Jugoslawien, Teil 3: Das Ende des Staates, der Krieg und Neuanfang
Autor: Werner Diefenthal
Deutschland, Mittwoch, 11. Mai 2022
Nach Titos Tod standen die Zeichen in Jugoslawien immer mehr auf Zerfall. Mit dem Beginn des Krieges und dem daraus resultierenden Elend war das Ende des Staates besiegelt.
- Jugoslawien nach Titos Tod
- Die Staatskrise
- Gründe für den folgenden Krieg
- Wie ist die Situation heute?
Als Tito 1980 starb, entstand, wie so oft in Diktaturen, ein Machtvakuum. Die einzelnen Länder innerhalb Jugoslawiens forderten mehr Eigenständigkeit, dazu kamen ethnische Probleme. Letztlich stürzte das Land in einen blutigen Krieg, der das Ende des Staates besiegelte.
Jugoslawien nach Titos Tod
Als der "Druze Tito" (Genosse Tito) starb, herrschte im gesamten Land tiefe Trauer. Doch nicht nur im eigenen Land, auch weltweit wurde sein Tod betrauert. Zur Beerdigung reisten unter anderem vier Könige, 31 Staatspräsidenten und Delegationen aus über 120 Ländern an. In den 35 Jahren, in denen er regierte, hatte er aus Jugoslawien einen in Ost und West respektierten Staat geschaffen. Doch das konnte nicht darüber hinwegtäuschen, dass sich das Land in einer tiefen Krise befand. Die Geberländer forderten ihre Kredite zurück, das Bruttoinlandsprodukt wuchs nur noch um 0,6 Prozent im Jahr, die Realeinkommen schrumpften. Die Arbeitslosigkeit stieg, der Lebensstandard sank. Dazu kamen Zwistigkeiten innerhalb der Regierung, die Unzufriedenheit im Volk nahm zu. Die Entwicklungsunterschiede zwischen den einzelnen Bundesstaaten hatten sich, trotz staatlicher Umverteilungsmaßnahmen, nicht verringert, sondern noch verstärkt. Slowenien und Kroatien standen dem Transfer der Mittel zunehmend ablehnend gegenüber, da sie Fehlinvestitionen und Mittelverschwendung sahen. Außerdem fühlten sie sich dadurch in ihrer eigenen Entwicklung behindert. Serbien und die anderen ärmeren Regionen hingegen empörten sich über den Egoismus der reicheren Bundesländer. Beide Seiten fühlten sich ausgebeutet. Konnte Tito zu Lebzeiten die aufkeimende Unzufriedenheit noch unter Kontrolle halten, ging diese Kontrolle nach und nach verloren. Unsicherheit und Ängste nahmen in der Bevölkerung überall zu, die Verteilungskämpfe wurden immer heftiger. Serbien vertrat dabei noch die These, dass die Verfassung von 1974 das Land quasi unregierbar gemacht habe. Auch im Kosovo regte sich Widerstand gegen diese Verfassung, im Frühjahr 1981 kam es zu Demonstrationen der dort lebenden Albaner, in denen die Anerkennung ihrer Provinz als siebte Republik gefordert wurde. Nur mit der Verhängung des Ausnahmezustandes, dem Einsatz von Panzern und mittels Massenverhaftungen gelang es der jugoslawischen Staats- und Parteiführung, die Ruhe, zumindest äußerlich, wiederherzustellen. 1982 sprachen Vertreter der Serbischen Orthodoxen Kirche von einem Genozid am serbischen Volk im Kosovo. In der Folgezeit erschienen weitere Artikel, in denen man die Situation als Fortsetzung des Völkermordes an den Serben von 1389 bis zum Zweiten Weltkrieg darstellte.
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Die Serbischen Akademien der Wissenschaften veröffentlichten 1986 ein Memorandum zu aktuellen Fragen in Jugoslawien, in dem die politische Führung attackiert wurde. Man sah die Ursachen der Krise im Erbe Stalins und in der kommunistischen Internationale, in den Wirtschaftsreformen der 1960er Jahre und der Verfassung von 1974. Serben würden diskriminiert, Serbien dreigeteilt und das Volk einem Genozid unterworfen. Seit dem Frühjahr 1981 würde ein offener und totaler Krieg gegen die Serben im Kosovo geführt. Die Autoren forderten die Wiederherstellung der vollen nationalen und kulturellen Integrität des serbischen Volkes und die Wiederherstellung des serbischen Staates. 1987 erfolgte dann die endgültige Wende. Slobodan Milosevic, seit Ende Mai 1986 Chef der Partei des Bundes der Kommunisten Serbiens (Bdk), besuchte Pristina, die Hauptstadt des Kosovo. Dort richtete er einen Satz an die dortigen Serben, der ihn schnell bekannt machte: "Niemand darf euch schlagen." Dies machte den bis dahin unscheinbaren Funktionär quasi über Nacht zum "Retter der Serben". Im Mai 1989 stürzte er den bisherigen Präsidenten Ivan Stambolic und machte sich zum Staatsoberhaupt der Serben. Bei den Wahlen 1990 wurde er bei der direkten Wiederwahl mehrheitlich haushoch bestätigt, seine Partei erhielt 194 von 250 Sitzen im serbischen Parlament. Sein Plan war, im Zuge der Unabhängigkeitsbewegung der jugoslawischen Staaten die Gründung eines serbischen Staates, um dort alle Serben zusammenzufassen. Serbien war die größte unter den Teilrepubliken, allerdings lebten über 40 Prozent der Serben außerhalb, vor allem in Bosnien und Kroatien. Diesen Plan musste er allerdings auf internationalen Druck wieder fallenlassen.
Die wirtschaftlichen Probleme in Jugoslawien wuchsen weiter, die Inflation stieg auf 2700 Prozent, Wachstums- und Produktionsraten fielen in den Keller. Letzte Reformbemühungen scheiterten, über den Konflikt darüber zerfiel 1990 die Einheitspartei, die gesamtstaatlichen Institutionen, der gemeinsame Wirtschaftsraum, Medien und der Staatssicherheitsrat erodierten. Der Zerfall war nicht mehr aufzuhalten.
Der Weg in den Abgrund
In mehreren Städten der Wojwodina, Montenegros und Serbiens waren sein Mitte 1988 inszenierte Demonstrationen abgehalten worden, in denen der "serbische Volkswille" immer aggressiver artikuliert wurde. Im Oktober 1988 und Januar 1989 waren die politischen Führungen der Wojwodina und Montenegros zurückgetreten, Milocevic-treue Anhänger ersetzten sie. Im Kosovo flammte erneut Widerstand auf, dieser wurde mit großer Brutalität durch Militär und Polizei erstickt. Die Autonomie des Kosovo und der Wojwodina wurde durch eine serbische Verfassungsänderung, welche de facto gegen die Bundesverfassung von 1974 verstieß, drastisch eingeschränkt. Allerdings verzichtete Milosevic nicht auf die Stimmen der beiden Provinzen in den jugoslawischen Bundesorganen. Nach der Gleichschaltung Montenegros verfügte er damit über vier Stimmen, also genau so viele wie alles anderen Republiken Jugoslawiens zusammen. Damit hatte die offene Demontage des "Zweiten Jugoslawien" begonnen, doch die Einigung über ein neues, ein drittes Jugoslawien rückte in immer weitere Ferne.
Im Januar 1990 überstimmte auf dem Parteitag die Milosevic-treue Mehrheit alle Anträge der slowenischen Delegation, die daraufhin mit den kroatischen Delegierten den Parteitag verließ. Bei den ersten landesweiten freien Wahlen nach 63 Jahren gelangten in allen Republiken, mit Ausnahme von Serbien und Montenegro, die "national-bürgerlichen" Parteien an die Macht. Nur in Serbien und Montenegro konnten sich die nationalistisch "gewandelten" Kommunisten behaupten. Unter Tito hatte es keine wirklichen freien Wahlen mehr gegeben, da er als Staatsoberhaupt auf Lebenszeit benannt worden war. In Slowenien bedeutete der Sieg des Mitte-Rechts Bündnisses "Demos" eine Beschleunigung der Verselbstständigungspolitik, ebenso lief der Sieg in Kroatien durch die "Kroatische Demokratische Gemeinschaft" und der gewachsene Einfluss der kroatischen Hardliner aus der Westherzegowina sowie der Diaspora auf eine Abspaltung von Jugoslawien hinaus. Durch die novellierte Verfassung Kroatiens, in der die Herabstufung der kroatischen Serben vom zweiten Staatsvolk zur Minderheit festgeschrieben wurde und die Abschaffung der bis dahin nötigen Zweidrittelmehrheit bei nationalitätspolitischen Beschlüssen des kroatischen Parlaments, wurden Diskriminierungsängste der Serben geweckt. Erinnerungen an den Usatascha-Staat, ein Vasallenstaat des Dritten Reiches in Jugoslawien im Zweiten Weltkrieg, wurden geweckt, als die Symbole dieses Staates öffentlich zur Schau gestellt wurden. Serben wurden beruflich diskriminiert, die Polizei ging provokant-brutal vor. Serbische und kroatische Politiker schürten nationale Emotionen, statt beruhigend einzugreifen.