Psyche: Welche Ängste sind gelernt - und mit welchen Ängsten kommen wir auf die Welt?
Autor: Joachim Tiefenthal
Deutschland, Donnerstag, 22. Sept. 2022
Ängste haben die Funktion einer Alarmanlage in der Psyche. Wenn sie anspringt, schlägt das Herz schneller, du beginnst zu zittern, zu schwitzen oder im Bauch grummelt es. Woher kommen Ängste? Haben wir sie erlernt?
- Hier entsteht die Angst
- Funktionen der Angst
- Urängste oder gelernte Ängste?
- Umgang mit Angst
- Hier findest du Hilfe
In unserem Gehirn befindet sich die Amygdala (Mandelkern), die Teil des limbischen Systems ist. Sie nimmt eine bedeutende Funktion bei der Verarbeitung von Emotionen ein. Die Amygdala dient sowohl bei Tieren als auch beim Menschen als Alarmanlage. In nur Bruchteilen von Sekunden werden hier Situationen bewertet und Gefahrenpotenziale eingeschätzt. So können Bilder, Geräusche oder Gerüche entweder schon von Geburt aus oder aber durch Erfahrungen erlernt Angst auslösen.
Funktionen der Angst
Angst gehört zum Leben und ist grundsätzlich nichts Schlimmes. Ausgebildet in einem gesunden Ausmaß, warnt Angst dich vor Gefahren, erhöht deine Aufmerksamkeit und Reaktionsfähigkeit. Biologisch aktiviert Angst dein Herz-Kreislauf-System, deine Blutgefäße verengen sich, wodurch sich dein Blutdruck erhöht, gleichzeitig verringert sich aber die Durchblutung deiner Extremitäten, also deiner Arme und Beine. Das so vorhandene "überschüssige Blut" fließt an die Skelettmuskulatur weiter, wo es für deine lebenswichtigen Organe verfügbar bleibt, falls du es im Notfall benötigst. In der Regel steigert sich auch deine Atemfrequenz. So erhältst du mehr notwendigen Sauerstoff, um dein Blut schneller zirkulieren zu lassen.
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Angst ist für den Körper eine Stressfunktion. Stress dient in seiner positiven Form grundsätzlich dazu, Energie zu mobilisieren. Normalerweise wird diese später wieder abgebaut, was zurück in ein emotionales Gleichgewicht führt. Der Mensch ist nicht darauf ausgelegt, Stressreaktion längere Zeiträume - wie Tage, Wochen oder gar Monate - aufrechtzuerhalten. Stress und damit auch Angst sind viel mehr als ein "Kurzzeit-Notfall-Programm" gedacht, welches nicht länger als 20 bis 25 Minuten anhält. Dauerhafter, nicht abgebauter oder verarbeiteter Stress kann allerdings Krankheiten verursachen, die auch chronische Verläufe entwickeln können.
In dem Zusammenhang sind Erkenntnisse aus der sog. "Fight, Flight, Freeze"-Theorie interessant. Bei der Untersuchung neurobiologischer Abläufe von Tieren auf Bedrohung, zeichneten sich die drei affektartigen Reaktionen "Angriff, Flucht oder Totstellen" ab. Alle drei Reaktionen erfolgen reflexartig und unterliegen keinem Prozess der Abwägung oder bewussten Entscheidung. Auch beim Menschen gehören diese Reaktionsmuster zur evolutionären Überlebensstrategie.
Urängste oder gelernte Ängste?
Angst zählt wie Freude und Traurigkeit, Wut und Liebe zu den menschlichen Grundemotionen. Die Wahrnehmung von Angst ist in ihrer gefühlten Intensität und empfundenen Bedrohung jedoch ein "komplexes Zusammenwirken von genetischen Faktoren und Faktoren der Umwelt." So wurde im Zusammenhang mit der Entstehung von Angsterkrankungen in Untersuchungen z.B. der Effekt zwischen belastenden Lebensereignissen und einer Genvariante des Transporters für den Botenstoff Serotonin im Menschen gefunden. Serotonin wird auch als "Glückshormon" bezeichnet. Es wird im Gehirn gebildet und hat maßgeblichen Einfluss auf unser seelisches Wohlbefinden.
Wenn Ängste bzw. ihr subjektives Empfinden in Phobien umschlagen, können die Gründe vielfältig sein: Erbanlagen und darauf aufbauend eine sich (überängstlich) entwickelnde Persönlichkeit, traumatische Erlebnisse (z.B. Gewalt, Verletzungen) und ein daraus geprägter Lebensstil (Vermeidung, Rückzug). Auch wenn eine amerikanische Studie aus 2013 gezeigt hat, dass negative Erfahrungen auf dem biologischen Weg vererbt werden können, so sind vererbte Anlagen nicht zwangsweise und alleine für die übertriebene Entwicklung von Angstgefühlen verantwortlich.