- Der Blick an die Strombörse und auf den Strommix
- Das Merit-Order-Prinzip einfach erklärt
- Wie sich der Strompreis errechnet
- Die Energieversorger und ihre Geschäfte in Leipzig
- Der Strompreis und seine Kostenbestandteile
Bisher kostet der Betrieb eines Kühlschrankes pro Jahr 50 Euro, nach dem aktuellen Strompreis sind es viermal so viel, also 200 Euro. Bundesfinanzminister Christian Lindner (FDP) spricht von einem "politisch gemachten Rendite-Autopiloten", den man abstellen müsse, erklärte er nach der Kabinettsklausur auf Schloss Meseberg vor der Presse. "Die Gewinne steigen zulasten der Verbraucher Milliarde um Milliarde." Die Bundesregierung will deshalb das bestehende Strommarktdesign ändern. Im Mittelpunkt der Kritik steht aber ein Mechanismus, den Energie-Expert*innen "Merit-Order" (Deutsch: Leistungs-Reihenfolge) nennen. Aber was steckt dahinter?
Der Blick an die Strombörse und auf den Strommix
Ein erster Blick gilt dem aktuellen Strompreis: Nach dem Gaspreis bewegt sich der Börsen-Strompreis ebenfalls auf hohem Niveau. Ende August 2022 (Stand: 31.8.) kostete die Megawattstunde 455 Euro an der Strombörse in Leipzig (EEX Day Ahead). Im Vorjahresmonat lag dieser Wert bei nur 82 Euro – ein Plus von 455 Prozent.
Woraus entsteht Strom? Als Stromquelle dienen zunächst Wind, Photovoltaik, Wasser, Biomasse - also Quellen, die in der Nutzung für die Stromversorgung relativ günstig im Preis sind. Der Anteil der erneuerbaren Energien 2021 an der Stromerzeugung liegt bei 45,7 Prozent, wie das Fraunhofer ISE errechnet hat. Schon etwas teurer sind Atomkraft (13,3 Prozent) und Kohle (29,7 Prozent), zählen aber ebenfalls zu den preiswerteren Ausgangsstoffen. Reicht es dann immer noch nicht, wird Gas verstromt (10,5 Prozent). Das ist im Jahr 2022 wegen der hohen Erdgaspreise durch die Gasblockade sehr teuer. Ein Beispiel: Photovoltaikanlagen, die mit 5 Cent pro Kilowattstunde geplant wurden, erzielen derzeit an der Börse EEX Preise von bis zu 50 Cent pro Kilowattstunde.
Stadtwerke oder größere Unternehmen kaufen ihren Strom langfristig ein, haben Verträge mit Preisgarantien. Das hilft zunächst einmal. Gibt es kurzfristig zusätzlichen Bedarf, müssen allerdings auch sie am "Spot-Markt" zu hohen Preisen einkaufen. Für die Bildung des Strompreises ist das sogenannte "Merit-Order-Prinzip" ausschlaggebend.
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Regeln zur Preisbildung: Am Strommarkt bestimmt das teuerste Kraftwerk den Strompreis, das nennen die Energie-Expert*innen "Merit-Order". Damit ist die Reihenfolge der genutzten Kraftwerke gemeint und die bestimmt sich durch die Entstehungskosten. Zuerst eingesetzt sind diejenigen mit den niedrigsten Kosten. Danach folgen die Kraftwerke mit höheren Kosten; und zwar so lange, bis die Nachfrage gedeckt ist. Das Kraftwerk, das dann immer noch notwendig ist, um die nachgefragte Strommenge zu liefern, bestimmt letztlich den Verkaufspreis. Alle Kraftwerke bekommen für den produzierten Strom den gleichen, auch wenn sie eigentlich günstiger produzieren. Die günstigeren Kraftwerke (Wind, PV, Kohle, Kernenergie) machen in dem Fall hohe Gewinne. In 2022 sind die zuletzt zugeschalteten Kraftwerke diejenigen, die Gas in Strom verwandeln.
Lion Hirth, Junior-Professor für Energiepolitik an der Hertie School Berlin, erklärt die Preisbildung in der Energiewirtschaft am liebsten mit zwei Bauern, die Kartoffeln anbauen. Der eine Bauer pflanzt sie ganz traditionell an, viel Handarbeit, kaum Landwirtschaftstechnologie. Am Ende steht ein Preis von 2,00 Euro für ein Kilo Kartoffeln. Der andere Bauer baut ebenfalls Kartoffeln an, aber unter Nutzung modernster Technologie. Hier beträgt der Preis schließlich 1,00 Euro pro Kilo. Der traditionelle Bauernhof kann nicht unter 2,00 Euro verkaufen, sonst fährt er ein nicht zu verkraftendes Defizit ein. Der moderne Bauer weiß das und verkauft deshalb seine Kartoffeln ebenfalls für 2,00 Euro. Am Kartoffelmarkt bestimmt also der teuerste Bauernhof letztlich den Kartoffel-Preis. Auf diese Weise entsteht auch der Strompreis.
Eine weitere Schwierigkeit besteht in diesem Jahr in der Beschaffung von ausreichenden Strommengen. Wegen der Trockenheit fehlt das Kühlwasser aus den Flüssen, um die Atomkraftwerke in Frankreich in vollem Umfang nutzen zu können. Hinzu kam, dass Inspektionen anstanden, die in den Corona-Jahren nicht stattfinden konnten. Die Hälfte der 57 Kernkraftwerke in Frankreich fielen im Sommer 2022 aus. Die Strommengen aus Wasserkraft, die in Norwegen, Island, Luxemburg, Österreich, Italien, Schweiz und Schweden anfallen, waren ebenfalls eher bescheiden. Der Mangel führte dazu, dass Gaskraftwerke häufiger zugeschaltet waren. Lion Hirth kommentiert in den ARD-Tagesthemen die Marktlage wie folgt: "Wir hatten schon ganz viel Pech in diesem Jahr beim Strom."
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Der Strompreis setzt sich aktuell (2022) aus folgenden Kostenfaktoren zusammen:
- 31,1 Prozent staatlich veranlasste Steuern, Abgaben und Umlagen
- 24,7 Prozent Nutzung der Stromnetze (Geld bekommen die Netzbetreiber)
- 44,2 Prozent Stromerzeugung und Vertrieb (Geld geht an die Stromhersteller- und -anbieter)
Die vier Übertragungsnetzbetreiber (ÜNB) 50Hertz, Amprion, TenneT und TransnetBW sind in Deutschland verantwortlich für die Netze zur überregionalen Versorgung und Übertragung im Höchstspannungsbereich. Ihr Geld verdienen die ÜNB über die Netzentgelte, wobei die Höhe der Netzentgelte vom Staat festgelegt ist.
Das Netzentgelt für die typische Haushaltskundschaft lag bei den von der Bundesnetzagentur regulierten Netzbetreibern im Jahr 2021 bei 7,65 Cent pro Kilowattstunde (kWh). Die Gewerbekundschaft zahlte etwas weniger: 5,80 Cent pro Kilowattstunde (kWh), gestaffelt nach der Höhe des Verbrauchs.
Die Energieversorger und ihre Geschäfte in Leipzig
Die meisten der 1.500 Stromanbieter erzeugen ihren Strom nicht selbst, sondern kaufen ihn bei Stromerzeugern. Seit der Strommarkt liberalisiert ist (das ist er seit 1998 durch das Gesetz zur Neuregelung des Energiewirtschaftsrechts), gibt es deutlich mehr Wettbewerb. Seit dieser Zeit, gibt es ebenso die Möglichkeit, Strom an der Börse zu handeln. Das passiert (natürlich virtuell) an der EEX als Terminmarkt, der "European Energy Exchange", in Leipzig. Der Spot-Markt (Heute-und-Jetzt-Markt) befindet sich an der Pariser European Power Exchange (EPEX SPOT). Die unterschiedlichen Formate, mit denen Strom gehandelt werden, finden sich im "Strommarktdesign" wieder, das auf Ebene der EU gemeinsam von den 27 Staaten definiert ist. Das Energiegeschäft ist europaweit angelegt, hat gemeinsame Regeln und ist immer mehr Binnenmarkt.
Die Energieversorger können noch einen zweiten Weg wählen, um Strom einzukaufen. Das passiert größtenteils langfristig, durch direkte Verträge "Over-the-counter" (OTC) mit den Stromerzeugern wie RWE, Uniper, Vattenfall, LEAG und EnBW (diese fünf haben einen Marktanteil von 53 Prozent).
Die Preise sind nur den Vertragsbeteiligten bekannt und nicht öffentlich einsehbar. Sie orientieren sich in der Regel am Börsenpreis. Energieversorger haben also günstige Altverträge und weniger attraktive Neuverträge. Etwa die Hälfte des jährlichen Stromverbrauchs wird kurzfristig gehandelt. Um den besten Preis herauszuholen, muss er die verschiedenen Optionen gut kombinieren. Die Entwicklung des Strompreises an den Börsen geht nicht spurlos an den Anbietern vorbei, die langfristige Abnahmeverträge haben.
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Bundeswirtschaftsminister Robert Habeck (Grüne) will den Preismechanismus beim Strom überdenken. Er arbeitet offenbar an einer grundlegenden Reform. Kern seiner Überlegungen: Den Endpreis für die Kundschaft für Strom vom Gaspreis entkoppeln. "Merit-Order" solle zwar bleiben, aber die unerwünschten, problematischen Effekte müssten sich ändern. Anders als bei der Gasumlage soll es aber keinen "Schnellschuss" geben. Eine solche Reform sei komplex, die europäischen Beteiligten müssten eingebunden sein.
Die Wirtschaftsweise Veronika Grimm, Ökonomin an der Uni Erlangen-Nürnberg, zeigt sich im Interview mit der ZEIT skeptisch und warnt ebenfalls vor Schnellschüssen: "Bei einem Eingriff in das komplexe System aus börslichen Spot- und Terminmärkten sowie außerbörslichem Handel müsste man schon eine extrem gute Idee haben, um tatsächlich einen Nutzen zu stiften und nicht Schaden anzurichten." Schon die Gasumlage hätte zu unerwünschten Effekten geführt, bei einem Eingriff in das Strommarktdesign wäre das erst recht zu erwarten.
Die Nachfrage nach Strom steigt bereits wieder seit Mitte 2021. Insbesondere die Industrie braucht nach den Corona-Monaten wieder mehr Energie. Eine höhere Nachfrage bei geringerem Angebot in 2022 führt zu steigenden Preisen. Inwieweit sich die Strommengen im Laufe des Jahres 2022 steigern lassen und damit beruhigend auf den Preis wirken, ist noch nicht klar.
Fazit
Wie der Energiemarkt im Detail funktioniert, ist schwer zu durchschauen. Jüngster Beweis: Die Entwicklung bei den Strompreisen. Es ist unvergessen, dass ausgerechnet der Staat es war, der den Preisauftrieb in der Vergangenheit durch Steuern und Abgaben befeuerte. Jetzt ist Zeit für eine Kurskorrektur. Der Wegfall der Erneuerbaren-Energien-Umlage ist ein Anfang. Der zweite Schritt könnte ein neuer Preismechanismus zur Findung des Strompreises sein.