Coaching oder Psychotherapie - angesichts der Vielzahl an Coaching-Angeboten und langen Wartezeiten auf Therapieplätze eine durchaus relevante Frage. Wo liegen die Unterschiede?
Was ist Coaching?
Was ist eine Psychotherapie?
Unterschiede und Gemeinsamkeiten
Beispiel: Schematherapie
Hilfestellung: Was ist für dich das Richtige?
Vermutlich sind dir die Begriffe Coaching und Coach am ehesten aus dem Sportbereich bekannt. Jürgen Klopp hat sich zum Beispiel als aktuell sehr erfolgreicher Coach des englischen Premier-League-Clubs FC Liverpool einen Namen gemacht. Unabhängig vom Sport: Neben fachlichem Wissen zeichnen sich gute Coaches vor allem durch Fähigkeiten aus, Menschen motivieren und zu besseren Leistungen führen zu können. Ein Coach ist daher auch viel mehr als "nur" ein Trainer.
Coaching - Hilfe zur Selbsthilfe
Auf Coaching triffst du häufig im beruflichen Kontext. Meist wird es für angehende oder auch bereits etablierte Führungskräfte auf der Ebene des mittleren, oberen oder auch Top-Managements angeboten. Business-Coaching nennt man diese Art von Coaching. Hier geht es i.d.R. um Themen, die für den Job hohe Relevanz haben. Angefangen von Führungs- und Kommunikationsthemen über die eigene Karriereplanung bis hin zu Fragestellungen der eigenen Persönlichkeitsentwicklung.
Zunehmend findest du aber auch für private Themen Angebote, sogenannte „Life-Coaches“. Sie verstehen sich allgemein als (systemische) Lebensberater und bieten ihre Dienstleistungen beispielsweise als Trauerbegleitung, Fitness-Coach, Ernährungscoach oder auch Krisenhelfer in allen Lebenslagen an. Die Ausübung einer Berater- oder Coaching-Tätigkeit ist grundsätzlich nicht über den Nachweis bestimmter Qualifikationen geregelt. Es handelt sich nicht um eine geschützte Berufsbezeichnung. Du kannst dich also völlig frei ab heute Coach oder Berater nennen und freiberuflich tätig werden.
Das erschwert andererseits die Auswahl für diejenigen Menschen, die sich gerne von einem erfahrenen und gut ausgebildeten Coach unterstützen lassen möchten. Aus diesem Grund haben es sich einige namhafte Verbände auf die Fahnen geschrieben, mittels Zertifizierung die Spreu vom Weizen zu trennen und Orientierung zu schaffen. Um psychotherapeutisch arbeiten zu dürfen, bedarf es jedoch einer grundlegenden Ausbildung und Qualifizierung.
Ein Coach berät nicht - oder doch?
Coaching versteht sich immer als Hilfe zur Selbsthilfe. Im Coaching erarbeiten Coach und Coachee (so wird derjenige oder diejenige genannt, der oder die ein Coaching in Anspruch nimmt) mögliche ziel- und lösungsorientierte Maßnahmen, um ein Anliegen zu klären, beziehungsweise ein klar definiertes Ziel zu erreichen. Im Fokus steht dabei aber immer der Coachee. Mit bestimmten Fragetechniken, Methoden und Tools versucht der Coach, seinen Coachee die Lösung selbst finden zu lassen. Die Frage, ob ein Coach bei seiner Arbeit auch Ratschläge im Sinne einer Beratung geben soll, wird dabei kontrovers diskutiert.
Gemeinhin wird das Verständnis eines Beraters (Consultant) dadurch geprägt, dass sie zu definierten Problemlagen konkrete Vorschläge erarbeiten, präsentieren und diese gegebenenfalls auch selbst im Nachgang umsetzen. Ein (psychologischer) Coach bzw. Berater jedoch sollte weniger bis keine konkreten Vorschläge oder Hinweise zur Lösung geben, sondern gemeinsam mit dem Coachee darauf hinarbeiten, dass dieser Maßnahmen und Lösungsschritte findet, die er selbst in seinem Arbeits- oder Lebensumfeld auch erfolgreich umsetzen kann. Von daher ist es in der Tat ein schmaler Grat und eine Frage der Haltung, inwieweit Ratschläge dem Coachee bei der Bewältigung seiner Herausforderungen helfen können.
Als bekannte Krankheitsbilder lassen sich Depressionen, Ängste, Essstörungen, Zwänge oder psychosomatische Erkrankungen nennen. Zu letzteren zählen beispielsweise der Tinnitus, der sogenannte Schwankschwindel oder der Reizdarm. Es handelt sich dabei um Krankheitsbilder, deren Ursache sich nicht wirklich körperlich feststellen lassen und deshalb psychosomatisch erklärt werden. Symptome wie Kopfschmerzen, Migräne, Rücken-, Nacken- oder Schulterschmerzen oder Verdauungsbeschwerden zeigen, dass die Balance von Körper und Geist ist nicht mehr in Ordnung ist. Hier die eigentliche Ursache und mögliche sowie wirksame Behandlungsmaßnahmen zu finden, das ist Aufgabe einer Psychotherapie.
Zu einem großen Anteil bestimmen sowohl persönliche Wahrnehmung als auch die empfundene Tiefe des Problems, bezogen auf die Einschränkungen im Arbeits- oder Alltagsleben, ob jemand als krank (Patient) eingestuft und damit einer Psychotherapie zugeführt wird. Die Ausprägung und Intensität von „Leidensdruck“ und „Problemtiefe“ sowie die Bereitschaft und Fähigkeit, sich einer Psychotherapie zu unterziehen, sind dabei maßgeblich entscheidend für einen Therapieerfolg.
Prinzipiell eignet sich Coaching deshalb in erster Linie ausschließlich für Menschen, die psychisch gesund sind. Hier werden vor allem funktionierende Fähigkeiten zum Selbstmanagement im Alltag als maßgebliches Kriterium herangezogen. Wenn diese Fähigkeiten jedoch nicht (mehr) gegeben und gestört sind, dann hat die Wiederherstellung der psychischen Gesundheit Priorität. Hier ist dann eindeutig die Notwendigkeit einer Psychotherapie angezeigt.
Verbindung von Coaching und Psychotherapie
Zunächst weisen Coaching und Psychotherapie mit Blick auf das Setting (also die Form der Ausführung) Gemeinsamkeiten auf. Sowohl Therapeut*in als auch Coach fungieren als Gesprächspartner*in für Patienten*innen bzw. Klienten*innen. Beide bedienen sich dabei psychologischer Methoden und Interventionstechniken.
Im ersten Schritt geht es in beiden Fällen um Einsichts- und Erkenntnisprozesse, die dann weitere Schritte zur Lösung und Weiterentwicklung ermöglichen. Dabei besitzen sehr viele der in der Coaching-Praxis angewendeten Methoden, Modelle und Tools ihren Ursprung in verschiedenen psychotherapeutischen Schulen.
Beispiel: Schematherapie
So erfreut sich beispielsweise die Schematherapie im Bereich der Psychotherapie zunehmender Beliebtheit. Zum einen fließen viele Erkenntnisse aus bereits vorhergehend entwickelten therapeutischen Verfahren (u.a. Verhaltenstherapie und Tiefenpsychologie) ein. Zum anderen ist sie für Patienten und Coachees leicht verständlich und eingängig. Anwendung findet die Schematherapie z.B. bei der Behandlung von Depressionen, Angststörungen, Persönlichkeitsstörungen, aber auch bei Essstörungen, Substanzmittelmissbrauch, bei Paarbehandlungen und langjährigen Beziehungsstörungen.
Ziel der Schematherapie ist, sowohl Gedanken und Gefühle als auch immer wiederkehrende Handlungsmuster in ihrer Entstehung und Wirkung zu verstehen. In Folge versuchen Patient*in und Therapeut*in diese Muster so zu verändern, dass sie den eigenen Bedürfnissen gerecht(er) werden und damit der Leidensdruck abnimmt bzw. bestenfalls eliminiert wird. Somit spielen Bedürfnisse und Emotionen als Basis von Handlungsmustern in der Schematherapie eine sehr bedeutende Rolle.
Gleichwohl können die der Schematherapie zugrundeliegenden Annahmen und Ableitungen auch in einem Coaching berechtigte Anwendung finden. Zum Beispiel dann, wenn eine Führungskraft ein Coaching mit Blick auf die Art ihrer Führung in Anspruch nimmt. Ein dominantes Führungsverhalten, gepaart mit einem aggressiven und verletzenden Verhalten gegenüber den Mitarbeiter*innen, kann ein reines Ablenkungsmanöver (Überkompensation) sein. Man gibt sich besonders selbstbewusst und agiert dominant, obwohl man sich eigentlich unsicher fühlt und Angst davor hat, selbst dominiert zu werden oder hilflos zu sein. Dieses narzisstische Muster kann sich durch (frühkindliche) Erlebnisse verfestigt haben, die u.a. geprägt waren von wenig Wertschätzung, Empathie und Anerkennung (Dysfunktion, das verletzte innere Kind).
Fazit
Obgleich sich Coaching einiger Methoden bedient, die auch im psychotherapeutischen Bereichen eingesetzt werden, ist darunter keine verkappte Psychotherapie für nach Selbstoptimierung strebende Manager*innen zu verstehen. Vielmehr werden Methoden und Modelle sowohl im Coaching als auch in der Psychotherapie angewandt, weil sie ihre problembezogene Wirksamkeit unter Beweis haben stellen können. Sie ergänzen sich idealerweise, statt sich gegenseitig auszuschließen.
Im Falle von schweren psychischen Erkrankungen, die sich beispielsweise auf erfahrene Traumata zurückführen lassen, durch auffälliges Suchtverhalten (Medikamente, Alkohol, Drogen) oder zwanghaftes Verhalten augenscheinlich in Erscheinung treten, sind die Symptome für ein Krankheitsbild offensichtlich und eindeutig. Hier kann nur psychotherapeutische Hilfe das Mittel der Wahl sein.
Unterstützung und Hilfe
Wenn du dir unsicher bist, ob dich ein Coaching weiterbringt oder dir doch besser mit einer Psychotherapie geholfen werden könnte, dann kannst du das entweder mit deinem Hausarzt, deiner Hausärztin besprechen oder aber Kontakt zu einem Coach oder einem*r Psychotherapeuten*in aufnehmen. Üblich ist ein erstes, meist unverbindliches Gespräch, indem du dein Anliegen erläutern kannst. Danach wirst du (hoffentlich) wissen, was und wer dir helfen wird. Im Internet gibt es darüber hinaus einige Portale, auf denen du ausführliche Informationen und Ansprechpartner finden kannst: Deutsche Depressionshilfe oder Therapie.de oder speziell für Kinder, Jugendliche und ratsuchende Eltern das Portal "ich bin alles".