Streikrecht: Ursprünge, Regeln und Auswirkungen auf deinen Alltag

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Zuletzt waren es die Lokführer und das Kita-Personal, die einen Streik organisierten. Warnstreiks in laufenden Tarifverhandlungen sind ihr gutes Recht. Aber woher kommt das Streikrecht und wo nahm es seinen Ursprung?

Die Mülltonne ist nicht geleert, die Kita ist dicht, keine Post im Briefkasten, die Bahn steht, weil die Lokführer nicht zur Arbeit kommen. Wenn dein Alltag so aussieht, dann ist Streik angesagt. Bist du betroffen von den Auswirkungen, gibt es zwei Reaktionsmöglichkeiten: entweder du zeigst Verständnis für die Streikenden oder er trifft bei dir auf Ablehnung. Ex-Bundeskanzler Helmut Schmidt brachte es in einem Interview mit dem Magazin Der Spiegel auf den Punkt, als er im März 1979 sagte: "Natürlich muss auch mal gestreikt werden. Alle diese deutschen Kleinbürger, die meinen, ein Streik sei ein Zeichen von Unordnung, die können mir den Buckel runterrutschen. Ein Land, in dem nicht gestreikt wird, ist keine Demokratie." Wie steht es um den Streik und das Streikrecht, fast 45 Jahr nach diesem Interview? 

Alles begann beim Bau von Gräbern im Tal der Könige

Ein Blick in die Historie des Streiks zeigt, dass die erste dokumentierte Arbeitsniederlegung eine Sitzblockade von Bauarbeitern in Ägypten 1159 v. Chr. im Tal der Könige war. Arbeiter legten damals kollektiv die Arbeit an den Königsgräbern nieder, nachdem ihre Entlohnung, in Form von Nahrungsmitteln, ausblieb. Es ging ihnen um angemessene Rationen von Brot, Fleisch, Fisch und Gemüse. Außerdem verlangten sie Kleidung und alle zehn Tage Salben für den geschundenen Körper. Es dauerte zwei Wochen, dann ließ Pharao Ramses III. alle noch ausstehenden Rationen liefern und die Arbeiter nahmen ihre Arbeit wieder auf. Der Streik war erfolgreich.

In Deutschland fand einer der ersten großen Streiks 1873 statt: Buchdrucker erkämpften hier zum ersten Mal einen Flächentarifvertrag. Es ging um bessere Arbeitsbedingungen. Der Drucker-Streik dauerte insgesamt vier Monate und hatte Erfolg: Am 8. Mai 1873 gelang es, den ersten Flächentarifvertrag in der deutschen Geschichte zu erkämpfen. Was stand darin? Fünf Punkte fanden eine neue Regelung: die Lohnhöhe für den Satz je nach Schriftgattung, das Recht auf einen Mindestlohn, eine zehnstündige Arbeitszeit, Überstundenzuschläge und eine 14-tägige Kündigungsfrist.

1889 kam es dann zum großen Bergarbeiterstreik im Ruhrgebiet mit 90.000 Beschäftigten. Hier ging es ebenfalls um eine höhere Bezahlung und bessere Arbeitsbedingungen. Das Militär ging gegen die Streikenden vor. In der ersten Woche gab es elf Tote und viele verwundete Bergarbeiter. Es kam zu einer blutigen Niederschlagung. Der Arbeitskampf erreichte seine ursprünglichen Ziele nicht. Er führte aber zu ersten Gewerkschaftsgründungen im Ruhrgebiet. 

Die Verfassung und das Streikrecht

Heute ist das Streikrecht ein verbrieftes Grundrecht, das in der Verfassung (Grundgesetz) Artikel 9, Absatz 3 steht. In Absatz eins wird zunächst festgelegt, dass alle Deutschen das Recht haben, Vereine und Gesellschaften zu bilden. Dazu gehören Gewerkschaften und Arbeitgeberverbände, als die maßgeblichen Akteure der Wirtschaft.

Speziell "zur Wahrung und Förderung der Arbeits- und Wirtschaftsbedingungen" ist es laut Grundgesetz möglich, Vereinigungen zu bilden. Darin können sich alle Personen und alle Berufe organisieren. Sollte es zu Arbeitskämpfen mit Streik kommen, die zur Verbesserung der Bedingungen führen sollen, sind diese nicht zu behindern, heißt es ausdrücklich im Text. Es geht also um die Bedingungen für Arbeit – bessere Bezahlung, kürzere Arbeitszeit, mehr Arbeits- und Gesundheitsschutz, um längeren Urlaub oder um die Arbeitsgestaltung.

Konkret dient der Streik dazu, Druck aufzubauen, um den Abschluss eines Tarifvertrages oder einer Betriebsvereinbarung mit einem klaren Ziel zu erreichen. Nur so ist es möglich, für eine oftmals leidenschaftlich geführte Auseinandersetzung eine Lösung zu suchen und am Ende des Tages zu finden. 

Die Regeln für den Streik

Das Streikrecht steht nur den Gewerkschaften zu. Aber es gibt Regeln: Sind Tarifverhandlungen erstmal gestartet, ist ein Streik verboten. Es besteht die sogenannte Friedenspflicht. Diese gilt gleichermaßen während der vereinbarten Laufzeit des Tarifvertrags. Gibt es im Tarifstreit keine Einigung, ist ein Arbeitskampf möglich. Voraussetzung ist aber, dass die Mehrheit der Gewerkschaftsmitglieder in einer Urabstimmung (mehr als 75 %) einem Streik zustimmt und Verhandlungen als gescheitert erklärt sind. Dies regelt üblicherweise die Streikordnung oder Satzung der Gewerkschaft.

Ausnahmen gibt es nur bei Warnstreiks (Urteil des Bundesarbeitsgerichts (BAG) vom 12.09.1984, Az.: 1 AZR 342/83). Diese kann die Gewerkschaft auch während einer laufenden Tarifverhandlung ausrufen. Damit will die Gewerkschaft ihre Entschlossenheit unter Beweis stellen, ihre Tarifforderungen durchzusetzen. Ein Warnstreik kann wenige Stunden, aber manchmal auch 24-Stunden dauern. Der Arbeitskampf muss fair sein und darf das notwendige Maß nicht überschreiten (keine Existenzvernichtung; Gewährung von Notdiensten; keine Behinderung von An- und Abtransporten; keine Behinderung von Streikbrechern).

Deutschland ist im europäischen Vergleich ein "streikarmes Land". Will sagen: Es gibt nur wenig Streiktage. Das Wirtschaftswissenschaftliche Institut (WSI) der Hans-Böckler-Stiftung hat die Anzahl der Streiktage in seiner Arbeitskampfbilanz 2021 zusammengetragen. Beim internationalen Ranking, der durch Streik ausgefallenen Arbeitstage pro 1.000 Beschäftigte, steht Belgien mit 97 Tagen an der Spitze. Es folgen Frankreich (93 Tage) und Kanada mit (79 Tagen). Deutschland liegt im Mittelfeld mit 18 Tagen.

Wie lange kann ein Streik dauern?

Wenn in den 1950er-Jahren in Westdeutschland Angestellte krank waren, bekamen sie weiter ihren Lohn; Arbeiter dagegen nicht. Im Herbst 1956 traten die Stahl- und Werftarbeiter in Schleswig-Holstein in den Streik, um das zu ändern. Allen war klar, dass der Streik eine harte Nuss ist, die damals zu knacken war. Er sollte über den Winter inklusive Weihnachtszeit gehen und ist bis heute der längste Branchenstreik Deutschlands seit mehr als einhundert Jahren. Nach fast vier Monaten waren Lohnausgleich bei Krankheit, mehr Urlaub und Urlaubsgeld für Arbeiter und Angestellte erkämpft.

Den längsten Firmenstreik gab es im Zementwerk Seibel & Söhne in Erwitte (NRW). 1975 traten wegen drohender Kündigungen 150 Beschäftigte in einen Ausstand und besetzten den Betrieb. Der nicht von der Gewerkschaft getragene "wilde Streik", dauerte 449 Tage. Der Firmenbesitzer verweigerte die für Juni 1976 vereinbarte Wiederaufnahme der Arbeit. Die Produktion ging dann mit neuen Arbeitern weiter.

Die Arbeiter der Granitindustrie im Bayerischen Wald legten 1991/1992 für 301 Tage die Arbeit nieder, bevor die zuletzt noch 260 Streikenden für einen Kompromiss stimmten. Der Konflikt war damit beigelegt. Den längsten Streik weltweit, so die Information der Deutschen Presse-Agentur, organisierten 2003 130 Mitarbeiter des Congress Hotels in Chicago (USA). Aus Protest gegen Lohnkürzungen legten sie die Arbeit nieder. Erst nach zehn Jahren beendete ihre Gewerkschaft den Ausstand – ohne allerdings eine einzige Streikforderung durchgesetzt zu haben. Eine Erfolgsgarantie für einen Streik gibt es also nicht.

Wer zahlt das Entgelt während des Streiks?

Während des Streiks ruht die Arbeitspflicht der streikenden Arbeitnehmer, mit einer gravierenden Folge: Es gibt kein Entgelt für die Zeit. Um die Streikbereitschaft der Mitglieder zu fördern, zahlen die Gewerkschaften ihnen dann allerdings ein nicht zu versteuerndes Streikgeld. Wobei das Streikrecht nicht von der Mitgliedschaft in einer Gewerkschaft abhängt, das Streikgeld dagegen schon. 

Die Höhe richtet sich zum einen nach dem Einkommen des streikenden Mitglieds und zum anderen nach dem gewerkschaftlichen Mitgliedsbeitrag; manchmal gibt es einen Familienzuschlag. Das Streikgeld gleicht aber in der Regel den Einkommensverlust nicht vollständig aus.

Folgende Regelungen gelten in Bezug auf das Streikgeld bei der Gewerkschaft ver.di für eine Streikwoche: Bei Mitgliedern, die über 12 Monate Mitglied sind, gibt es pro ganzen Streiktag 2,5-mal den Monatsbeitrag als Streikgeld. Die IG Metall verdeutlicht die Höhe des Streikgeld mit einem Beispiel: Wer bei mehr als fünfjähriger Mitgliedschaft in den letzten drei Monaten einen durchschnittlichen Beitrag von 25 Euro im Monat gezahlt hat, erhält 350 Euro Streikunterstützung pro Woche (70 Euro pro Streiktag bei einer 5-Arbeitstagewoche). Das ist alles andere als üppig und kann Familien bei einer langen Streikdauer in finanzielle Nöte stürzen. Bei längeren Arbeitskämpfen birgt dies die Gefahr, dass die Streikbeteiligung nachlässt, denn niemand ist gezwungen, sich an einem Streik zu beteiligen.

Kann der Arbeitgeber Streikende entlassen oder abmahnen?

Wer streikt, macht von seinem Grundrecht Gebrauch. Der Arbeitgeber darf ihn nicht "maßregeln", keine Kündigung oder Abmahnung (Maßregelverbot) aussprechen. Während eines Streiks sind die Pflichten aus dem Arbeitsvertrag aufgehoben ("suspendiert"), sie bestehen erst dann wieder, wenn der Streik vorbei ist. Der Arbeitgeber kann nach Ende des Streiks keine Kündigungen wegen Teilnahme aussprechen. Diese wären allesamt ungültig. 

Müssen sich Streikende beim Arbeitgeber abmelden? Nein, das brauchen sie nicht, weil in dieser Zeit die arbeitsvertraglichen Pflichten suspendiert sind. Dies gilt sowohl für die Hauptpflicht (Arbeitsleistung), als auch für Nebenpflichten (Abmelden). Die Pflicht zum Abmelden wäre eine psychische Hürde, die mit der Bedeutung des Streikrechts als Grundrecht nicht zu vereinbaren ist.

Das gilt ebenso bei Warnstreiks: Wenn man vor Beginn des Warnstreiks ausstempelt, hätte man ja gewissermaßen Freizeit. Beim Streik geht es aber gerade darum, dass die Arbeitsleistung nicht erbracht wird. Fehlstunden sind nicht nachzuarbeiten. 

Der politische Streik ist umstritten

Von einem "politischen Streik" ist dann die Rede, wenn Arbeitnehmer die Arbeit niederlegen, um Ziele zu erreichen, die außerhalb ihres Arbeitsverhältnisses liegen. Adressat der Forderungen ist weniger der Arbeitgeber, es sind stattdessen diejenigen, die politische Entscheidung treffen. Ein politischer Streik ist mit dem Arbeitsrecht schwer zu vereinbaren. Der wissenschaftliche Dienst des Deutschen Bundestags schreibt in seiner Expertise: "Dabei ist das Streikrecht nicht um seiner selbst willen geschützt, sondern nur als Mittel zum Zweck des Abschlusses von Tarifverträgen."

Obwohl es viele Stimmen gibt, insbesondere bei den Arbeitgeberverbänden, dass politische Streiks nicht rechtens sind, gab es zahlreiche in der Bundesrepublik. 1968 streikten viele Betriebe gegen die Notstandsgesetze, obwohl die Führung des Deutschen Gewerkschaftsbundes (DGB) das verhindern wollte.

Gegen das Misstrauensvotum gegen Willy Brandt streikten 1972 etwa 100.000 Beamte, Angestellte und Arbeiter und Arbeiterinnen. Auch gegen den 1996 von der Regierung Kohl verfolgten Plan, die Lohnfortzahlung im Krankheitsfall zu kürzen, gab es viele Streikaktionen, die schließlich das Gesetz zu Fall brachten. Die IG Metall rief im Jahr 2007 wiederum zu "Protesten während der Arbeitszeit" gegen die Rente mit 67 auf, daran beteiligten sich 300.000 Beschäftigte. 

Fazit: Das gesicherte Streikrecht ist richtig

Gewerkschaften stellen ihre Forderungen in einem relativ breiten Diskussionsprozess, beispielsweise in Tarifkommissionen oder auf Gewerkschaftstagen. Die Arbeitgeberseite neigt dazu eher zu sagen: Wir wollen möglichst wenig geben. Was am Ende der richtige Kompromiss ist, ist nicht von Anfang an klar. Deswegen muss diese Frage austariert werden. Wenn die Arbeitgeber sich dabei zu wenig bewegen oder gar kein Angebot machen, dann entscheidet sich die Gewerkschaft eben im Zweifelsfall für Warnstreiks und Streiks. Und siehe da, die Arbeitgeber bewegen sich. Eigentlich ein gut funktionierender Mechanismus.

Vorschaubild: © Klaus-Dietmar Gabbert/dpa