschaftlichen und verwaltungstechnischen Voraussetzungen zur Gründung eines jüdischen Staates errichten. Nach dem Zweiten Weltkrieg übergab Großbritannien das Mandat an die Vereinten Nationen, die im November 1947 die Errichtung Israels beschlossen, 1948 folgte die Gründung des Staates Israel. Damit war das Ziel erreicht, den Juden eine Heimat zu geben. 

Antisemitismus und seine Arten

Oft werden Antisemitismus und Antizionismus in einem Atemzug genannt. Die beiden Begriffe sind eng miteinander verknüpft, weisen allerdings auch einige Unterschiede auf. Während das eine sich auf eine Verfolgung der Menschen bezieht, wird beim anderen die Existenz eines Staates infrage gestellt. 

Unter Antisemitismus versteht man alle Einstellungen und Verhaltensweisen, die den als Juden geltenden Einzelpersonen oder Gruppen aufgrund der Religionszugehörigkeit negative Eigenschaften unterstellt. Damit werden Abwertung, Benachteiligung, Verfolgung und sogar Ermordung ideologisch gerechtfertigt. Kurz: Es ist die Feindschaft gegen Juden, weil sie Juden sind. Man kann zwischen fünf verschiedenen Arten des Antisemitismus unterscheiden.

  • Religiöser Antisemitismus: Die Religion der Juden bildet hier in Inhalten und Ritualen den inhaltlichen Bezugspunkt. Er entwickelt sich aus der Absolutsetzung der eigenen Auffassung von Religion, die mit einer pauschalisierenden Ablehnung und Diffamierung anderer Glaubensrichtungen verbunden ist. Vor allem die besonders negative Hervorhebung von Bestandteilen der jüdischen Religion steht hier im Vordergrund. Ansätze zum religiösen Antisemitismus finden sich bereits im Neuen Testament, wo die Juden als "Söhne des Teufels" beschrieben und als Verfolger Jesu dargestellt werden. Man gibt ihnen die Schuld an der Ermordung Jesu, was sich tief in die Glaubensauffassung der Christen eingenistet hat. Auch im Koran finden sich pauschale Diffamierungen, dort werden sie als abweichlerisch, betrügerisch und verräterisch dargestellt. Im Kontext der Säkularisierungstendenzen schwand zwar der Einfluss des religiösen Antisemitismus in der katholischen Kirche, im Islamismus hingegen hält er sich bis heute.
  • Sozialer Antisemitismus: Hier wird ein, eingebildeter oder tatsächlicher, Status von Juden in der Gesellschaft als Motiv des Antisemitismus genannt. Waren die Auswahlmöglichkeiten beim Beruf in der Vergangenheit für die Juden doch oft eingeschränkt, blieb den meisten von ihnen nur der Handel übrig. Da der Handel die Schnittstelle für den An- und Verkauf von Waren diente, erschien für manche die Präsenz der Juden als bedeutsam und dominant. Bereits im Mittelalter entstanden dabei die ersten Ansätze. Nach dem kanonischen Zinsverbot war es Christen untersagt, Zinsen zu nehmen. So wurden die Juden, da sie diesem Verbot nicht unterlagen, als ausbeuterisch, unproduktiv und sogar als Wucherer bezeichnet. Gleiches gilt für den Islam, auch dort war den Juden der Zugang zu bestimmten Berufen nicht gestattet, auch hier blieb dann oft nur der Handel. Muslime sahen hier allerdings im Umgang mit Edelmetallen und Geld eine Gefährdung ihrer Seelen, deshalb überließen sie diese Sparten den Christen und Juden. Erst mit der Gründung des Staates Israel indes fanden die Vorwürfe des sozialen Antisemitismus größere Verbreitung. 
  • Politischer Antisemitismus: Diese Form ist eng verknüpft mit dem Verweis auf die soziale und wirtschaftliche Bedeutung von Juden. Die als homogenes Kollektiv gedachten Juden gelten als einflussreiche soziale Macht, die sich in der Absicht, gemeinsam zu handeln, zusammenschlössen. Ihr Ziel sei dabei die Erlangung der Herrschaft im jeweiligen Land und der ganzen Welt mittels Verschwörung. Daher stünden jüdische Kräfte hinter politischen Umbrüchen wie Kriegen, Revolutionen oder Wirtschaftskrisen. Besonders im Nationalsozialismus fand die Behauptung der "jüdischen Weltverschwörung" große Verbreitung. In der islamischen Welt erhielten diese Auffassungen erst seit den 1930er und 1950er Jahren stärkere Beachtung. Insbesondere die Verbreitung der "Protokolle der Weisen von Zion", einer antisemitischen Fälschung, trug wesentlich dazu bei. Sie fand nach 1948 große Resonanz in der arabischen Welt, da die Darstellung einer angeblichen jüdischen Verschwörung das Überleben des Staates Israel in den kriegerischen Auseinandersetzungen mit den dortigen Staaten zu erklären schien. Prominente Persönlichkeiten wie Muammar al-Ghaddafi und Gamal Abdel Nasser bekannten sich zu diesen Protokollen. Auch heute finden solche Behauptungen große Verbreitung, wie die hohen Auflagezahlen der "Protokolle" zeigen. 
  • Rassistischer Antisemitismus: Diese Art entstand erst im 19. Jahrhundert. Ihre Besonderheit: Alle Juden werden hier von Natur aus als negativ bewertet. Sie können dieser Einschätzung nicht entgehen, weder durch Änderung ihres politischen oder sozialen Verhaltens noch durch die Abkehr vom jüdischen Glauben. Insofern war die Massenvernichtung der Juden im Nationalsozialismus als Konsequenz des rassistischen Antisemitismus angelegt. Die Vertreter dieser Art des Antisemitismus halten ihn sogar für wissenschaftlich begründet. Anfang der 1870er Jahre wurden biologische Argumentationsmuster mit einer sozialdarwinistischen Ideologie verknüpft. So bestehe das Gesetz der Geschichte in einem Kampf der "Rassen", zwischen Germanen und Juden, um die Vorherrschaft. Diese Argumentation machten sich die Nationalsozialisten und besonders Adolf Hitler zu eigen und propagierten, dass die Juden sich als Parasiten in den Völkern eingenistet hätten und ausgemerzt werden müssten. In der arabischen Welt hingegen finden sich kaum Ansätze des rassistischen Antisemitismus. 
  • Sekundärer Antisemitismus: Hierbei unterstellt man aufgrund der öffentlichen Auseinandersetzung über die Massenvernichtung der Juden im Dritten Reich eine Diffamierung der nationalen Identität der Deutschen. Sie diene nur der Gewährung fortgesetzter Wiedergutmachungszahlungen an Israel und der Legitimität der israelischen Politik im Nahen Osten. Hier werden auch Argumente des politischen Antisemitismus mit eingebunden. Eine besondere Variante, die besonders im Rechtsradikalismus zu finden ist, ist die Holocaust-Leugnung. Hier wird unterstellt, der Massenmord an den Juden habe niemals so stattgefunden und wäre eine reine Erfindung zur moralischen Demütigung der Deutschen. Vor dem Hintergrund der Strafbarkeit der Leugnung des Holocaust wird dieser oft relativiert. In der ständigen Erinnerung an den Holocaust sehen manche auch eine Art "Moral-Keule", welche als Angriff auf die eigene nationale Identität angesehen wird. Am weitesten verbreitet ist allerdings die Schuldabwehr-Komponente. Dabei wird nicht zwangsläufig der Holocaust negiert, aber man wirft den Juden vor, diesen für ihre Zwecke zu missbrauchen, um einen Vorteil daraus zu ziehen. Dies ist eine Täter-Opfer-Umkehr. Die Erinnerung der Nachkommen (und der Überlebenden) des Massenmordes wird als Akt der Aggression dargestellt, die eigenen Aversion gegen die Juden gilt dann als Notwehrreaktion. Auch in der islamischen Welt sind Äußerungen, der Holocaust habe nicht stattgefunden, verbreitet. Allerdings stellt man diesen hier wegen seiner moralischen Legitimation für die Gründung des Staates Israel in Abrede. Selbst renommierte Institutionen, Medien und Persönlichkeiten der arabischen Welt verleugnen oder verharmlosen den Holocaust.

Antizionistischer Antisemitismus

Beim antizionistischen Antisemitismus handelt es sich um eine spezifische Form der Judenfeindschaft mit einem besonderen Bezug zum Staat Israel. Er verbindet die Forderung nach einer Auslöschung des Staates Israel mit der systematischen Verfolgung. Anstelle einer Kritik am Staat, wird dieser mit "dem Juden" gleichgestellt. So heißt es in Briefen und Mails an die israelische Botschaft und den Zentralrat der Juden in Deutschland gerichtet wurden: "Hass sät Hass, das heutige Israel ist im Blutschlamm des Alten Testaments stecken geblieben."

"Mit Abscheu und tiefer Verachtung verfolgen wir in den Medien das Massaker Israels in Gaza und im Libanon. … In der ganzen Welt haben die Juden an Achtung und Vertrauen verloren." "Aber was macht der 'Jude' denn jetzt mit den Palästinensern? … hat der 'Jude' damals nichts gelernt?" (Originalschreibweise wurde übernommen). Eine Ausdrucksweise, die man vom Dritten Reich her kennt. Dies impliziert auch, dass nicht nur die Menschen, die in Israel leben, für Vorgehensweisen des Staates verantwortlich gemacht werden, sondern die Juden auf der ganzen Welt werden als "Grundübel" dargestellt. 

Antisemitismus und Antizionismus – Kann man es noch trennen?

Unter Antizionismus versteht man eine politische Ideologie, die sich hauptsächlich gegen den Zionismus und damit direkt gegen den Staat Israel wendet. Der Antizionismus geht oft mit dem Antisemitismus einher, die Antisemiten nutzen in ihrer Propaganda häufig den weniger tabuisierten Antizionismus. Antizionisten bezeichnen den Staat Israel als "künstliches Gebilde" und sprechen ihm sein Existenzrecht ab, gleichzeitig erheben sie die Auslöschung des Staates Israel zum politischen Programm.

Der Antizionismus vereinnahmt allerdings auch antisemitische Motive, seine Nähe zum Antisemitismus lässt sich bis in die 1930er Jahre zurückverfolgen. Die Araber hatten damals Hitlers Machtübernahme euphorisch begrüßt. Der Großmufti Jerusalems, Amin al-Husseini, bot sich den Nationalsozialisten sogar als Verbündeter gegen die Juden an. Viele arabische Antizionisten leugnen oder verharmlosen den stattgefundenen Holocaust während des Dritten Reiches bis heute. Im modernen Rechtsextremismus ist der Begriff Antizionismus häufig eine Chiffre für Antisemitismus. Anstelle des Begriffs "Juden" wird der Staat Israel gesetzt.

Der für Rechtsextreme oft typische Hass auf Juden wird so auf Israel übertragen und als "legitime Kritik" an der israelischen Politik getarnt. Hieß es früher "jüdische Weltherrschaft", so beklagen die Rechtsextremen heute die "israelische Aggressionspolitik" und den angeblichen "Vernichtungszug Israels" gegen die Palästinenser. Bezog sich also Antizionismus nur auf die Löschung des Staates, so deutet durch die Vermischung der Begriffe alles darauf hin, dass man sich damit nicht zufriedengibt und die Juden selbst auslöschen will.