Das Riemann-Thomann-Modell erschließt sich dir schnell und intuitiv, wenn du dir das Aufeinandertreffen der vier genannten Grundbestrebungen in unterschiedlichen Ausprägungen praktisch innerhalb einer Teamstruktur vorstellst. Menschen mit einem ausgeprägten Bedürfnis nach Nähe suchen beispielsweise den Kontakt zum Umfeld und wollen sich gerne austauschen. Sie sind kommunikativ und möchten Erlebnisse und Meinungen gerne teilen. Sie sind zudem meist hilfsbereit und kooperativ. Treffen diese Menschen nun im Arbeitskontext unmittelbar auf Kollegen*innen, die sich eher am gegenteiligen Pol, der Distanz, wohlfühlen, sind Konflikte vorprogrammiert. Distanzmenschen arbeiten gerne selbstständig, sind sachbezogen und suchen nicht unbedingt die Nähe zu anderen Teammitgliedern. Analog entstehen Spannungen, wenn Menschen mit den entgegengesetzten Polen von "Dauer" und "Wechsel" zusammenkommen. Für Menschen mit Dauerorientierung sind klare Strukturen, Routinen und wiederkehrende Muster wichtig. Sie bleiben gerne in ihrer Komfortzone und lieben bekannte, gleichbleibende Abläufe. Sie sind sehr zuverlässig, strukturiert, pünktlich und beständig. Wechselorientierte Menschen lieben dagegen Veränderungen, Innovationen und Neuerungen. Sie lassen sich gerne von äußeren Reizen leiten, reagieren spontan auf neue Impulse und gehen euphorisch verschiedensten Ideen nach. Solche Teammitglieder sind zudem risikofreudig, kreativ und mitunter auch chaotisch.
So funktioniert gutes Teamwork
Für das Verständnis des Riemann-Thomann-Modells ist es bedeutsam, dass bei den unterschiedlichen Ausprägungen der genannten vier Grundbedürfnisse keine Wertung vorgenommen wird. Es liegt zwar das Vorurteil nah, dass innovative, neugierige und kreative Teammitglieder für die Erarbeitung neuer Lösungen wertvoller sind, als die strukturierten, beständigen und routinierten Teammitglieder. In dem Modellansatz geht es aber eben nicht darum zu folgern, dass beispielsweise die Wechselorientierung besser ist als die Dauerorientierung. Vielmehr handelt es sich um ein beschreibendes Modell, das unterschiedliche Ausprägungen von Persönlichkeiten und deren Persönlichkeitsschwerpunkte gegenüberstellt. Allerdings ohne den Anspruch oder die Forderung, dass Menschen eine bestimmte Orientierung annehmen oder diese gefördert werden sollten.
Einfach gesagt, es kommt auf eine gesunde Mischung an, die je nach Aufgabenlage auch unterschiedlich sein kann. Gemein sollten aber möglichst alle Teammitglieder haben, dass sie die Grundregeln von Kommunikation und Feedback beherrschen. Die Fähigkeit zu Empathie und gegenseitiger Wertschätzung ist trotz Unterschiede in der Persönlichkeit notwendig, um in einem funktionierenden Teamwork gemeinsam Erfolge zu erzielen. Unternehmen sollten daher bereits bei der Einstellung von Mitarbeitenden auf diese Kompetenzen achten. Durch firmeninterne und praxisbezogene Qualifizierungsangebote lassen sich diese ausbauen und schärfen. Hierbei lässt sich beispielsweise erkennen, wer sich später für welche Rolle in einem Team besonders eignet. Denn jedes Team braucht die Kreativen und Spontanen genauso wie die Strukturierten und die Beständigen. Zudem ist es für den Teamerfolg sicher förderlich, wenn sich nicht alle immer alle feiern und um den Hals fallen, sondern auch sachbezogen und selbstständig arbeiten können.
Teamwork funktioniert besonders auch dann, wenn die drei K vorliegen: Klarheit in Bezug auf die Aufgabe, notwendige Kompetenz für die Erarbeitung von Lösungen und Mut zur Konsequenz im Sinne einer lösungsorientierten Umsetzung. Dabei muss auch die eigene Rolle im Team akzeptiert sein. Von dir selbst, aber auch von den übrigen Teammitgliedern. Ein häufiger Stolperstein ist es, wenn die vielleicht richtige, aber leider unbequeme Lösung zum Problem wird. Häufig sind es Abhängigkeiten, Interessenskonflikte oder das Festhalten an alten Strukturen und Prozessen. In solchen Situationen bieten sich Mediationen an, um eine Lösung zu finden.
Mögliche Hindernisse auf dem Weg zum Ziel
Grundsätzlich kannst du dir die Frage stellen, ob es zur Lösung eines Problems immer einer agilen Arbeitsweise bedarf. Agilität darf oder sollte kein Selbstzweck sein. Nicht jede Problemstellung muss im Rahmen von Teamwork und agilen Arbeitsmethoden bearbeitet werden. Du solltest immer den Ursprung dieser Arbeitsweise im Hinterkopf behalten. Was für die Softwareentwicklung richtig ist, muss nicht unbedingt in anderen Arbeitsumfeldern richtig sein. Vor allem kommt es immer und vor allem auf die Menschen an, die in einem Unternehmen arbeiten. Die Erkenntnisse des Riemann-Thomann-Modells gelten nicht nur ausschnittsweise für Teamstrukturen, sondern für die gesamte Belegschaft einer Firma. Ist die Struktur der Mitarbeitenden zum Beispiel mehrheitlich durch Dauerorientierung und Distanz geprägt, wird es vermutlich schwierig werden, dass Teamwork mit agilen Arbeitsmethoden überhaupt zur Anwendung kommt. An der Stelle ist das Management gefragt, die Weichen entsprechend zu stellen.
Veränderung bedeutet immer auch das Verlassen der eigenen Komfortzone. Je nach Ausmaß der Veränderung und den daraus entstehenden Konsequenzen fällt es dir leichter oder schwerer, dich auf Veränderungen einzulassen. Wie erwähnt, geht es bei dem obigen Modell nicht darum, dass sich bspw. Distanzmenschen zum anderen Pol der Nähe hinentwickeln. Da es sich um strukturelle Persönlichkeitsmerkmale handelt, sind diese ohnehin nicht einfach umzupolen. Es geht vielmehr darum, ein gegenseitiges Verständnis für die anderen Perspektiven und Ausprägungen zu entwickeln.
Daher trägt das Riemann-Thomann nicht per se zur Lösung bei, um Teamwork erfolgreich zu gestalten. Wenn unvereinbare Positionen, Haltungen und Persönlichkeiten aufeinandertreffen, kann das Ergebnis auch sein, dass das Teamwork (aktuell) nicht funktioniert. Daraus sollte nur nicht gefolgert werden, es dabei zu belassen. Die sich dann stellende Frage sollte vielmehr lauten, was getan werden kann, um doch ein gutes Teamwork zu erreichen. Dazu trägt das Modell mit seinem intuitiv leicht zugänglichen Ansatz wiederum bei.
Fazit
Teamwork nimmt in der Arbeitswelt einen immer größer werdenden Raum ein. Sowohl die Ansprüche als auch die Komplexität der Aufgabenstellungen nehmen zu, sodass eine arbeitsteilige Organisation effizienter zum Ziel führt. Hierbei können auch agile Arbeitsmethoden unterstützen, solange sie nicht zum Selbstzweck werden. Mit den Erkenntnissen aus dem Riemann-Thomann-Modell lassen sich mit Blick auf die Zusammenstellung von Teams bessere Entscheidungen treffen. Darüber hinaus kann mit dem Wissen das gegenseitige Verständnis im Team gesteigert werden.